Montag, 13. Februar 2012

Steht auf für Gerechtigkeit – Anspiel zum Weltgebetstag 2012


Steht auf für Gerechtigkeit

6 Personen sitzen auf Stühlen. P1 schläft, P2 schnippelt Möhren, , P3 übt pantomimisch ein Musikinstrument, P4 meditiert, P5 blättert hektisch in einem Aktenordner, P6 liest die Zeitung.

Sprecher:             (vollmundig) Steht auf für Gerechtigkeit!
Person 1:             (schreckt hoch)  Verdammt nochmal! Ich war gerade eingeschlafen. Ich habe heute Abend noch eine anstrengende Sitzung. Hau ab!
Sprecher:             (energischer) Steht auf für Gerechtigkeit!!
Person 2:             Die Kinder kommen gleich aus der Schule. Und ich habe nur kurz Pause. Doppelbelastung. Ich sag Ihnen. Was für eine Gerechtigkeit? Und aufstehen? Jetzt wo ich grade mal sitze.
Sprecher:             (genervt) Steht auf für Gerechtigkeit!!
Person 3:             Einmal tue ich etwas für mich, einmal! Und da soll ich wieder für andere...? Nein, jetzt ist dann auch mal Schluss.
Sprecher:             (schon ein wenig verzweifelt) Steht auf für Gerechtigkeit!
Person 4:             Einatmen, ausatmen, bring mich ja nicht aus dem Takt. Ich muss meditieren, sagt mein Arzt, ich bin so aggressiv und hektisch. Und noch eine Aufgabe mehr, das geht gar nicht. Ich nehme ohnehin jede Aufgabe an, die mir vor die Füße fällt.
Sprecher:             (brüllt) Steht auf für Gerechtigkeit!
Person 5:             (fällt der Aktenordner aus der Hand, Blätter fallen auf dem Boden) Das darf doch nicht wahr sein! Ich war fast fertig, fast, bis Sie hier ankamen und rumgebrüllt haben! Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?
Sprecher:             (jedes Wort betonend) Steht ...auf...für...Gerechtigkeit!
Person 6:             (gönnerhaft, legt die Zeitung hinunter)  Gerne, meine Liebe, an welche Gerechtigkeit denken Sie denn, hm? An die Geschlechtergerechtigkeit? Oder Bildungsgerechtigkeit? Oder vielleicht Chancengerechtigkeit? Oder an soziale Gerechtigkeit? Oder Verteilungsgerechtigkeit? Oder Teilhabegerechtigkeit? Oder Leistungsgerechtigkeit? (Beispiele aus dem Vorbereitungsheft)
Na? Differenzieren Sie das doch mal, Sie müssen das doch differenziert sehen. Den Armen helfen wir alle gerne und ich bin auch gerne mal bereit, einen kleinen rechtlichen Rat umsonst zu geben, aber kommen Sie mir nicht mit der Weltwirtschaft oder der Ausbeutung von afrikanischen Ländern oder... Na, da werden Sie kleinlaut, was? Da fällt Ihnen gar nichts mehr ein, wie? Na, dann kann ich ja beruhigt weiterlesen. Sehr empfehlenswert übrigens dieser Artikel. Bringt auch Sie weiter. Es ist nämlich nicht alles so einfach, wie man denkt.
Sprecher:             (blickt nach oben, ruft durch die Hände) Jesus, steh auf für Gerechtigkeit!
Jesus:                   (kommt von der Seite rein) Schon wieder?
Sprecher:             Was heißt hier „Schon wieder?“ Du hattest fast 2000 Jahre Ruhe.
Jesus:                   Das denkst du dir so. Und was ist mit all meiner geistlichen Präsenz? Hm? Aber die wird mal wieder nicht gewürdigt. Das ist ja selbstverständlich.
Sprecher:             Nein, nein, schon gut, wir sind dir ja auch wirklich dankbar. Aber guck dir diese Schnarchnasen mal an (zeigt auf die Sitzenden). Glaubst du, irgendeiner bewegt sich da mal? Kannst du da nicht mit ein wenig Präsenz... ich meine...
Jesus:                   Mal sehn. Sag mir doch erst einmal, worum es geht.
Sprecher:             Na, das ist doch offensichtlich.
Jesus:                   Geht das vielleicht noch etwas genauer?
Sprecher:             Na, die Zustände in der Welt stinken doch zum Himmel. Es muss eine Umverteilung stattfinden, sofort!
Jesus:                   Umverteilung von was?
Sprecher:             Geld, Nahrung, Bodenschätze, all das.
Jesus:                   Klar. Und weiter?
Sprecher:             Naja, Abrüstung, keine Mittel mehr fürs Militär.
Jesus:                   Logisch. Bin übrigens schwer enttäuscht, dass ihr es in 2000 Jahren immer noch nicht geschafft habt, von den Bäumen herunter zu kommen.
Sprecher:             Wie jetzt?
Jesus:                   Na, das ist doch eines Menschen unwürdig, sich gegenseitig die Gedärme zu zerfetzen mit diesen Maschinendingern. Ich dachte, ich hätte mich damals klar ausgedrückt. Feindesliebe, andere Wange usw.
Sprecher:             Wie recht du hast.
Jesus:                   Und nun?
Sprecher:             Ich meine, da muss es doch mal langsam einen Plan geben.
Jesus:                   Einen Plan?
Sprecher:             Na, schaut Gott da zu?
Jesus:                   Ungern.
Sprecher:             Also schaut er weg?
Jesus:                   Nein, nein, aber er ist langsam mit seinem Latein am Ende.
Sprecher:             Aber er ist Gott! Kann er nicht etwas tun? Kann man da nicht mal mit ihm reden?
Jesus:                   Natürlich. Aber ich erinnere dich an den Propheten Habakuk. Der hat sich auch lauthals über das Unrecht in Israel beklagt. Und Gott hat geantwortet und das war ihm dann auch nicht so recht.
Sprecher:             Was passierte?
Jesus:                   Fremde Truppen marschierten ein und damit war dem Unrecht in Israel ein Ende gesetzt.
Sprecher:             Also war Gott gewalttätig.
Jesus:                   Andere Zeiten, andere Sitten.
Sprecher:             Jetzt sei mal ernst. Du hast doch dieses Gleichnis von der Witwe erzählt. Mit dem Richter, den sie so lange genervt hat, bis er ihr Recht verschafft hat.
Jesus:                   Ja, ich erinnere mich dunkel.
Sprecher:             Und du hast gesagt, dass Gott meilenweit von diesem Richter entfernt ist und sofort reagieren wird, wenn man ihn bittet.
Jesus:                   Ja, schon, aber du musst da schon etwas klarer sein. Einfach allgemein in der Gegend rumtönen, das geht nicht. Du musst differenzieren.
Sprecher:             Fängst du auch schon damit an.
Jesus:                   Also, im Umgang mit anderen musst du folgendes beachten: Du musst sie da abholen, wo sie gerade sind. Einfühlsam sein. Ihnen die Lage klarmachen. Sie dazu bringen, dass sie denken, sie können nicht glücklich sein, wenn ein anderer leidet. Das ist Gerechtigkeit. Die müssen wir durchsetzen.
Sprecher:             Ich dachte gerade, Gott könnte ein wenig...
Jesus:                   Was denn, ein wenig? Meinst du also Gott entsorgt die Waffen in den Weltraum, löst die Banken auf, fackelt alle Grenzzäune ab, teilt den Besitz gleichmäßig auf alle auf, baut bessere Umweltfilter in die Schornsteine ein, richtet öffentliche Küchen ein, sperrt gefährdete Tierarten für eine Übergangszeit in den Garten Eden und...
Sprecher:             Ist ja gut, ist ja gut. Wir sollen es selber tun, mal wieder.
Jesus:                   Nein, ihr könnt nichts selber tun.
Sprecher:             Also, jetzt bin ich aber mit meinem Latein am Ende.
Jesus:                   Die malayischen Frauen haben  doch eine gute Taktik empfohlen, durch die Auswahl der Bibeltexte.
Sprecher:             Haben sie?
Jesus:                   Also, was hat Habakuk gemacht?
Sprecher:             Rumgebrüllt.
Jesus:                   Unter anderem. Deutlich mit Gott geredet, zu ihm gerufen.
Sprecher:             Und?
Jesus:                   Na, und in dem Hin und Her ist ihm klargeworden, was zu tun sei?
Sprecher:             Nämlich?
Jesus:                   Gott zu loben?
Sprecher:             Du nervst.
Jesus:                   Nicht doch! Denk doch mal positiv. Du kannst mit Gott reden. Und er hört dir zu. Und reagiert auf die eine oder andere Weise.  Das ist doch toll! Da kann man doch auch mal was aushalten. Da bekommt man doch einen ganz anderen Blick auf alles.
Sprecher:             Das ist mir zu vage. Was tut er denn nun genau?
Jesus:                   Na, er sorgt dafür, dass das eintritt, was du wünscht.
Sprecher:             Wirklich? Gerechtigkeit?
Jesus:                   Moment, Moment, du hast dir vorhin gewünscht, dass die Menschen aufstehen für Gerechtigkeit, korrekt?
Sprecher:             Ja, wäre ein Anfang.
Jesus:                   Na siehst du. Das kriegen wir doch hin. Schau mal, die Frau da, die die Möhren schnippelt, das tut sie doch für ihre Kinder, oder nicht?
Sprecher:             Hat sie gesagt.
Jesus:                   Na die lässt ihre Kinder doch sicher keinen Handschlag tun und da ist sie doch prädestiniert dafür eine Kampagne gegen die Kinderarbeit zu starten.
Sprecher:             Meinst du?
Jesus:                   Na klar. Und der Klugscheißer...
Sprecher:             Jesus!
Jesus:                   Entschuldige, der Mann mit der Zeitung, dem ist sein Geld sicher sehr wichtig und dem muss man fühlbar machen, wie ein Leben ohne Geld aussieht.
Sprecher:             Als ob den das beeindruckt.
Jesus:                   Man könnte Gott bitten, den ein oder anderen Alptraum vorbei zu schicken.
Sprecher:             Ach so.
Jesus:                   Ja und dann könnte der mal die Weltbank auf solidarischere Füße stellen und dafür einen Plan entwickeln.
Sprecher:             Möglich.
Jesus:                   Für die anderen fällt uns sicher auch was ein.
Sprecher:             Du willst also den Leuten zu nahe treten, sie bei ihren Empfindlichkeiten packen....
Jesus:                   Ich würde es eher ‚Empfindsamkeit’ nennen, aber ja, genau so. Die Witwe damals, die hat es genauso gemacht. Die hat gewusst, dass dem Richter alles egal ist, Gott, Menschen, aber seine Ehre, die ist ihm nicht egal. Und da hat sie ihm mit öffentlichen Schlägen gedroht und damit hatte sie ihn.
Sprecher:             Und was macht Gott, außer Träume schicken?
Jesus:                   Na, bin ich da oder bin ich nicht da.
Sprecher:             Er hat dich geschickt?
Jesus:                   Sieht ganz so aus. Und ich muss sagen, du reagierst darauf ziemlich gelassen. Ich bin an etwas andere Empfänge gewöhnt.
Sprecher:             Wann haben dich die Menschen je mit einem roten Teppich empfangen?
Jesus:                   Auch wieder wahr.
Sprecher:             Du, Jesus?
Jesus:                   Ja?
Sprecher:             Bleibst du noch ein bisschen? Du machst mich irgendwie so zuversichtlich. Ich kann so gut mit dir reden. Und dann sehe ich die Dinge wieder anders, hoffnungsvoller. Ich spüre, dass sich Tatkraft in mir entwickelt. Ich habe das Bedürfnis das Leben zu umarmen, zu loben, zu jubilieren. Ich...
Jesus:                   Ist ja gut, ist ja gut. Hör zu, versuchen wir es doch mal weiter mit der Präsenz.
Sprecher:             (enttäuscht) Der geistlichen?
Jesus:                   Ja. Ich bin immer auf Empfang. Im Gebet erreichst du mich jederzeit.
Sprecher:             Hm.
Jesus:                   Die malayischen Frauen wissen das zu schätzen. Sie üben ihre Stimme, ihr Standvermögen, ihre Phantasie im Gebet. Und bewegen danach einiges.
Sprecher:             Ja, ja.
Jesus:                   Komm, eine kleine Probe. Bring die Leute zum Aufstehen.
Sprecher:             Für Gerechtigkeit?
Jesus:                   Vielleicht erst einmal von den Stühlen. Ist ein Anfang. Ich geh dann mal und wir üben das mit der Präsenz.
Sprecher:             (legt die Hände an den Kopf)  Ich muss nachdenken. Jesus, ich brauche eine Idee, eine zündende Idee, eine zündende? (stellt sich vor die Stuhlreihe, brüllt) Feuer!
P 1-6:                   (Springen auf, reden durcheinander) Feuer, wo denn, wie denn, was denn, ich seh keinen Qualm....
Sprecher:             Sorry Leute, blinder Alarm. Aber wo ihr gerade da seid (geht zur Möhrenschnipplerin) Da ist in einer Spielzeugfabrik in China, wo Kinder gearbeitet haben, Feuer ausgebrochen.
P2:                       Schrecklich, die armen Kinder.
Sprecher:             Und die Familien der toten Kinder haben nicht mal die Leichen ausgehändigt bekommen.
P4:                       Nicht mal ein tröstendes Ritual?
Sprecher:             Und die Familien stehen vor dem finanziellen Ruin.
P6:                       Das kann man doch nicht so stehen lassen. Wie kommt das?
Sprecher:             (winkt sie hinter sich her, geht langsam in Richtung Sakristei ab) Kommt, wir besprechen das mal. In Ruhe. Ich habe da einen Plan.
Alle:                     (durcheinander)  Ja? Wirklich? Lass hören. (gehen dabei ab)
Jesus:                   (auf der Kanzel) Na, seht ihr? Geht doch. Und ihr? Muss ich da auch „Feuer“ rufen oder reicht der Ruf der malaysischen Frauen: (ruft)
Steht auf für Gerechtigkeit! (schauen wir mal, was dann passiert.
- Falls sie aufstehen:
Bravo, ich bin stolz auf euch. Macht’s gut.
- Falls sie sitzen bleiben: Lasst euch ruhig Zeit, denkt nach und ich bin sicher, irgendwann hält es euch nicht mehr auf den Sitzen. Ich habe da volles Vertrauen in euch. Macht’s gut.)






Samstag, 11. Februar 2012

Predigt 2.Kor (11,18.23b-30)12,2-10


Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Zirkuszelt.
In luftiger Höhe zeigt ein Seiltänzer seine Künste.
Die Menge schaut gebannt nach oben.
Das Trikot des Tänzers glitzert im Scheinwerferlicht.
Der Körper ist trainiert, das sieht man.
Anmutig und konzentriert, setzt er Fuß vor Fuß, hüpft, springt, spielt mit dem Abgrund unter ihm.
Dann, unbeholfen und tölpelhaft, folgt ihm ein Clown nach.
Er klettert zögernd die Stange hoch mit seiner unförmigen Gestalt, mit seinem albernen, breiten Grinsen aufgemalt auf seinem Gesicht. 
Oben angekommen schreckt er zurück, simuliert Schwäche, klammert sich an die Stange, an der das Seil befestigt ist.
Er hampelt ein wenig herum, traut sich dann doch aufs Seil und fällt nach ein paar Schritten scheinbar hinunter.
Schnell fängt sich mit dem Griff des Schirmes auf, lächelt dümmlich und schwingt sich wieder nach oben.
Der Seiltänzer scheucht ihn weg.
Der Clown hat unter den Artisten nichts zu suchen.
Der Clown hält sich die Arme schützend vor das Gesicht, läuft zurück, rutscht die Stange hinunter, landet auf dem Hintern.
Alles lacht amüsiert, etwas überlegen, und blickt dann wieder nach oben,
wo der Seiltänzer sie mit seinen Künsten wieder in seinen Bann zieht.

Ungefähr so muss man sich den Unterschied vorstellen,
den die korinthischen Christen vor Augen haben,
wenn sie an den Apostel Paulus und die anderen Aposteln in der Gemeinde denken.
Letztere brillieren mit ihrer Rhetorik.
Sie haben das Charisma, das Paulus fehlt, wenigstens, wenn es um die öffentliche Reden und öffentliches Auftreten geht.
Sie tanzen mühelos auf dem Seil der Kommunikation.
Sie predigen einen Jesus, der durchaus mithalten kann in der Landschaft der griechischen Philosophie.
Etwas schicker ist dieser Jesus, nicht gar so bäuerlich, strahlend in seiner Auferstehung und nicht der Jämmerling am Kreuz, jedenfalls nur kurz.
Paulus dagegen ist ein Schwächling in ihren Augen.
Er redet schlecht, sieht nicht gut aus, ist auch noch krank, insgesamt eine etwas groteske Ausgabe eines Apostels, eines Boten Gottes.
Sie wissen, dass Paulus theologisch einiges drauf hat.
Sie bewundern die Gedankenkraft seiner Briefe, aber das reicht nicht.
Er ist der Clown, der zu oft eine Torte ins Gesicht bekommen hat.
Sie können ihn nicht achten.
Sie suchen sich andere, strahlendere Kandidaten, die sich besser verkaufen können.

Paulus weiß das.
Aber er weiß auch, dass er die innere Stärke hat, die er aus seinem Glauben an Gott, aus seiner Begegnung mit Jesus speist.
Ihn kann nichts vom Seil herunter holen.
Er ist mit allen Wassern gewaschen und durch alle Feuer gegangen.
Keine Torte im Gesicht kann das ändern.
Eigentlich findet Paulus es daneben, die eigenen Fähigkeiten zur Schau zu stellen.
Aber wenn die Korinther nur auf Menschen hören, die sich selber rühmen, das kann er auch.
Wenn sie wollen, dass man sich zum Narren macht, bitte sehr.
Und er schreibt im 11. und 12. Kapitel des 2. Korintherbriefes eine Narrenrede, die mit Karneval allerdings wenig zu tun hat
und er entlarvt nach und nach alle Vorstellungen von Prestige und Stärke als Gottesferne:
Er schreibt:
„Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden.
Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.“

Paulus demonstriert eine Stärke, die die Korinther bisher nicht als Stärke wahrnehmen.
Da ist einer, der setzt sich allem aus.
Der kriegt viel ab, der pfeift auf gesellschaftliche Anerkennung und Sicherheit.
Und der weiß doch im Innersten, dass Gott bei ihm ist.
Gott wird sichtbar, wenn einer nicht auf andere Sicherheiten baut.
Daraus bezieht Paulus seine Stärke.
Er bleibt auf dem Seil und läuft weiter, egal, was geschieht.
Aber sympathisch ist diese Selbstdarstellung des Paulus nicht, diese endlose Aufzählung der erlittenen Schicksalsschläge. 
Sie werden die Korinther kaum hinter dem Ofen hervorholen.
Die leiden ja selber immer wieder unter Demütigungen.
Vielleicht nicht so krass wie Paulus, aber es reicht.
Hat er nicht mehr zu bieten?
Hat er nicht etwas, das erhebt, wie die ekstatischen Visionen der anderen Apostel,
die so wunderbar erleuchtet daherkommen und vieles zu bieten haben an interessanten Sätzen, die sie meinen von Gott gehört zu habe.
Doch, das hat Paulus.
Er entlarvt die nächste Vorstellung von Stärke und fährt fort:

„Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.
Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.
Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann.
Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit.
Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen.
Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.
Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche.
Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark."

Ich kenne einen Menschen.
Es ist kaum möglich mit mehr Distanz zu sich selber zu reden, als Paulus es hier tut. Denn es geht um ihn selber hier.
Er selber war nicht im 7., aber immerhin im 3. Himmel, hat einiges gesehen und gehört, was vermutlich auch die Korinther begeistern würde, und... schweigt darüber.
Ja, ich bin einer, der Visionen hat. Na und?
Ich sage es euch nur, damit ihr das annehmt, was wirklich wichtig ist, was ich euch geben kann.
Viel wesentlicher nämlich ist dieser Pfahl in meinem Fleisch, diese schmerzhafte Krankheit, die Gott nicht wegnimmt,
damit ich mich nicht überhöhe,
damit es nur darum geht, auf Gott zu hören, auf seine Gnade.
Weil Paulus das alles erlebt hat, heißt das, deshalb ist er in besonderer Weise geeignet das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu vertreten.
Deshalb ist er tiefer in seine Botschaft eingedrungen als jeder andere dieser Überapostel, wie er sie spöttisch nennt.
Und näher an all den anderen Schwachen dran.
Denn Jesus ist zu den Kranken und Schwachen gekommen, die keinen Sinn sehen können in ihrem Leiden,
die verzweifeln, die keinen Weg mehr sehen.
Die einzige Gnade, die er ihnen gewähren kann, ist ihnen klar zu machen,
dass nichts ihnen ihre Würde nehmen kann.
Sie sind Menschen, die es wert sind, gesehen und geachtet zu werden,
nicht für großartige Dinge, sondern einfach nur für die bloße Tatsache, dass sie Gottes geliebte Kinder sind.
Und aus seiner Kraft leben.
Dieses Sichzurücknehmen lässt Platz für andere.
Wer sich selber inszeniert auf dem Seil, der lässt keinen Platz für Gott, aber auch nicht für die Mitmenschen.
Im Bild der Stärke der Korinther und auch in unserer Gesellschaft stören die Stotterer, die Arbeitslosen,
die Menschen in Ländern, die immer am Rand ihrer Existenz wirtschaften, die Langweiler, die nichts zu bieten haben,
die Kranken, die nur noch jammern können,
die Depressiven, die nichts aus ihrem Tief herausholen kann.
Lass dir an meiner Gnade genügen, sagt Gott laut Paulus, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Hm. Ich weiß nicht.
Das klingt so jämmerlich, dass es ehrlich gesagt auch mir ein bisschen viel wird.
Paulus nimmt sein Leiden, das sich anscheinend kaum ertragen lässt,
denn sonst hätte er nicht Gott dreimal angefleht es von ihm zu nehmen,
er nimmt sein Leiden und füllt es mit Sinn.
An seinem Leiden können die Korinther sehen, wie Gott wirkt.
Leidende, Schwache können den Jesus am Kreuz am besten verstehen. 
Dieses Hochhalten der Schwäche, dieses völlige Zurücknehmen persönlicher Stärke?
Geht es darum?
Ist Paulus da ehrlich?
Denn eigentlich zeigt er seine Stärken ja durchaus. In seinen Briefen zum Beispiel.
Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Der Satz der Jahreslosung.
Sollen wir vielleicht ein Jahr der Schwäche ausrufen?
Geben die Christen nicht schon ohnehin schon ein jämmerliches Bild ab?
Sollen wir nicht gerade auch unsere Stärken leben, gerade auch in der Gemeinde?

Kehren wir doch noch einmal zurück zum Bild des Clowns.
Der berühmte Clown Charlie Rival hat die Clownerie perfektioniert.
In den kleinsten seiner Bewegungen,
selbst wenn er versucht sich auf einen Stuhl zu setzen,
ist er nahe dran an alle den anderen Ungeschickten, Lächerlichen,
die weit von der Anmut eines Seiltänzers entfernt sind.
Und er ist nahe an uns, die wir immer wieder dabei sind uns lächerlich zu machen, wenn wir eine Schwäche zeigen.
Aber er tut das nicht herzlos, nicht einfach boshaft entlarvend.
Er bringt die Menschen dabei zum Lachen, auch über sich selbst, er schenkt ihnen Momente des Glücks und der Leichtigkeit und sagt:

„Um Clown sein zu können, muss man intelligent sein, muss man menschlicher und feinfühliger sein und mehr Herz haben als alle die anderen.
Nur dann kann er andere zum Lachen bringen.
Ich bin ein Clown, mein Glück ist es, andere glücklich und froh zu machen.
Ich wurde ein Clown, weil Gott mir diese Gnade geschenkt hat.“

Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Vielleicht geht es darum: Der Seiltänzer ist ganz bei sich, der Clown ganz beiden anderen.
Und er hat eine Haltung, die nennt Paulus im Text:
Guten Mutes sein.
Trotz allem.
In Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen;
denn, so Paulus, wenn ich schwach bin, so bin ich stark."
Das ist eine Kunst.
Es ist auch eine Kunst, diese Art Mut anderen nahzubringen.
Diesen Mut kann man nicht aus sich selbst nehmen.
Er ist eine Gnade, die Gott allen gewährt, die offen dafür sind, in der Tiefe des Leidens, des eigenen Unvermögens dennoch alles von ihm zu erwarten.
So wie Paulus erwartet, dass er mit seinen paar im Grunde lächerlichen Gemeindegründungen dafür gesorgt hat, dass alle Welt von dem Glauben der Christen erfährt, wie er an anderer Stelle schreibt.
So wie wir erwarten, dass in unserer Gemeinde trotz schwindender Mitglieder Dinge wachsen und gelingen, statt weniger zu werden und zu sterben.
So wie wir erwarten mit der gesamten Christenheit, dass Versöhnung und Friedfertigkeit und Verzicht auf Gewalt und die Anhäufung von Besitz die ganze Welt befrieden könnte und uns damit auch immer wieder lächerlich machen.
So wie wir versuchen guten Mutes zu bleiben, wenn Dinge sich schwierig gestalten, das Geld fehlt oder unsere Kraft am Ende ist und einander immer wieder aufhelfen im Namen Gottes.
Dann muss das reichen, was Gott in seiner Gnade immer wieder in Gang setzt seit Anbeginn der Schöpfung, das Leben in all seiner Unvollständigkeit und Schönheit.
Dann werden wir zu den Narren, die Gott sich wünscht,
Narren, die tatsächlich glauben und auch immer wieder erfahren, dass nichts, gar nichts, sie trennen kann von der Liebe Gottes,
Narren, die Gott immer wieder alles aus sich herausholen lassen und die sich dazu bringen lassen, es mit anderen zu teilen.
Dann halten wir uns gemeinsam auf dem Seil,
obwohl wir nicht schwindelfrei sind und unser Gleichgewichtssinn zu wünschen übrig lässt und wir so gar nicht anmutig aussehen.
Aber das Glück, dass Gott da ist und wir seinem Wort folgen und den guten Mut, damit auf dem richtigen Weg zu sein, das darf man uns Narren ruhig anmerken.
Denke ich.
Amen.