Samstag, 20. April 2013

Gen 1, 1- 2,4a Jubilate 2013

Eine Predigt, unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus einem Vortrag von Prof. Dr. Gerhard Ackermann über den 1. Schöpfungsbericht aus naturwissenschaftlicher Sicht:

Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde, so lautet der erste Satz der Bibel und unseres Predigttextes für den heutigen Sonntag.
Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.
Am Anfang?
Und was war vor dem Anfang?
Bevor Gott Himmel und Erde erschuf?
Die jüdischen Denker waren etwas bescheidener als manche Naturwissenschaftler heute.
Sie treten gar nicht erst an, um diese Frage zu beantworten.
Bereschit – im Anfang, ein Wort, das mit B beginnt, ganz bewusst mit B und nicht mit A, dem ersten Buchstaben auch des hebräischen Alphabets.
Erkennen, was vor unserem Anfang liegt, dafür reicht unsere Weisheit, unser Gehirn, würden wir heute sagen, nicht aus.
Lassen wir es einfach, meinten die jüdischen Gelehrten.
Lassen wir es bei Gott.
Kümmern wir uns um das, was wir sehen und erkennen und erforschen können.
Nehmen wir unseren Platz ein und beginnen wir mit unserem Anfang.

Warum taten das die Juden im 6. Jahrhundert vor Christi?
Warum gedachten sie des Anfangs des Lebens und warum schrieben sie diesen naturwissenschaftlichen Bericht?
Und warum schrieben sie ihn als Loblied?

Nehmen wir für einen Moment Platz, neben ihnen,
auf einer Mauer am Rande des Flusses Euphrat in Babylon,
im 6. Jh. vor Christi, wo sie sich versammelt haben.
Schauen wir mit ihnen zusammen auf das Wunder des Lebens und hören auf ihre gesprochenen und inneren Worte.
Und wir sehen, dass wir von Menschen umgeben sind, die trauern.
Sie schauen mit nüchternen, fast leeren Blicken auf das Wasser.
Sie denken an ihre ferne Heimat Israel, an den Jerusalemer Tempel, der Wohnstatt Gottes.
Alles zerstört, alles durcheinander geworfen,
sie selber deportiert um einen neuen Anfang in Jerusalem unmöglich zu machen.
Ein Chaos.
Das Leben ist aus den Fugen geraten, ihre alte Ordnung dahin.
Wo ist Gott, nachdem unser Tempel zerstört wurde?, fragen sie sich.
Hat er uns allein gelassen hier in der Fremde?
Die Tage gleiten dahin.
Die Zeit dehnt sich zu Tagen, Wochen, Monaten, Jahren.
Wo ist Gott?
Eine gute Frage, die wir auch immer wieder stellen.
Einer aus der Menge steht auf, einer der Priester, die die Gemeinde in die Verbannung begleitet haben:
Erinnert euch, sagt er,
erinnert euch an das Lied Davids:
Tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag.
Gott hält unsere Zeit in seinen Händen.
Und die Welt.
Und unser Leben.
Uns schaudert, erwidert ein Mann und drückt aus, was die meisten fühlen.
So gleichgültig ist Gott, dass unser kleines Leben nichts zählt?
Er lässt zu, dass wir hin und her geworfen werden und aus unserem Leben fallen.
Und einige von uns denken vielleicht:
Recht hat er, das kennen wir auch.
Chaos, Tohu wa Bohu, immer wieder wirft etwas unser Leben durcheinander,
schon morgens, wenn eins der Kinder Fieber hat und man selber zur Arbeit muss,
oder eine Krankheit kommt über einen oder eine Umweltkatastrophe
oder Menschen bauen Bomben und werfen eine ganze Stadt durcheinander.
Wie kann eine Welt, die Gott erschaffen hat, ein solches Chaos dulden?
In der ganzen Welt fallen Menschen doch immer wieder durch die Netze, sterben, leiden.
Ihr fallt nicht aus dem Leben, erwidert der Priester, und antwortet damit auch auf unsere Gedanken.
ihr seid mitten drin und Gott ist bei euch.
Schaut mit mir auf die Tage Gottes, auf sein Zeitmaß, auf die Kraft seines Lebens.
Und plötzlich singt er seine Worte.
Die Menschen heben den Kopf.
Die Melodie kennen sie anscheinend, aber die Worte sind ihnen neu.
Der Priester singt die erste Strophe eines Lobliedes,
das er sich angeregt durch babylonische Vorlagen ausgedacht hat,
eigens für seine Leute, eigens für seinen Gott.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
2Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
3Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
4Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Da schied Gott das Licht von der Finsternis
5und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.
Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.

Der Priester zeigt mit dem Finger über den ganzen Fluss:
Das Licht, das sich am frühen Morgen an den Ufern des Euphrat zeigt, ist dasselbe, das über den Bergen Jerusalems aufsteigt.
Es ist das Licht, von dem die Erde lebt.
Gott hat es geschaffen.
Im Licht zeigt sich seine Kraft.
Es kommt aus einer geheimnisvollen Quelle, die nur Gott kennt.
Vielleicht aus der Sonne?, fragt ein vorwitziger Junge direkt neben uns.
Nein, nein,  antwortet der Priester,
du siehst doch das Licht, bevor die Sonne kommt.
Und es bleibt hell, auch wenn die Sonne schon untergegangen ist.
Die Sonne nimmt ihre Strahlen aus dem großen Licht, das ist doch logisch.
Zur Sonne kommen wir später.
Wir lächeln vielleicht ein wenig, denn wir wissen es inzwischen besser.
Aber wir erkennen auch, dass der Priester Wesentliches erkannt hat,
das Licht war ganz am Anfang und durch das Licht kann Leben entstehen.
Und durch die Luft.
Das weiß auch der Priester, auch wenn er die Luft nicht Sauerstoff nennt, sondern freien Raum.

Und er singt weiter:
Und Gott sprach: Es werde eine Feste, ein Gewölbe, zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern.
7Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so.
8Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.

Ist es nicht wunderbar, fragt der Priester?
Da tobt die Urflut, da bedeckt Wasser den Himmel und die Erde und kein Raum ist da für das Leben.
Und Gott schiebt die Wasser zurück, dass ein Raum entsteht,
der Raum der Erde, der Raum um die Stadt Jerusalem, aber auch der Raum hier.
Alles ist eines, alles gehört zum Raum unseres Lebens.
Ist da oben auch Wasser?, fragt der Knabe wieder.
Ich finde, es sieht aus wie Luft.
Die Leute schütteln den Kopf.
Da sind sie sich einig mit den Gelehrten aus Babylon.
Der Himmel hat seine blaue Farbe von den Wassern, die die Welt erfüllen.
Der Priester blickt einen Moment prüfend die Höhe, dann lächelt er dem Knaben zu.
Es ist Wasser, Wasser das Gott zurückhält, keine Sorge.
Und er fährt fort und nennt die dritte Bedingung für das Leben,
das Wasser, das Gott nicht ganz von der Erde verschwinden lassen hat.


9Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so.
10Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.
11Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so.
12Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
13Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.

Wasser und Licht sind da am dritten Gottestag,
erläutert uns der Priester und wir wissen, wie die Blumen ihre Kelche öffnen, wenn der Tag anbricht.
Ohne Licht lebt nichts auf der Welt.
Und so wächst auch alles am Tag und ruht in der Nacht.
Bewundert die Schönheit der Pflanzen und Bäume.
Schaut die hängenden Gärten des Nebukadnezars an.
Die wunderbaren Blumen, die Farben.
Wir folgen seinem Finger und sind beeindruckt.
So viele verschiedene Arten von Blumen hätten wir in dieser Wüstengegend nicht erwartet.
„Da drüben“, fährt der Priester fort, „da steht auch unsere Narzisse.“
Tatsächlich, sagen  die Leute und für einen Moment sind sie in ihrem eigenen Garten in Jerusalem.
„Wie kommt die denn da hin?“, fragt der kleine Junge.
„Die Soldaten haben den Auftrag, fremde Blumen aus den Ländern, die sie erobern, mitzubringen“, erwidert der Priester.
„So wie wir hier auf die Blumen der Länder schauen, so blickt Gott auf die Pflanzen der Welt.
Es gibt für Gott keine Grenzen, er kann alles überall wachsen lassen.“
„Und die Farben?“, fragt der Junge wieder, „Gott kann doch unmöglich so viele Farben mischen.“
„Warum nicht?“, fragt der Priester, der undeutlich spürt, dass die Frage zu Recht besteht, aber keine Antwort weiß.
Tja, warum nicht.
Auch bei uns können die wenigsten aus dem Stand erklären,
dass das Gelb des Löwenzahns eigentlich eine raffinierte Mischung von Rot und Grün ist.
Auch uns fällt zu den Blumen häufig nur ein mit Paul Gerhard auszurufen: Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide.
Wir schauen also einfach mit den anderen bewundernd auf die Vielfalt der Farben und hören dem Priester weiter zu:


14Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre
15und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so.
16Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne.
17Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde
18und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war.
19Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.

Gott begleitet uns durch unseren kleinen Tag.
Der Priester wird eindringlicher in seiner Rede.
Darauf kommt es ihm an, das merkt man.
Er will Gott ganz nahe an die Menschen heranbringen, gerade angesichts der Weite der Welt, der Ferne von Israel.
Gott hilft uns in jeder Stunde, macht er ihnen klar.
Wir wissen, dass wir mit der Arbeit beginnen sollen, sobald die Sonne über den Horizont schaut,
wir wissen, dass der Mond uns ins Bett schickt.
Der Junge blickt zu Boden.
Er sitzt gerne heimlich bei Mondschein am Euphrat
und er hat beobachtet, dass er dort nicht alleine ist,
sondern manche Jungen und Mädchen ebenfalls diese Stunden nutzen und häufig auch gemeinsam.
Aber das behält er für sich.
Und die Sterne geben uns Zeichen für unser Leben, fährt der Priester fort,
je nachdem unter welchem Stern du geboren bist.
Sie stehen in fester Ordnung am Himmel.
Nein, platzt der Junge heraus, sie wandern.
Die Mutter blickt strafend zu ihrem Sprössling.
Der errötet und schweigt.
„Du hast recht“, sagt der Priester.
„Alle Sterne sind in fester Ordnung aufgehängt in den Sphären, aber sie wandern gemeinsam über den Himmel, weil Gott sie bewegt.
Nur einige, die Wandelsterne, uns ganz nahe, verhalten sich anders.
Warum? Mein Junge, Gott wird es wissen.“  
Und schnell, weil er sieht, dass der Junge noch eine Frage auf den Lippen hat,
die er vermutlich ebenso wenig beantworten kann, singt er weiter
und wir sparen uns unsere Erklärungen ebenfalls
und denken an die festen Bahnen der Planeten
und die Weite und Unfassbarkeit des Alls und an seine Ordnung trotz allem
und hören weiter zu.

20Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels.
21Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
22Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden.
23Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.

Es war die Nahrung da, erklärt der Priester, also konnten auch die Tiere kommen und sich ausbreiten und verändern.
So viele Arten von Tieren im Wasser, das am Anfang der Zeit da war
und dann auch in der Luft, in dem Raum, den Gott als erstes erschuf.
„Alle auf einmal?“, fragt der Junge.
Der Priester wird ungeduldig.
1000 Jahre sind bei Gott wie ein Tag, erwidert er.
Gott sorgt dafür, dass das Leben immer wieder überraschend und neu entsteht.
In vielen Formen, auf vielerlei Weise.
Wen interessiert, wann und wie genau?
„Mich interessiert das“, könnte der Junge antworten,
aber er lässt es und überlässt die Frage späteren Generationen.
Und gerne hätten wir ihm gesagt,
dass der Priester das ganz richtig beschrieben hat
und dass mitnichten die ersten Fische an Land gekrabbelt waren und dort einige Jahrtausende versuchsweise am Strand kampiert haben,
bis ihnen genügend Beine gewachsen waren, dass sie auch das übrige Land unter die Füße nehmen konnten,
sondern dass sich die Welt in Sprüngen entwickelt hat,
überraschend chaotisch, weil die Umwelt sich verändert hat und einige darin bestehen konnten,
die sich zufällig schon in die richtige Richtung entwickelt hatten,
weil sie Atemorgane und oder Beinansätze hatten und sich dann durch ihren Nachwuchs sich ausbreiten konnten.
Hört weiter, beendet der Priester das leise Murmeln, das auch unter seinen Hörern entstanden ist.
Er weiß, wenn Juden anfangen zu debattieren, dann hören sie so schnell nicht auf
und er will ihnen keinen Naturkundeunterricht geben,
er will ihnen das Leben in Gottes Nähe ans Herz legen, das ihnen zu entgleiten scheint.

24Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so.
25Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
26Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
27Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.
28Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
29Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.
30Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.
31Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
1So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.

Die Menschen atmen einmal tief durch nach dieser langen Rede.
Und sie atmen auf.
Und wir mit ihnen.
Was sie vorher nicht gesehen haben, –
jetzt ist es wieder in ihren Blick gerückt.
Sie sind nicht aus der Welt gefallen, und dem Chaos ausgeliefert, auch wenn es immer wieder ihr Leben durcheinander wirft,
sie stehen auch nicht abseits hier in Babylon.
Gott ist da und sie, die Menschen befinden sich in der Mitte des Lebens.
Sie teilen ihr Leben mit der ganzen Schöpfung.
Sie sind klein und unbedeutend auf der einen Seite, nur ein kleiner Teil des großen Ganzen.
Ein Blick in die Weite des Himmels, ein Blick auf die Vielfalt der Pflanzen und Tiere zeigt ihnen das.
Aber es ist auch der Raum ihres Lebens, den sie gestalten dürfen,
weil Gott diesen Raum für sie offen hält und das Chaos immer wieder zurückdrängt.
Und jeder einzelne ist ein Wunder der Schöpfung und hat seinen Raum, wird gesehen und gehalten vom Schöpfer der Welt.
Macht euch das immer wieder klar, sagt der Priester,
Gott hält das Leben und unsere Zeit in der Hand.
Und das sollen wir betrachten und erforschen und staunen angesichts der Größe und Vielfalt des Lebens, das aus seinem Licht hervorgeht.
Dazu gibt Gott uns Zeit immer wieder, jede Woche.
Und daher schließen wir die Betrachtung des Lebens so:

2Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.
3Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
4So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.

Verlassen wir die Menschen am Euphrat und kehren zu uns zurück und noch einmal zum Anfang.

Tohu wa Bohu, Chaos – das ist der Anfang der Erde.
Ob man diesen Anfang Urknall nennt oder Tohu wa bohu ist eigentlich gleichgültig.
Am Anfang war es fast unvorstellbar,
dass aus diesem Chaos, aus dieser Ursuppe,
aus den auseinanderdriftenden Atomen und Massen und Sternenstaub irgendetwas entsteht, das man Leben in unserem Sinn nennen kann.
Aber Gott schuf diese Erde.
Mit ihrem Tohuwabohu.
Und sein Geist schwebt über den Wassern, wachsam wie ein Adler über seinen Jungen.
Gott steht drüber und hat alles, was sich unserem Begreifen entzieht, im Blick, sagt die Bibel.
Auch, dass die Erde ein unwirtlicher, chaotischer Ort war und in gewisser Hinsicht auch bleibt.
Das gehört anscheinend zur Schöpfung dazu.
Gott , so erleben das die Menschen, drängt das Chaos immer wieder zurück und lässt es gleichzeitig als Prinzip des Lebens auch immer wieder zu.
Damit leben wir.
Wir können dagegen aufbegehren
oder darüber staunen.
Die Israeliten waren nicht zimperlich, was das Aufbegehren und Klagen angeht, wie wir an den Psalmen sehen.
Aber auf die Schöpfung und ihren Gott lassen sie nichts kommen.
Die ist so gut, wie sie nur sein kann,
man muss nur genau hinsehen und das Wunder betrachten,
das da aus Chaos und Urknall und Tohu wa bohu entstanden ist.
Das haben die Wissenschaftler damals im 6. Jh. entsprechend ihrer Möglichkeiten getan.
Und darin sind wir den Menschen am Ufer des Euphrat ganz nahe.
Auch unser Leben wird durch manches Tohu wa bohu immer wieder schmerzlich durcheinander, geworfen, ohne dass wir das wirklich erklären können,
und auch wir müssen immer wieder zu dem beglückenden Vertrauen finden,
dass nichts, was wir erfahren könnten, sich Gottes Wirken entzieht.
Gott ist überall,
er bleibt, auch wenn die Welt untergeht, auch wenn wir sterben. 
Ein Sprung ist das, das zu glauben.
Aber ein Sprung, der uns gut tut.
Es tut gut zu glauben, zu vertrauen,
das hinter allem Gottes ordnende Hand steht,
auch wenn wir seinen Sinn für Ordnung manchmal nicht verstehen,
heute genauso wenig wie damals.
Es lebt sich besser, wenn wir darauf vertrauen, dass Gott für uns da ist,
besser, als in einem gleichgültigen Universum.
Wir sind ein kleiner Teil des Ganzen
und  wir tragen unseren Teil bei, es zu schützen und zu bewahren, was da an jedem Tag neu entsteht.
Es lebt sich gut unter der schützenden Hand Gottes,
denn dann kommt niemand auf die Idee,
die Dinge und das Leben selber in die Hand zu nehmen und zu töten und zu vernichten,
was eindeutig nicht zu den Aufgaben der Menschen gehört.
Und das wünsche ich auch den Jüngeren unter uns und zur Zeit vor allem den Konfis, dass sie das erleben,
diese Freude und Sicherheit in allen Unsicherheiten des Lebens:
Gott ist da und sagt zu allem, was da ist, auch zu uns allen hier:
Sehr gut, weil alles, weil jeder die Chance hat sehr gut zu werden.
Er bleibt an unserer Seite, auch wenn alles durcheinander gerät,
weil sein Leben eben so ist,
Ordnung und Chaos, Seite an Seite.
Lobe Gott meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat,
singt das Volk Israel.
Mit ihrem Blick lasst uns in die neue Woche gehen.
Und uns freuen, dass es uns gibt,
ein Wunder
und dass es diese Welt gibt,
den Raum unseres Leben, ein noch größeres Wunder,
und dass es Gott gibt,
der auf wunderbare Weise unser Leben und unsere Zeit in seinen Händen hält,
für immer und ewig.
Amen.





Samstag, 13. April 2013

Predigt zu Johannes 21, 15-19 14.4. 2012


Literaturangabe: Reinhard Körner, Jesus bleibt Kleinbauer, 2010
(Die zwei Vorläufer sind sehr zu empfehlen)

Johannes 21, 15-19 14.4. 2012 Miserkordia
Das passiert schon einmal:
Wir stehen vor dem anderen und müssten eigentlich etwas sagen, und kriegen gar nichts oder nur ein Stottern über die Lippen.
Das kann unterschiedliche Gründe haben:
Ein Junge steht vor dem Mädchen, in das er verliebt ist
und will ihr das eigentlich sagen.
Er sieht, dass sie nur auf die Frage wartet und ihn erwartungsvoll ansieht und er kriegt es nicht hin.
Stattdessen platzt er mit der Frage heraus, ob sie Bio verstanden hat und ob man nicht gemeinsam lernen könnte.
Und wenn sie nett ist und ein bisschen sensibel,
dann lächelt sie und versteht, was er damit meint und  dann machen sie Bio und alles andere ergibt sich dann schon.

Oder jemand hat irgendwas getan, was ihm oder ihr zu Recht ein schlechtes Gewissen macht.
Dann ist es so schwer, dem anderen in die Augen zu sehen.
Und es ist noch schwerer sich zu entschuldigen, weil man selber so ganz schlecht dasteht und der eigene Stolz leidet.
Und dann stottert man auch herum und hofft, dass sich der andere mit den halben Sätzen zufrieden gibt und die Absicht erkennt.
Unter guten Freunden geht das meistens.

Ein Gespräch unter Freunden hören wir auch im Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem Johannesev. Im 21. Kapitel.
Ein Gespräch, in dem es um Liebesbeteuerungen und ein schlechtes Gewissen geht, das der Liebe im Weg steht.
Jesus begegnet seinen Jüngern nach  seinem Tod und seiner Auferstehung am See Genezareth.
Man knüpft da an, wo man einst gestartet ist, beim Fischfang.
Aber dass da etwas nicht in Ordnung ist, das merkt man,
als sich die erste Aufregung über das Wiedersehn und den grandiosen Fischfang etwas gelegt hat.
Alle sitzen gemütlich zusammen, soweit man mit einem Auferstandenen gemütlich zusammen sitzen kann,
und  kauen an ihren Fischen.
Jesus ahnt, was mit seinem Freund Simon los ist,
sein Petrus, wie er ihn liebevoll, scherzhaft immer genannt hat,
sein sturer Ackerstein, wie sie zu tausenden auf den Äckern Galiläas herumliegen und die Bauern ärgern,
aber auch ein Stein von einer Härte, die hoffen lässt, dass da einer was aushält.
Jesus kennt seinen Freund Simon. 
Das ist einer, der immer alles ganz und gar will,
einer, der erst ganz und gar nicht die Füße gewaschen bekommen möchte vom Meister und dann, als Jesus ihm sagt, er gehöre dann nicht zu ihm, gleich den ganzen Körper zur Säuberung anbietet.
Simon ist einer, der Jesus immer folgen, sein Leben für ihn geben wollte, wie es bei Johannes heißt.
Und nun sitzt er da und kann dem Meister nicht so recht in die Augen schauen.
Er zweifelt, ob Jesus ihn noch ernst nimmt und auf seine Stärke baut.
Schließlich hat er ihn in der ersten ernsten Situation gleich verleugnet und sich schwach gezeigt.
Jesus sieht die Not des Petrus und beginnt nun dieses Gespräch, das das Johev. aufgezeichnet hat.

Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?
Er spricht zu ihm: Ja, Herr! Du weißt, dass ich dir Freund bin.
Sagt er zu ihm: Hüte meine Lämmer!
Sagt Jesus zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?
Er spricht zu ihm: Ja, Herr! Du weißt, dass ich dir Freund bin.
Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, bist du mir Freund? Petrus wurde betrübt, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Bist du mir Freund?, und sagt zu ihm: Herr, alles weißt du, du erkennst doch, dass ich dir Freund bin.
Spricht Jesus zu ihm: Hüte meine Schafe!
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.
Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde.
Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Dieses Gespräch nimmt es sehr genau mit den Wörtern, was in der Übersetzung Luthers ein wenig untergeht, die ich daher korrigiert habe.
Schauen wir uns das Gespräch genauer an.
Wir merken, Jesus ist kein Mann, der ins Stottern kommt, wenn es um Gefühle geht.
Und er ist auch niemand, der andere an die Wand spielt.
Jesus ist vor und nach der Auferstehung ist derselbe,
das will uns der Schreiber des Johannesevangelium deutlich machen,
Wieder begegnet er seinen Freunden beim Fischfang am See Genezareth.
Er ist ganz der Alte.
Jesus schaut nicht mit strengem, richterlichem Gesichtsausdruck auf seine Leute,
wie auf einem Heiligenbild,
sondern freundlich, verständnisvoll,
mit einem liebevollen Lächeln, mit dem er auch vorher schon einen Zachäus aufgeweicht und Huren bekehrt hat.
Jesus zeigt Simon durch sein Lächeln, dass er die Bindung zwischen ihnen nach wie vor sieht.
Und er holt ihn aus seinem schuldbewussten Schweigen mit der direkten Frage heraus: Liebst du mich?
Man kann richtig sehen, wie Petrus sich windet.
Erstens geht Männern das Wort Liebe ohnehin schwer von den Lippen und dann: Liebe ist ein so großes Wort.
Agapas me, fragt Jesus, laut griechischem Urtext.
Agape, das ist die große, einladende, göttliche Liebe, die alles umfasst.
Liebst du mich, bedeutet hier mehr als nur persönliche Zuneigung.
Liebst du mich, das heißt auch: Liebst du in mir Gott und hast du damit auch die Liebe und Hoffnung für die Welt im Herzen und den Willen nach ihr zu leben?
Kein Wunder, dass Petrus ins Stottern kommt.
Er denkt an seinen großen Schwur, sein Leben einzusetzen und an sein jämmerliches Versagen im Burghof.
Und er antwortet nicht einfach:
Du weißt doch, dass ich dich liebhabe, wie Luther übersetzt,
sondern philo se „Du weißt doch, dass ich dir Freund bin.
Dir bin ich ganz und gar und persönlich zugetan, heißt das.
Egal wie ich mich verhalten habe, ich hänge an dir und möchte dir alles Gute tun.
Ich glaube aber nicht mehr, dass ich die Welt verändern kann,
Ich bin zu deutlich an meine Grenzen gestoßen.
Aber ich baue ganz auf meine Freundschaft zu dir, wenn du mich lässt.
Jesus sieht ihn liebevoll spöttisch an.
Und gibt ihm den Auftrag, seine Schafe zu hüten.
Aber er merkt auch, Simon ist noch nicht der Alte.
Er traut sich  nicht mehr zu, der Fels der Gemeinde zu sein.
Er hängt fest in seinem Schuldbewusstsein und dem Gefühl unzulänglich zu sein.
Und so fragt Jesus ihn noch einmal:
Hast du mich lieb?
Und Petrus bleibt bei seiner Beteuerung, dass er ihm Freund sein will und erhält wieder den Auftrag.
Aber Jesus gibt sich nicht zufrieden.
Das Erlebnis im Burghof sitzt tief, das merkt er, eine traumatische Erfahrung, würden wir heute sagen.
Und so fragt er beim 3. Mal ganz direkt: Bist du mir Freund?
Verständlich, dass diese Frage Simon nun ganz aus der Bahn wirft.
Das hat er doch nun schon zweimal gesagt, dass er sich zwar die große offene Liebe zu Gott nicht ganz zutraut, aber doch Jesus liebt.
Und nun stellt der das auch in Frage.
Aber Simon merkt auch etwas anderes.
Er erkennt, dass Jesus ihm ganz nah ist und alles von ihm weiß und ihn dennoch akzeptiert, ja ihn gar nicht anders haben will, als mit all seinen Stärken, aber auch mit seinen Grenzen.
Er merkt, dass er diese Frage, bist du mir Freund, ganz und gar mit Ja beantworten kann.
Und als Simon daher Jesus zum dritten Mal mit: Herr, alles weißt du, du erkennst doch, dass ich dir Freund bin, antwortet,
da ist der Knoten geplatzt und es kann weitergehen.
Jesus sieht ihm das an, an dem direkten gelösten Blick, an der Entspannung in seinem Gesicht und sagt:
„Siehst du Simon, als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest.
Wenn du aber alt wirst,
dann wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.“
Jetzt, sagt ihm Jesus damit, hast du etwas Wichtiges gelernt,
dass du nämlich nicht alles im Griff haben kannst.
Du brauchst Gott, der mit seiner Liebe alles umfasst und dich leitet, dahin, wo du nicht willst.
Und solche Menschen brauche ich, die bereit sind sich Gott anzuvertrauen,
auch wenn sie selber seine große Liebe nicht immer verstehen und auch nicht seine Wege und manchmal selber auch daneben liegen.
Aber du wirst die Folgen deines Gottvertrauens aushalten, diesmal,
weil du merkst, dass du gehalten bist
und weil du mein Petrus bist,
ein harter, sturer Brocken, der etwas aushält,
wenn es darum geht, meine Weisung zu leben
und daher sage ich dir vertrauensvoll: Folge mir nach.

Eine schwere Geburt war das, merken Sie, aber es hat sich gelohnt.
Petrus fühlt sich von einer Last befreit.
Wenn Jesus ihn weiterhin liebevoll in seine Nachfolge ruft,
dann kann auch er sich selber in die Augen sehen.
Er ist von seiner Schuld befreit worden und durfte sich selber treu bleiben.
Simon, der Petrus, hat in der Folge seine Härte und Sturheit behalten
und andere damit auf die Palme gebracht, Paulus zum Beispiel, der manches Mal mit dem Kollegen einen harten Strauß ausfechten musste.
Aber er hat auch gezeigt, welche Kraft in ihm steckt und wie sehr er sich vom Vertrauen in die Führung Gottes getragen wusste.
Und weil Simon nach wie vor alles mehr als hundertprozentig richtig machen wollte,
hat er sich bei seinem eigenen Kreuzestod ausgebeten kopfüber gekreuzigt zu werden,
um seine Hingabe überdeutlich zu machen, wie die Legende erzählt.
Andere Zeiten, andere Sitten.

Wir sind nicht Simon Petrus.
Aber anders als andere Geschichten der Bibel wird diese hier in der Gegenwartsform erzählt.
Jesus sagt, nicht Jesus sagte.
Diese Geschichte steht am Schluss des Johannesevangeliums und ist eine Aufforderung,
eine Aufforderung an die Gemeinde, 70 Jahre nach dem Tod Jesu, anstelle des Namens Simon, den eigenen einzusetzen,
eine Aufforderung auch an uns, es ebenso zu hören.
Wir heißen nicht Simon, sondern Susanne oder Irene oder ... setzen Sie ruhig Ihren eigenen Namen ein.
Genauso, wie Jesus mit seinem Freund Simon geredet hat, damals,
redet er mit uns, mit dir und mit mir,
heute, jetzt.
Das will der Schreiber des Johannesevangeliums seinen Leuten klarmachen.
Hört sich ein bisschen nach Erweckung an, aber so ist es gemeint,
Ich soll mich jetzt von meinem Freund Jesu direkt fragen lassen:
Susanne, liebst du mich?
Und ich entdecke dann in dem Stottern und der Betrübnis des Petrus meine eigene Unzulänglichkeit und fange an mich zu winden.
Ich merke, dass ich natürlich große Worte machen kann, über das, was in der Welt besser werden müsste.
Aber ich merke auch, wie schwer es mir schon fällt, den Weisungen Jesu und seinem Weg in meinem persönlichen Leben zu folgen.
Was erwartet der eigentlich genau von mir?
Was bedeutet dieses „Folge mir nach“? eigentlich, das Jesus zuletzt dem Petrus und damit auch uns zutraut.
Eine wichtige Frage, die Jesus sehr ernstnimmt und präzise in dem Gespräch beantwortet, wenn auch in einer Fachsprache, die sich uns Städtern nicht sofort erschließt.
Aber Fachleute verstehen ist nicht immer einfach.
Fachleute brauchen spezielle Wörter,
denn so können sie präzise Aufträge definieren und ausführen.
Wenn andere, die nicht in dem Fach zuhause sind, versuchen, diese Aufträge weiterzugeben, geht Wesentliches verloren.
So auch in der Übersetzung des Predigttextes, die wir kennen.
In unserem Text ist nicht dreimal von weiden die Rede, wie Luther und andere übersetzen, sondern zweimal von hüten und nur einmal von weiden.
Und das ist ein Unterschied.
Simon und Jesus sind beide Fachleute für Kleintierhaltung im besonderen und für Landwirtschaft im allgemeinen und Simon weiß genau, was Jesus meint:
Hüte meine Schafe und Lämmer.
Damit ist die persönliche Sorge um ein einzelnes Tier gemeint.
Behüten, heißt, genau zu schauen, wie es dem einzelnen Tier geht, die Klauen zu säubern, zu sehen, ob es auch genügend Nahrung findet, ob es gesund ist.
Weiden dagegen meint, die ganze Herde auf eine Weide zu führen und dann sich selbst zu lassen.
Der Hirte prüft also den Weidegrund, die allgemeinen Bedingungen, und leitet die Herde als ganze dass sie dorthin kommt, behält sie als ganze Herde im Blick.
Beides ist wichtig, aber indem Jesus zweimal von hüten und nur einem von weiden spricht, ist auch deutlich,
was für ihn an erster Stelle steht und was auch das Markenzeichen des kirchlichen Handelns ist:
Weil wir persönlich angesprochen werden von Gott,
weil Jesus in dem liebevollen verständnisvollen  Lächeln, das er Simon schenkt auch uns meint,
deshalb kümmern wir uns auch persönlich um Menschen,
deshalb sehen wir in der Menge der Menschen immer die einzelnen Gesichter und
denken daran, dass Gott auf jeden einzelnen setzt und ihn wert erachtet.
Ein Beispiel:
Wenn im Kirchencafe nur noch der Kaffee und der Kuchen hingestellt werden würde, der Raum zur Verfügung gestellt wird,
aber das persönliche Gespräch, die persönliche Fürsorge keinen Platz mehr hätte,
dann hat das Weiden funktioniert.
Alle haben etwas zu essen.
Aber das, was die Menschen suchen, ist nicht nur die Nahrung für den Bauch,
sondern eben auch behütet zu werden, persönlich gemeint zu sein.
Zeit für Gespräche oder wenigstens für einen persönlichen Willkommensgruß ist daher ebenfalls nötig.
Die Kirche, die Gemeinde ist keine Organisation, die Großaufläufe und Demos und Revolutionen herbeiführt, auch wenn sie sich manchmal zu Recht daran beteiligt.
Sie ist auch kein Großunternehmen, das unendlich viel Geld hat und sich großartig präsentieren kann und sollte.
Wir, die wir in der Kirche arbeiten, sollen natürlich das Ganze im Auge behalten und dafür sorgen,
dass der Ort, die Weide, auf  der sich die Gemeinde trifft,
gepflegt und instand gehalten wird.
Aber wir merken auch in Zeiten,
wo wir das Weiden an oberste Stelle stellen müssen, und keine Zeit und Kraft mehr zum Hüten haben,
da stellt sich schnell ein Gefühl der Unzufriedenheit und der Unzulänglichkeit  ein.
Dann merken wir, dass wir an unserer eigentlichen Aufgabe vorbei gehen.
Und müssen sehen, dass wir das Weiden begrenzen, soweit das geht.
Der Hüteblick, der Blick für das Wohlergehen und das Glück eines jeden einzelnen Menschen,
das ist der Blick, mit dem wir einander begegnen sollen und auch der Welt.
Er ist das Besondere, das wir beizutragen haben.
Es ist der Blick, mit dem Jesus Petrus angesehen und damit befreit hat.
Und es ist gleichzeitig der Auftrag, den Jesus uns gegeben hat.
Zeigt, dass ihr jeden Menschen wahrnehmt.
Sorgt dafür, dass Menschen nicht in Mengen verschwinden, als Zahl auftauchen.
Lasst euch jeden, dem ihr begegnet nahegehen und zeigt ihm das.
Das ist mein Weg, die Welt zu ändern, sagt Jesus,
darin folgt mir nach.
In der nächsten Woche beginnt mit dem Prozess gegen NSU-Mitglieder einer der größten Prozesse in der Bundesrepublik.
Menschen haben andere als Menschen aus dem Blick verloren
und sie einer feindlichen Herde zugeordnet, die es zu vernichten galt.
Eine Versuchung, der Menschen immer wieder erliegen.
Der Prozess ist das eine und nicht unsere Sache.

Was aber in den ganzen Vorgängen erschreckend deutlich wird,
ist die Bereitschaft vieler, den einzelnen Menschen beiseite zu schieben und ihn in Kategorien einzuordnen:
Ein harmloser Familienvater aus der Türkei wird ermordet, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebte.
Von türkischem Drogendealer, über eine typische türkische Familienfehde, bis hin zu einem türkisch-arabischen Mafiastreit, war alles dabei,
das man als Hintergrund dieses vermutete.
Weil man nicht hingesehen und hingehört hat.
Weil man sich das Leid und die Proteste der Angehörigen gegen diese Unterstellung nicht nahe gehen ließ.
Weil man sich einfach nicht vorstellen wollte oder konnte, dass ein Mensch aus der Türkei aus einem anderen Grund als den genannten getötet werden könnte.
Die Menschen sehen, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an, heißt es in Oskars Taufspruch.
Diesem Blick sollen wir folgen und das ist anstrengend.
Aber es ist das, was Jesus uns zutraut:
Weidet meine Schafe, sorgt dafür,
dass das Ganze, die Lebensgrundlagen der Welt und auch der Kirche nicht aus dem Blick geraten,
aber vor allem:
Schaut euch gegenseitig mit liebevollen oder wenigsten achtungsvollen Blicken an und lasst andere merken, dass ihr sie seht.
Rede einer mit dem anderen in Wahrheit, wie es in Caspars Spruch heißt,
lasst euch nicht davon ablenken ihn zu sehen, wie er ist und danach beurteilt ihn, richtet recht und schafft Frieden vor euren Toren, spricht Gott.

Bist du mir Freund?
Jesus stellt uns diese Frage, weil es uns braucht, weil Gott uns braucht.
Er macht uns nicht zu den Besitzern seiner Herde,
er vertraut uns aber an, als Teil der Herde dazu beizutragen,
dass Schalom das Leben der Herde bestimmt,
schalom, Friede, in dem jeder und jede zu Wort kommt,
auf seine und ihre Weise und gesehen wird,
mit allen Eigenarten, Besonderheiten, Ecken und Kanten
und darin geachtet wird.
Bist du mir Freund? Ja?
Versuchen wir es mit dem Ja.
Und denken wir daran uns hier gegenseitig genau in den Blick zu nehmen
und uns anzumahnen, wenn das Weiden das Hüten verdrängt.
Jesus hilft uns dabei, begleitet uns liebevoll, lächelnd,
voller Nachsicht für unsere Schwächen,
voller Vertrauen in unsere Stärken und sagt uns:
Folge mir nach.
Amen.