Dienstag, 26. August 2014

1 Kön 19 Predigt zum Jugendaustausch mit dem Opferdorf Lechovo in Griechenland


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da da war und der da kommt.

1943. Passahfest.
Wie alle jüdischen Familien erhebt sich auch die Familie des damals 15 jährigen Schriftstellers Eli Wiesel, um den Propheten Elia zu begrüßen.
In einem Feuerwagen ist Elia von Gott in den Himmel entrückt worden.
Und er wird wiederkommen und die Herzen der Menschen einander zuwenden und alle Rätsel des Lebens lösen.
Danach sehnen sich alle, nach Hilfe in Not, nach Freiheit, nach Gerechtigkeit, gerade in diesen Tagen mitten im II. Weltkrieg.


Eli Wiesel, als  jüngstes Kind, geht zur Tür, um den Propheten hereinzubitten.
Wie immer – bisher – steht da niemand.
Ein Mann ist dieses Jahr bei ihnen zu Gast.
Er hat zu viel gesehen, als dass er die Hoffnung auf Rettung noch teilen kann.
„Gott greift nicht ein“, schreit er plötzlich los.
„Kinder werden vor den Augen ihrer Mütter erwürgt.
Ich habe so viele Gräuel auf den Straßen gesehen.
Ihr habt keine Zukunft.
Gott greift nicht ein.  Elia kommt nicht. Niemand kommt.“
Und damit verschwindet der Gast so plötzlich, wie in der biblischen Geschichte der Prophet Elia.


Kurz darauf wird die Familie nach Auschwitz deportiert.
Elie Wiesel überlebt als einziger.  
Für ihn ist dieser Gast der Prophet Elia selbst gewesen.
Er hält es aus, der Realität ins Auge zu sehen und sagt:
Gott kommt nicht. Nicht wie ihr es euch erhofft. Ihr müsst euren Weg gehen.


Juli, 1944. Lechovo, ein Bergdorf in Griechenland.
Ein Kommando der deutschen Wehrmacht zerstört unter einem Vorwand das Dorf, mordet und brandschatzt.
Im Gegensatz zum Nachbardorf Klessura werden hier nur wenige Menschen umgebracht.
Dort aber beinahe alle Frauen und Kinder.
Die Männer von Klessura halten sich versteckt.
Keiner glaubt, dass die Deutschen derartig grausam hilflose Familien niedermetzeln würden.
Das ist ein Irrtum.


Nicht alle, aber viele Menschen aus Lechovo können sich aus dem Dorf auf einen nahgelegenen Hügel retten.
Einer der Zeitzeugen, mit dem wir bei unserem Besuch gesprochen haben, war damals ein kleiner Junge.
Er erzählt, wie er auf sein brennendes Dorf geschaut hat.
Es ist kalt und regnet.
Für ihn ist es, als sei das Ende der Welt gekommen. 
Sie haben nichts mehr, kein Haus, kein Essen.
Ihre Nachbarn sind tot. 
Dass sie die folgende Zeit überlebt haben, ist eigentlich ein Wunder.
Auch hier hat Gott nicht verhindert, dass diese Schreckenstaten geschahen.
War Gott nicht da?  

Gott ist da, verkündet wütend der Prophet Elia um 900 v. Christi.
Gott ist da.
Er schleudert es dem König Ahab und seiner Frau Isebel ins Gesicht.
Nicht eure Götter, nicht die Ungerechtigkeit will er, schreit er
und beschwört Feuer und Dürre über das Land herab.
Das lassen sich Herrscher, Diktatoren nicht gerne gefallen lassen.
Elia flieht, flieht vor  den Folgen seines gerechten Zornes, der die Macht Ahabs nicht ins Wanken gebracht hat,
wie kein Zorn, auch kein Weinen und Klagen kaum jemals Diktatoren und Soldaten und Folterknechte gestoppt haben,
flieht vor den Soldaten Ahabs bis in die Wüste.



Der Zorn ist Elias Motor,
der Zorn über die Ungerechtigkeit gibt ihm Kraft.
Doch dann kommt Sand ins Getriebe.
Gott mag auf Elias Seite sein, aber er steht ihm nicht bei.
Nicht so, wie es Elia wünscht.
Elia ist am Ende. Keiner hilft ihm mehr.
In der Wüste legt er sich hin und will sterben.


Und Gott kommt. So erlebt es Elia.
Ein Engel oder so etwas Ähnliches,
vielleicht auch einfach ein vorbeiwandernder Beduine,
Elia kann es nicht richtig erkennen,
reicht ihm Brot und Wasser und zeigt ihm den Weg zu einer Höhle im Berg.
Das ist alles.
Sich aufraffen aus der Todessehnsucht und den Weg gehen – das muss Elia selber tun.

Auf dem Berg Horeb geht Gott an Elia vorbei und zeigt ihm ein für allem mal:
Ich komme nicht. 
Nicht so, wie du es dir wünscht.
Ich greife nicht ein.
Ich bin nicht im Zorn des Sturmes, nicht in der Gewalt des Erdbebens, nicht in der Kraft des Feuers.
Ich bin im sanften verschwebenden Schweigen.

Und Elia tritt heraus aus der Höhle und stellt sich dem Schweigen Gottes.
Er erlebt in dieser Stille die größte Einsamkeit, das Ende seiner Welt,
ein Absturz nach seinem gerechten Zorn,
aber er erlebt auch einen Moment großer Klarheit.
Gott greift nicht ein, wenn gemordet und gebrandschatzt wird.
Aber er ist da.
Gott wirft kein Feuer vom Himmel.
Aber Gott will, will unbedingt, dass Elia weitergeht und hilft und von Gerechtigkeit redet in seinem Namen und andere damit ansteckt.

Gott schweigt, aber es ist ein beredtes Schweigen.
In seinem Schweigen fühlt er den Schmerz Elias und der gequälten Menschen.
In seinem Schweigen urteilt Gott ganz klar über Grausamkeit und Unrecht.
Sonst gäbe es keinen Grund zu ihm zu beten, wie es die Menschen getan haben, immer wieder, in Lechovo,  und auch in Auschwitz.
Im mitfühlenden Schweigen Gottes weiß sich Elia, wissen sich diese Menschen verstanden.
Nichts wird weggewischt, nichts verharmlost.
Elia holt sich Kraft aus diesem Schweigen,
die Kraft, seinen Weg weiterzugehen, für die Menschen, für deren Recht auf Leben.

Solche Menschen hebt Gott in den Himmel. 
Für sie schickt er auch einen Feuerwagen (eine Wolke wäre mit lieber gewesen) und befreit sie von der Enge, in die andere sie gestoßen haben.
Die Bewegung, die wir hier in der Skulptur sehen,
ein einziger Zug nach oben,
so reißt Gott durch sein Mitgefühl aus der Hoffnungslosigkeit und aus dem sinnlosen Zorn und aus der Verzweiflung, die Menschen schwächen.  


Dieses Bild haben wir malen lassen von Arno Bruse, der heute auch hier ist, und es hängt jetzt im Haus des Kulturvereins Profitis Elias in Lechovo.
Das Bild zeigt unsere Verbindung und unsere gemeinsame Hoffnung.
Elia, der Schutzheilige Lechovos,
Elia, der Gerechte, der in den Himmel gehoben wird,
Elia, dessen Ikone 1944 einem Pfarrer in Lechovo das Leben rettet, der es als Schutzschild vor seinen Kopf hielt, so dass die Kugel die Ikone traf und nicht den Kopf,
Elia, der sich also auch für ein Wunder am Rand der Katastrophe nicht zu schade ist,
aber vor allem Elia der, wie es viel später der Prophet Maleachi über ihn sagt,
Elia, der kommen wird und die Herzen der Väter zu ihren Kindern wenden und die Herzen der Kinder zu ihren Vätern wenden wird.

Einander die Herzen zuwenden,
das macht nicht ungeschehen, was damals 1944, was in der shoa geschehen ist.
Einander die Herzen zuwenden, das haben wir jedoch erlebt, als wir die Woche in Lechovo waren,
die Herzlichkeit der Menschen dort, die offen dafür ist, gemeinsam weiter zu gehen,
versöhnlich, ohne zu vergessen,
nach vorne schauend, ohne die einfach hinter sich zu lassen, die damals gelitten haben und ermordet wurden.


Jesus hat, wie die Juden damals und heute, ebenfalls auf Elia gewartet.
Ob er geahnt hat, dass er selber 2000 Jahre später für uns zu einem Hoffnungsträger wird, auf dessen Wiederkehr wir warten, ich weiß es nicht.
Aber ich weiß, dass er für uns die Tür zum mitfühlenden Schweigen Gottes geöffnet hat, das ansteckt und uns zueinander führt.
Gott ist da, wenn wir einander unsere Herzen öffnen,
den Schmerz teilen und auch die Freude, und gemeinsam nach Gerechtigkeit fragen.

Dann gibt es diese Momente, wie sie die Jugendlichen aus Berlin mit den Jugendlichen aus Lechovo erlebt haben,
dass beim Tanz auf den Festen in Lechovo alle gemeinsam abheben und einen Moment über den Wolken sind,
sich die Freiheit nehmen über alle Grenzen und kulturellen Unterschiede hinweg das Leben und eine gemeinsame Zukunft zu feiern.

Ist Gott da?
Es gab und gibt immer wieder Momente, da fällt es mir schwer das zu glauben, zuviel Leid, zu viel Ungerechtigkeit.
Aber und das sind die Stärken der Juden und ich behaupte auch die Stärken von uns Christinnen und Christen:
Wir halten es aus hinzusehen, den Schmerz so vieler Menschen an uns heran kommen zu lassen.
Wir trauen uns, einander die Herzen zu öffnen, uns unser Leben zu zeigen, Deutsche und Griechen,
wir versuchen gemeinsame Schritte zu gehen im Gedenken an die Opfer und in Richtung einer Zukunft mit mehr Gerechtigkeit für alle.
Darin wissen wir Gott an unserer Seite.


Und letztlich erwarten wir alles von ihm, der schweigt und doch ganz nahe bei uns ist,
auch dass sich eine Tür öffnet und jemand kommt,
der uns den Weg in den Himmel zeigt,
wenn es nach mir geht den Weg in den Himmel auf Erden.
Wir warten
und solange wir das tun, schauen wir genau hin,
feiern gemeinsam jeden glücklichen Moment auf den Wolken, der uns geschenkt wird,
feiern die Freiheit, die Gott uns schenkt,
und arbeiten gemeinsam an einer Zukunft, die es wert ist, gelebt zu werden.
Von uns allen.
Amen.