Samstag, 22. September 2012

Der selbstsüchtige Riese (nach Oskar Wilde) Erntedank und Kitaeinweihung 2012


Der Selbstsüchtige Riese (nach einer Erzählung von Oskar Wilde)

Erzähler:           Es war einmal vor langer Zeit, da lebte ein Riese mit Namen Hans. Hans hatte ein Haus und einen großen Garten. Einen wunderschönen Garten. Er lebte dort alleine.
Ab und zu machte er eine Reise und besuchte seinen Freund Peter.
Der war auch ein Riese und die beiden verstanden sich gut.
Immer wenn sie sich sahen, hatten sie viel zu erzählen und zu besprechen. Ein Besuch dauerte immer Jahre.
Gerade ist Hans wieder bei Peter. Hören wir ihnen einen Moment zu.

Hans:                  Ach, Peter, du bist mein bester Freund, also verstehe mich nicht falsch, aber ich glaube, ich muss mal wieder nach Hause reisen.
Peter:                  Ach, Hans, weißt du, ich habe dich gerne zu Besuch. Aber jetzt, nach sieben Jahren könnten wir wirklich mal wieder eine Pause vertragen. Mir fällt nichts mehr ein, worüber wir reden könnten.
Hans:                  Du hast Recht. Ich muss ja auch mal zu Hause nach dem Rechten sehen.
Peter:                  Wer weiß, wer sich da in deinem schönen Garten herumtreibt.
Hans:                  Das wagt keiner. Die Leute wissen, dass ich ganz laut brüllen kann. Die haben Angst vor mir.
Peter:                  Wer weiß. Immerhin warst du sieben Jahre nicht zu Hause.
Und ich habe gehört, das Kinder ziemlich neugierig sind und immer einen Platz suchen zum… Was tun Kinder nochmal immerzu?
Hans:                  Spielen?
Peter:                  Richtig, spielen. Wozu soll das gut sein? Weißt du das?
Hans:                  Keine Ahnung. Ich habe nie gespielt.
Peter:                  Ich auch nicht. Ist bei Riesen ja auch nicht üblich. Wir lernen laut zu brüllen, damit alle Respekt vor uns haben.  
Hans:                  Ja, genau. Respekt fehlt den Kindern von heute. 
Peter:                  Du hast Recht. Diese Kinder! Die wollen sich einem auf den Schoß setzen und am Bart zupfen! Und man soll ihnen Geschichten vorlesen und einen Ball hin und her schießen. Habe ich gehört.
Hans:                  Unmöglich!
Peter:                  Du sagst es.
Hans:                  Und ihre hohen Stimmen und dieses Kreischen! Kaum zum Aushalten.
Peter:                  Woher weißt du das?
Hans:                  Ich habe sie manchmal auf der Straße gehört. Und dann wollen sie immer Eis.

Peter:                  Pfui Teufel. So eine matschige, labrige Sache. Ein anständiges Stück Fleisch ist mir lieber.
Hans:                  Mir auch.
Peter:                  Wollen sie auch in deinen Garten?
Hans:                  Kann schon sein, aber da traut sich kein Kind rein, aus Angst vor mir. 
Ich will das auch nicht. Der Garten gehört mir. Ich will meine Ruhe haben.
Die Kinder sollen sich daran gewöhnen, dass sie nicht alles tun können, was sie wollen.
Gebt ihnen ein Eckchen Spielplatz, einen Lehrer, der aufpasst. Das reicht doch! Aber jetzt mache ich mich mal auf den Weg. Mach’s gut, Peter, man sieht sich.
Peter:                  Alles Gute, Hans. Bis dann. (klatschen sich gegenseitig auf die Hände)
Riese:                 (geht und wandert durch den Raum)
Kinder:               (kommen und spielen)
Kind 1:               Ach, ist das schön, dass es diesen wunderbaren Garten gibt.
Kind 2:               Ja, auf diesen Bäumen kann man so schön klettern.
Kind 1:               Und auf dem Rasen kann man Fußball spielen.
Kind 2:               Und kein Auto kommt uns in die Quere.
Kind 1:               Wem gehören eigentlich der Garten und das Haus hier?

Kind 2:               Meine Mutter sagt, einem Riesen, aber der ist schon lange nicht mehr da gewesen.
Kind 1:               Na, hoffentlich bleibt der noch lange weg.
Riese:                 (kommt und sieht die Kinder, stemmt die Arme in die Seiten, schreit) Na sagt mal, was tut ihr denn hier?!
Kinder:               (erstarren vor Schreck) Huch!! Der Riese.
Riese:                 Haut bloß ab. Raus aus meinem Garten. Das ist mein Garten. Da geht niemand rein, außer mir. Hier (holt Schild „Eintritt sehr verboten!“), schreibt euch das hinter die Ohren und jetzt weg mit euch, bevor ich noch deutlicher werde (zeigt vielsagend seine Hand).
Kind 1:               Nichts wie weg hier. (Kinder rennen weg.)
Riese:                 So und jetzt baue ich eine Mauer. Dann kommt keiner dieser Kinder da rein. (nimmt Kartons) Das kann doch nicht wahr sein, spielen die in meinem Garten.
Erzähler:           Und so baute der Riese eine hohe Mauer um seinen Garten. Und ließ niemandem mehr hinein. Der Sommer ging dahin, der Herbst kam, die Blätter fielen und bald schon deckte eine Schneedecke alle Bäume und Gräser des Gartens zu. Und der Winter kam (Decke über den Baum hängen) und der Winter ging und überall begannen die Blätter an den Bäumen hervorzuschauen und Blumen blühten und der Frühling hielt Einzug. Nur im Garten des Riesen blieb alles weiß und kalt. Der Nordwind pfiff und der Riese wunderte sich.
Riese:                 Meine Güte! Kommt der Frühling dieses Jahr aber spät. Was ist denn nur los?
Erzähler:           Das konnte der Riese natürlich nicht wissen, aber die Jahreszeiten hatten gesehen, wie der Riese die Kinder aus dem Garten vertrieben hat. Sie waren sehr ärgerlich und unterhielten sich darüber:
Frühling:           Ich will nicht mehr in den Garten des Riesen kommen. Der denkt nur an sich. Wieso soll ich da die Apfelbäume zum Blühen bringen?
Sommer:            Du hast recht, Frühling. Der Riese ist gemein zu den Kindern. Ich werde auch nicht kommen und die Äpfel reifen lassen. Was meinst du Herbst?
Herbst:               Ich stimme euch zu. Das wäre ja noch schöner, dass der mit Obst und Nüssen belohnt wird. Kommt gar nicht in Frage. Winter, spielst du mit?
Winter:              Na klar doch, kein Problem. Ich bin gerne mal etwas länger vor Ort. Da kann ich mich so richtig austoben.
Erzähler:           Und so blieb der Winter im Garten des Riesen und der Riese verließ das Haus nicht mehr, weil der Schnee so hoch lag und der Nordwind so pfiff. Ein Jahr lang saß er im Haus und wunderte sich. Doch dann, eines Tages, sang plötzlich eine Amsel vor seinem Fenster. Er hatte Vogelstimmen so lange nicht mehr gehört, dass ihm das wie der schönste Gesang der Welt vorkam.
Riese:                 Ach, da kommt ja der Frühling. Ich schaue mal raus. Ohhh.
Erzähler:           Was der Riese sah, kam ihm wie ein Wunder vor. Überall entfalteten sich grüne Blätter, streckten Blumen ihre Köpfe aus der Erde, finden die Blüten an den Bäumen an zu blühen. Was war geschehen? Seht selbst.
Kind 1:               Kommt, das Loch in der Mauer ist sehr praktisch,  wir kriechen durch. Huch, hier ist ja noch Winter.
Kind 2:               Aber sieh nur, der Winter verzieht sich. (Decke vom Baum ziehen). Wir können wieder spielen.
Kind 1:               Der Riese ist sicher wieder vereist, oder?
Kind 2:               Ja, sicherlich, wir haben ihn lange nicht gesehen.
Kind 1:               Schau, da kommt er.
Kind 2:               Nichts wie weg. (wollen wegrennen)
Riese:                 Halt, halt, wartet.
Kinder:               (zögern)
Riese:                 Tut mir leid, Kinder. Ich war ein Dummkopf. Ein Riesenblödmann.
Kind 1:               Na, na, nun ist es ja gut.
Kind 2:               Was heißt das denn?
Kind 1:               Ja, das kann ja jeder sagen.
Riese:                 Wozu blühen die Bäume und die Blumen, wozu wächst das Gras auf meinem Rasen, wenn keine Kinder da sind, die sich daran freuen?
Kind 2:               Ich glaub’s ja nicht.
Riese:                 Ich hatte ein eisiges Herz. Aber das ist nun getaut. Und ich freue mich sehr, dass ihr da seid. Bitte geht nicht wieder weg. Schaut, ich reiße die Mauer ein.
Kind 1:               Und wir dürfen hier immer rein?
Riese:                 Immer. Und ihr dürft spielen, was ihr wollt.
Kind 2:               Auch Fußball? Hier auf dem Rasen?
Riese:                 Ja, wenn ihr nur ein wenig aufpasst, dass... Ach, was, natürlich auch Fußball, was kümmern mich schon Löcher im Rasen und ein paar braune Stellen?!
Kind 1:               Das ist toll. Du hörst dich an, als könntest du unser Freund werden.
Riese:                 Ja, wirklich? Das freut mich aber sehr! Das müssen wir feiern!
Kind 2:               Ein guter Freund besorgt Eis, wenn er mit seinen Freunden feiern will...
Riese:                 Eis? Aha. Na gut, ich meine, natürlich, gerne, bin gleich wieder da. Setzt euch solange.
Erzähler:           Alles wurde anders. Die Kinder spielten vom Frühjahr bis zum Herbst im Garten des Riesen und der Riese half ihnen geduldig beim Bäumeklettern und im Fußballtor war er der Beste.
Auch im Winter besuchten die Kinder den Riesen im Schloss.
Der Garten des Riesen blieb für sie ein sicherer Platz, der ganz ihnen gehörte.
Nach zwei Jahren erhielt Peter, der Freund des Riesen, einen Brief von Hans.
Peter:                  (hält den Brief in der Hand) Ahh, Post. Von Hans. Na, mal sehn, was er schreibt.

„Mein lieber guter Freund!“
Nanu, was ist denn mit Hans los? Der ist doch sonst nicht so überschwänglich.
„Gerade sitze ich unter meinem Baum und (stutzt)... und schaue den Kindern zu“?
Den Kindern? Also, was ist denn da los?
„Ich bin so glücklich. Ja, ich kann sagen, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben wirklich glücklich.
Vor mir pflücken die kleine Anna und die kleine Kaja Blumen. Ihre Großmutter hat Geburtstag und sie wollen ihr einen schönen Blumenstrauß schenken. Da dürfen sie natürlich die schönsten Blumen aus meinem Garten nehmen.“
Natürlich? Diese Kinder rauben seinen Garten aus und der nennt das ‚natürlich“?!
„Gerade kommt der kleine Felix und erzählt mir vom Religionsunterricht. Da haben sie die Geschichte der Schöpfung erzählt bekommen und ich habe gelernt, dass Gott die Welt wie einen Garten geschaffen hat. Damit alle sich daran freuen können.“
Also das ist mir neu.
„Mein alter Freund, ich nehme an, dass du sehr erstaunt bist, solches von mir zu hören.
Aber ich sage dir, ich habe meine Meinung doch sehr geändert. Über das Leben im Allgemeinen und über die Kinder im Besonderen. Du glaubst ja gar nicht, wieviel Spaß es macht, mit ihnen zu spielen. Ich habe da sehr viel nachzuholen, wie du weißt.
Ich glaube, wir Riesen haben das Spielen einfach sehr unterschätzt.
Meine Mutter hat immer gesagt: Lerne Lesen und schreiben und rechnen und ehre deine Eltern. Lerne wie ein Riese zu brüllen und iss, was auf den Tisch kommt. Dann kommst du durchs Leben.
Aber das macht das Leben nicht aus. Ich habe mich zu einer anderen Ansicht bekehrt: Gott hat uns das Leben geschenkt, damit wir zusammen Spaß haben, damit wir genießen, was er uns schenkt, in der Natur und durch unsere Mitmenschen.
Und ich sage dir, alter Freund, niemand kann einem das Spielen und Genießen so gut nahebringen, wie gerade die Kinder.
Irgendwie sind sie Gott näher, habe ich den Eindruck.“
Ist der jetzt ganz durchgedreht? Was noch?
„Neulich erzählte mir ein Kind ganz aufgeregt, dass eine Kita geschlossen werden soll. Es gäbe kein Geld für die nötigen Reparaturen. Die Bürgerversammlung habe sich entschieden, andere Kitas zu fördern. Was soll ich dir sagen?
Ich habe mich aufgerafft und meinen Garten verlassen und habe mich bei der Bürgerversammlung gezeigt und meine Stimme erhoben. Erstaunlich, wie fügsam Menschen plötzlich werden können, wenn sie einem Riesen begegnen. Na, die Kita ist jedenfalls gerettet.
Ich wünschte mir sehr, dass du mich diesmal besuchst und an meinem Glück teilhaben könntest.
Du hast es auch nötig, das Leben von der anderen Seite zu sehen.
Das wünscht dir mit liebsten Grüßen, dein alter Freund Hans.
Mit liebsten Grüßen? Die haben den fertig gemacht. Das ist doch kein ordentlicher Riese mehr. Ich mache mich sofort auf den Weg. Hans braucht Hilfe. Dringend. Hans, ich komme. Ich hole dich da raus. Ich helfe dir. (geht währenddessen ab).
Erzähler:                  Dass Peter damit wenig Erfolg hatte und selber so angesteckt wurde von der Freude an den Kindern, dass er sich entschloss, bei Hans zu bleiben und beide Riesen zu den Schutzherren der Kinder der kleinen Stadt wurden, das ist dann eine andere Geschichte.

Samstag, 15. September 2012

Gal 5/6 15. Predigt am Trinitatis 2012

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Solange wir noch Zeit haben.
Zeit ist kostbar, sagen wir.
Der Satz wird wichtig, wenn die Zukunft eng wird,
ein Lebensabschnitt sich dem Ende nähert
oder einfach eine schöne Zeit, wie der Urlaub etwa.
Solange wir noch Zeit haben, lass uns den letzten Abend am Meer genießen.
Solange wir noch Zeit haben, lass uns die Kinder genießen,
denn bald schon gehen sie in ihr eigenes Leben.
Wer  weiß, dass Zeit knapp werden kann, kann in Panik verfallen,
Aber häufig werden einem die schönen Dinge und ihr Wert deutlicher bewusst als zuvor.
Es wird klarer, was wirklich zählt und was das Leben lebenswert macht.
So beschreibt auch der Schriftsteller Alan Lightman  eine Welt,
in der alle wissen, dass ihre Zeit gezählt ist und nicht mehr lange dauern wird.
Er beschreibt sie als eine Welt der Freude und der Lebensintensität.
Hören wir einen Moment da hinein:
„Die Welt wird am 26. September 1909 untergehen.
Das weiß jeder.
In Bern ist es wie in allen großen oder kleinen Städten.
Ein Jahr vor dem Ende schließen die Schulen ihre Tore.
Warum noch für die Zukunft lernen, bei so einer kurzen Zukunft.
Die Kinder, entzückt, dass sie für immer frei haben,
spielen unter den Arkaden der Krangasse Verstecken,
verplempern ihr Geld für Pfefferminz und Lakritz.
Einen Monat vor dem Weltende schließen die Geschäfte.
Das Bundeshaus stellt seine Beratungen ein.
In den Straßencafes sitzen die Leute, trinken Kaffee
und reden unbeschwert über ihr Leben.
In der Luft liegt ein Hauch von Freiheit.
In der Bäckerei in der Marktgasse schiebt der Bäcker mit seinen plumpen Fingern Teig in den Ofen und singt.
In der letzten Zeit sind die Leute höflich, wenn sie ihr Brot bestellen.
Sie lächeln und bezahlen umgehend, denn das Geld verliert seinen Wert.
Es macht ihnen anscheinend nichts aus, dass die Welt bald untergeht,
weil allen das gleiche Schicksal bevorsteht.
Eine Welt, die nur noch einen Monat vor sich hat,
ist eine Welt der Gleichheit.
Einen Tag vor dem Ende sind die Straßen von lachenden Menschen erfüllt. Nachbarn, die nie miteinander gesprochen haben,
grüßen sich wie Freunde,
legen ihre Kleider ab und baden im Brunnen.
Einige wenige sausen durch die Straßen und verrichten gute Taten,
um frühere Missetaten wiedergutzumachen.
Es sind die einzigen, deren Lächeln etwas gezwungen wirkt.
Eine Minute vor dem Weltuntergang
versammeln sich alle auf dem Gelände des Kunstmuseums.
Männer und Frauen bilden einen riesigen Kreis
und fassen sich bei den Händen.
Keiner rührt sich.
Keiner sagt ein Wort.
Eine Wolke schwebt am Himmel.
Ein Spatz flattert.
Ein blauer Enzian fängt das Licht an der Unterseite seiner Blüte,
erglüht für einen Moment,
um gleich darauf unter den übrigen Blumen zu verschwinden.
Keiner sagt ein Wort.
Das Ende nähert sich wie der näher kommende Boden.
Kühle Luft rauscht vorbei, die Körper sind schwerelos.
Der stille Horizont tut sich meilenweit auf.
Und von unten rast die endlose Schneedecke
diesem Kreis aus rosarotem Leben entgegen,
um ihn einzuhüllen.“
(Auszüge aus Alan Lightman, Und immer wieder die Zeit, 2004, S. 63 ff)

Seit einigen Jahrzehnten sind wir damit beschäftigt
über den möglichen Untergang der Welt nachzudenken,
ihn zu befürchten, ihn zu verhindern.
Umweltkatastrophe, atomare Bedrohung –
Es gibt da einige Szenarien, die einem nicht gerade gute Laune machen.
Die ersten christlichen Gemeinden erwarten auch das Ende der Welt.
Bald.
Aber ihre Stimmung ähnelt eher die der Menschen in Bern,
die wir gerade gehört haben.
Knapp 20 Jahre nach dem Tod Jesu bezweifeln einige zwar, dass Jesus und mit ihm das Reich Gottes bald kommen wird.
Aber die Sprecher werden nicht müde, die Stimmung zu halten.
Bald ist es soweit!, sagen sie.
Lebt, als ob es schon soweit wäre,
als ob Gottes Liebe schon das Leben aller auf der Welt bestimmt.
Liebt aus voller Kraft und mit ganzem Herzen.
Alles andere ist doch absurd angesichts einer solchen Zukunft.
So redet auch der Apostel Paulus zu der etwas widerspenstigen Gemeinde in Galatien im 5. und 6. Kapitel des Galaterbriefes, dem heutigen Predigttext.

25Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben, dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen.
26Wir wollen nicht mit unseren vermeintlichen Vorzügen voreinander großtun, uns damit gegenseitig herausfordern oder einander beneiden.
Brüder und Schwestern, auch wenn jemand unter euch in Sünde fällt, müsst ihr zeigen, dass der Geist Gottes euch leitet.
Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg. Passt aber auf, dass ihr dabei nicht selbst zu Fall kommt!
Einer trage des anderen Last. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gibt.
3Wer sich dagegen einbildet, besser zu sein als andere, und es doch gar nicht ist, betrügt sich selbst.
Macht euch nichts vor! Gott lässt keinen Spott mit sich treiben. Jeder Mensch wird ernten, was er gesät hat.
8Wer auf den Boden der menschlichen Selbstsucht sät, wird von ihr den Tod ernten.
Wer auf den Boden von Gottes Geist sät, wird von ihm unvergängliches Leben ernten.
9Wir wollen nicht müde werden zu tun, was gut und recht ist.
Denn wenn die Zeit da ist, werden wir auch die Ernte einbringen; wir dürfen nur nicht aufgeben.
10Solange wir also noch Zeit haben, wollen wir allen Menschen Gutes tun, besonders denen, die mit uns durch den Glauben verbunden sind.

Solange wir noch Zeit haben.
Für Paulus ist das eine befreiende Aussicht.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit, schwärmt er daher auch am Beginn dieses Abschnittes.
Kein Grund mehr, den Gesetzen der Welt mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nötig.
Wir dürfen ungehemmt nach den Lebensgeboten Gottes leben.
Lasst uns daher einfach Gutes tun.
Wir regeln noch den Alltag, soweit notwendig.
Und wenn da jemand daneben liegt und Mist baut, natürlich,
dann werden wir ihm freundlich, ohne großes Theater wieder helfen,
auf den richtigen Kurs zu kommen.
Aber aller Neid, alle Selbstdarstellung ist doch Unsinn.
Uns steht die große Liebe Gottes vor Augen, die Jesus uns vorgelebt hat,
 als Zukunft der Welt, als sichere Zukunft der Welt.
Wer wird sich da noch damit abgeben, sich mit anderen zu vergleichen, den anderen herabzusetzen oder sonst irgendwelche Spielchen treiben?!
Das kommt nicht gut an, dann, wenn der Zeitpunkt da ist.
Gott wird darüber nicht lachen, sondern sich ziemlich wundern, wie jemand so blind sein konnte.
Also, angesichts dieser Zukunft sind wir alle gleich,
leben in einer Welt der Gleichheit,
sind einander Brüder und Schwestern
und dürfen Gottes geöffneten Armen entgegenleben.

Paulus hat sich alle Mühe gegeben.
Aber anscheinend war das alles leichter gesagt als getan.
Der Mensch scheint sich so an seinen Alltag und seine eigene Persönlichkeit zu klammern,  
dass er sich in der Weite der Liebe ein wenig verloren vorkommen kann.
Was bleibt denn noch, wenn alle gleich sind?
Was ist das für eine Zukunft, eine Freiheit in der alles,
was unser Leben und unsere Personen ausmacht, relativiert wird?
Und dann sind da doch noch Kinder, die erzogen und versorgt werden müssen, Arbeit, die verrichtet werden muss, um das Überleben zu sichern.
Da sind die Römer, die den Christen doch immer mehr zusetzen, weil sie angeblich nicht mehr zum Judentum gehören.
Da muss man doch aufpassen.
Da braucht es doch ein bisschen Absicherung.
Wie ist das zum Beispiel mit der Beschneidung?
Großes Thema in der Gemeinde der Galater.
Es ist ja nett von Paulus, dass er alle Welt zu ihrem Glauben einlädt,
Aber bitte schön,
die Juden bleiben Gottes Volk
und sie, die Christen, wollen doch weiter dazugehören.
Und wer zu Gottes Volk gehört, der hat das zu zeigen,
durch die Beschneidung.
Die Nicht-Beschnittenen mögen sich Mühe geben,
aber so richtig kann man sie doch nicht ernst nehmen, oder?
Es geht doch um unsere Identität.  
Paulus verpasst ihnen eine kalte Dusche:
Er ist nicht gegen die Beschneidung, aber er sieht das mittlerweile lockerer.
Wie es im übrigen auch die Juden heute lockerer sehen würden,
wenn wir ihren Diskussionen Anfang des 20. Jhs. nicht durch die Shoa ein abruptes Ende gesetzt hätten.
Paulus aber mahnt, diese Zeichen nicht zur Abgrenzung zu verwenden.
Wir wollen nicht mit unseren vermeintlichen Vorzügen voreinander großtun, sagt er,
wir wollen uns nicht damit gegenseitig herausfordern oder einander beneiden.
Geht gar nicht:
„Wer sich einbildet, besser zu sein als andere, und es doch gar nicht ist, betrügt sich selbst.“
Macht euch nichts vor! Gott lässt keinen Spott mit sich treiben.
„Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben, dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen.“
Basta.

Wir sind Paulus und den Galatern ein wenig überlegen.
Wir wissen zwar auch nicht, wie das Ganze hier mit der Erde ausgeht.
Aber wir wissen, dass sich die Welt in den knapp 2000 Jahren,
die seit dem Brief vergangen sind,
nicht grundlegend verändert hat.
Ich glaube aber, würde Paulus würde heute dennoch nicht anders reden, als damals.
25Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben, dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen.
Und der Geist dieses Lebens heißt bei Paulus zusammenfassend Freundlichkeit.
Ich glaube, Paulus könnte sich den Mund fusselig reden und würde auch bei uns letztlich nichts ausrichten,
nicht bevor wir nicht die Erfahrung gemacht haben,
dass die  Freiheit freundlich zu sein uns tatsächlich trägt und das Licht der Welt sich verändert.
Deshalb verlasse ich jetzt Paulus und seine Galater und lade Sie und euch ein, den Versuch zu machen, uns das vorzustellen.
Berlin im Jahr 2012.
Gott kommt. Bald. Am 1. Dezember.
Nicht, um die Erde zu zerstören,
sondern ihr zu einem neuen Gesicht zu verhelfen
oder besser, das alte paradiesische  wieder zu Zug kommen zu lassen.
Das wissen alle und sie haben kein Problem damit.
In Berlin ist es wie in allen großen oder kleinen Städten der Welt.
Die Freude breitet sich aus, die Leichtigkeit.
Zu Jahresbeginn schon haben die Schulen ihre Tore geöffnet.
In Zukunft wird ja ohnehin anders und anderes gelernt.
Jeder, der sich interessiert, darf kommen und sein Wissen auffrischen,
in Geschichte, in Mathematik. 
Die Kinder und Jugendlichen, entzückt, dass die Noten abgeschafft wurden,
freuen sich über die  Achtung,
die ihnen von Erwachsenen entgegengebracht wird.
Sie setzen sich freundlich mit ihnen hin, um den Satz des Pythagoras zu erklären oder warum die Marktwirtschaft auf Dauer ein Problem darstellt.
Wissen wird miteinander geteilt und überprüft,
ob es dem Zusammenleben dient,
ob es die Gaben der einzelnen fördern kann.

Auf den Straßen herrscht fröhliche Ruhe.
Keiner hat es mehr eilig.
In den Straßencafes sitzen die Leute, trinken Kaffee  und lesen Zeitung.
Gute Nachrichten stehen auf den ersten Seiten.
Assad hat sich reumütig in ein Fitnesscenter zurückgezogen, um dort seine zerstörerische Energie abzuladen.
In den amerikanischen Botschaften der arabischen Länder
lernen die Mitarbeiter wie man Falaffel backt
und geben das sorgsam gehütete Geheimnis der Cocacolaherstellung weiter.
Und so kommen vielerorts die Dinge in Bewegung.
Die Menschen reden miteinander unbeschwert über ihr Leben.
In der Luft der Stadt Berlin liegt ein Hauch von Freiheit.
Viele gehen zu Fuß, haben Zeit,
weil sie nur noch der Arbeit nachgehen, die nötig erscheint oder die Spaß macht. Keiner hat es mehr nötig, sich auf Kosten anderer  zu profilieren oder gar Reichtum anzuhäufen.
Die Menschen begegnen einander mit Freundlichkeit, interessiert, mit einem Lächeln.
Autos stehen am Straßenrand.
Wer dringend eines braucht, nimmt sich eines und stellt es an anderer Stelle wieder ab.
Ein Auto für sich alleine zu besitzen oder gar zu stehlen erscheint absurd.
Die Geschäfte haben nicht geschlossen.
Aber nicht alle werden noch häufig besucht.
Das neueste Apple Iphone 5 z.B. verstaubt in den Regalen,
seit die Menschen die begrenzte Zeit ernstnehmen
und den Wert der Gespräche von Mensch zu Mensch wieder entdeckt haben.
Für alles andere reichen die alten Handies lange hin.
In den Bekleidungsgeschäften beraten freundliche Verkäufer die,
die sich schon lange nicht mehr hineingetraut haben.
Sie nehmen sich Zeit den jeweiligen Menschen zu erkennen
und suchen Kleidung heraus, die seine Persönlichkeit unterstreicht.
Gerade verwandelt sich ein Penner von den Yorckbrücken bei Karstadt
durch seinen Frack in den adeligen freundlichen Herrn,
als den Gott ihn geplant hatte.
Im Bundestag sieht man die Abgeordneten sinnend durch die Gänge wandeln. Sie haben sich die Aufgabe gestellt,
zum 1. Dezember einen Gesetzentwurf herauszubringen,
der das  Wort „Einer trage des anderen Last“ im Grundgesetz neu und lebbar verankert.
Dabei entgeht ihnen, wie sehr sich das Leben auf den Straßen schon in diese Richtung entwickelt.
Aber das ist ja nicht Neues.
Immerhin denken sie schon in dieselbe Richtung.  
In den Kirchen, in den Synagogen, Moscheen und sonstigen Gotteshäusern herrscht Hochbetrieb.
Arm in Arm wandeln Rabbis und Imame, Priester und Pfarrerinnen durch die Räume und Anlagen,
und bringen einander mit entschlossener, nur wenig verkrampft wirkender Freundlichkeit
die eigenen Vorstellungen vom gegenseitigen Lastentragen nahe.
Die eigenen Riten werden weiter ausgeübt, aber mit lächelnder, einladender Fröhlichkeit.
Dumme Filme über Religionsgründer, Hass auf die Spötter –
all das scheint schon lange her zu sein, unwirklich, wie aus einer fremden Welt.
Eine Welt, die nur noch wenige Monate in der alten Form vor sich hat,
ist eine Welt der Gleichheit.
Zum ersten Mal leben alle in derselben Zeit.
Da redet doch niemand mehr über Geld.
Der Rettungsschirm wird weit aufgespannt, über die Grenzen Europas über die ganze Welt.
Da kann doch niemand im Regen stehen gelassen werden.
Das letzte Kerosin wird unermüdlich in Flugzeuge gepumpt um schnell Nahrung und hilfreiche Geräte in vom Hunger bedrohte Erdteile zu bringen.
Sie kehren zurück, beladen mit erschöpften Menschen,
die sich für einige Wochen bei den wohlhabenden Geschwistern erholen sollen und geimpft und mit neuen Anregungen in ihr Land zurückkehren werden.
Das Straßenbild hat sich seither dadurch sehr verändert.
Ein wenig schwermütig sitzt ein Milliardär am Straßenrand.
Er hat noch keinen Weg gefunden,
am neuen Leben teilzunehmen, in dem Geld keine Rolle spielt.
Aber ein Geiger bemüht sich liebevoll um ihn.
Mozarts „Reich mir die Hand mein Leben“ klingt verlockend durch die Straßen und wird auch diesen Mann nicht unberührt lassen.
Für den 1. Dezember ist ein großes Fest geplant.
Überall auf der Welt lernen die Kinder schon Gedichte,
um Gott willkommen zu heißen.
Denken die Eltern jedenfalls.
In Wirklichkeit erarbeiten sie eine umfassende Vision für das Zusammenleben der Welt,
in der eine gerechte Verteilung von Speiseeis, Skaterbahnen und Elternschulungen eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen.
Ein geheimes, nur Kindern und Jugendlichen zugängliches Portal im Internet sorgt für eine Vernetzung der wichtigsten Pläne.
Und dann, am 1. Dezember, stehen alle still und warten.
Man hat sich bemüht.
Auf der Welt herrscht schon jetzt eine Gerechtigkeit,
deren Frucht der Friede ist und den Seelen der Menschen Ruhe gebracht hat, eine ewige wohltuende Stille, von der der Prophet Jesaja in Florians Taufspruch geträumt hat.
Kein Schuss ist mehr zu hören auf der ganzen Welt, kein gequälter Schrei.
Es ist erstaunlich,
welche Freude sich in der Welt ausgebreitet hat, weil alle sich sicher fühlen und keine Angst mehr voreinander haben.
Gott, das spüren die Menschen, hat schon seine Engel vorgeschickt,
die Steine aus dem Weg zu räumen und den Weg zu ebenen,
wie es in Sophias Taufspruch versprochen wurde.
Seine sanfte Führung schenkt den Menschen das Vertrauen,
das kein Wanken der Berge je Gottes Gnade erschüttern kann.
wie Gott in Jonas Taufspruch bestätigt.
Gott hält Einzug sich wie der näher kommende Boden.
Ein schwingendes Schweigen rauscht durch die Welt,
die Körper werden für einen Moment schwerelos.
Der stille Horizont tut sich meilenweit auf.
 
Und die Menschen ... sehen.
Alles ist neu und vertraut zugleich.
Das Warten und Sorgen ist vorbei.
Alles wird geheilt und darf neu beginnen.
„Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben, dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen“,
liest einer ergriffen aus dem alten Buch vor.
Niemand wird diesen Moment des neuen Sehens je vergessen.
Wir haben diesen Moment erlebt.
Viele von uns sind getauft oder auf andere Weise von Gott gerufen worden, eingeladen in Gottes neue Welt,
eingeladen, seinen geöffneten Himmel zu sehen,
eingeladen, uns Gottes Geist zu öffnen.  
Dann wollen auch wir aus diesem Geist unser Leben führen.
Amen