Samstag, 13. September 2014

Apg 6, 1-7, 13. S. n. Trinitatis 2014

Mit wertvollen Anregungen von Peter-Michael Schmudde aus der Facebook-Gruppe Ev. Predigtforum und den Predigtstudien hier mein Traktat zum Hunger der Witwen:


Apg 6, 1-7 13. Trinitatis 2014

Wie im Himmel.
Da sieht einer, wer ich bin,
Da gibt eine, was ich brauche,
Da nimmt jemand, was ich gebe.
Wie im Himmel.
Gespräche fließen, ineinander, ohne Mühe.
Ein Ton gibt dem anderen die Hand, breitet sich aus, fließt als Musik in die Welt.
Wie im Himmel.
Das Brot wird mehr, je mehr Menschen es teilen,
die Sonne küsst die Traube und wird Wein,
keiner steht draußen
und Gott ist keine Frage mehr, sondern da, einfach da.

Wie im Himmel,
so haben sich die Sklaven gefühlt,
damals in Jerusalem oder auch in Korinth
Da wurden sie,
endlich,
nach einem Tag voller Mühe,
spätabends von den Herren entlassen,
der Körper schrie nach Schlaf,
aber sie kamen doch in den Raum,
wo sich die Christen trafen,
und konnten essen und reden.
Schwestern und Brüder durften sie sein, nicht Besitz,
frei im Geist,
frei, die Welt zu sehen wie sie ist,
und gleichzeitig vom Himmel nicht nur zu träumen,
sondern ihn zu leben, selbstbewusst und liebevoll,
mit den anderen reichen und armen Menschen Jerusalems,
weil Er mitten unter ihnen war.
Wie im Himmel war es, erzählt Lukas in seiner Apostelgeschichte,
als alle, die gläubig geworden waren, beieinander  waren und  hatten alle Dinge gemeinsam
und machten ihre Habe zu Geld und teilten aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte.
Wie im Himmel fühlte sich das an,
jeden Tag einmütig zusammen im Tempel
das Brot brechen hier und dort in den Häusern,
wie im Himmel waren die Mahlzeiten, die sie gemeinsam mit Freuden aßen und mit lauterem Herzen.“ (Apostelgeschichte 2, 44-46 )
Wie im Himmel.

Sie kennen das vielleicht von früher:
Mit einem hässlichen Kreischen stoppt im dunklen Kinosaal der Film.
Das Band ist gerissen.
Das Licht geht an und jäh wird man heraus gerissen aus der Welt, in der man sich gerade befand.
So wird es auch Petrus gegangen sein, als ihm das Murren zu Ohren kam,
Sätze wie: Wir werden übersehen. Andere kriegen mehr.
Ein jäher Sturz aus dem Himmel.
Lukas berichtet im 6. Kapitel seiner Apostelgeschichte:
In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

Witwen  - das sind die Schwächsten unter den Frauen,
sie haben keinen Schutz,
kein Schwager hat in sein Haus genommen, wie damals üblich,
mit ihren Kindern sind sie  auf Almosen angewiesen.
Aber sie waren nicht so hilflos, wie man denkt.
Von jeher, so berichtet die Bibel, haben sie Gott auf ihrer Seite.
Auf ihre Gebete hört er, Gott tritt für sie ein.
Und sie selber machen Besuche in den Gefängnisse, kümmern sich um die Armen
und bringen das Leid anderer durch ihr Gebet vor Gott.
Den Altar Gottes nannte man sie in der jüdischen Gemeinde, auch wegen ihrer Bedürftigkeit, aber vor allem wegen ihrer spirituellen Verbindung zu Gott und ihrer Taten.
Die Gemeinde wird daran gemessen, wie sehr sie diesen Altar im Blick behält.
Witwenlobby würde man vermutlich heute diese Gruppe nennen.
Und es ist nie gut, eine Lobby zu übersehen.
Dieses Selbstbewusstsein der Witwen klingt auch aus unserem Text.
Mit klarem Blick benennen sie, was den Himmel zerstört, in dem sich die anderen zu sein wähnen.
Da wo sie nicht satt werden, kann kein Himmel sein.
Eine klare Ansage.
Griechische und jüdische Witwen müssen gleichberechtigt behandelt werden in einer Gemeinschaft, in der es doch angeblich nicht Jude, noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau geben soll, sondern alle eins sind in Christus.
Und es ist Petrus hoch anzurechnen, dass er nicht beschwichtigt, sondern erschrickt
und die Sache sofort zur Chefsache macht:
Hunger, da haben welche Hunger in der Gemeinde.
Das gibt es doch nicht.
Bisher gingen Leib- und Seelsorge, Nahrungsbeschaffung und Predigt Hand in Hand.
Das sollte im Himmel kein Problem sein, aber, so erkennt Petrus, anscheinend sind er und die anderen Apostel doch noch Menschen und keine Engel.
Und als Menschen sind sie überfordert.
So schlägt er eine Arbeitsteilung vor und trennt die Aufgaben.
Stephanus, als Vertreter der Griechen, kümmert sich mit den anderen Männern um die gerechte Verteilung unter den Witwen.
Und Petrus hat mehr Zeit für seine Predigten.
Das hat die Kirche übernommen und ihre Organisation danach ausgerichtet:
Jeder und jede übernimmt seine/ihre Aufgaben, entsprechend der eigenen Gaben.
Eigentlich schade, dass das seither so auseinanderfällt, was eigentlich zusammengehört, auch wenn es die Kirche über die Jahrhunderte getragen hat.
Mehr als schade, meine ich,
denn es zerstört das, was als Einheit gedacht wurde,
dass wir nicht nur in Gedanken, sondern eben mit Leib und Seele vom Traum Jesu erfasst werden.
Was die ersten Christen so anziehend machte, ist doch gerade das,
dass sie wie Jesus die einfachen Dinge wie Essen und Trinken und gleichberechtigte Geselligkeit in den Vordergrund stellten.
Das nannten sie Himmel oder von mir aus auch Reich Gottes.
Sie haben keine Sonderwelten geschaffen,
sie teilten ihren Alltag und wenn der Himmel nicht ihren Alltag prägt, wo sonst sollte er seinen Anfang nehmen?
Dinge zu trennen, die eigentlich zusammengehören wie Leib und Seele,
das verführt dann doch dazu, manche Dinge wichtiger zu nehmen als andere, Dienste zu bewerten.
Es verführt dazu, das Wort ernster zu nehmen als den Magen und nicht zu sehen, dass ein leerer Magen einfach alles andere verhindert.
Dagegen wehrt sich Lukas in all seinen Schriften:
Er schreibt vom Hunger, immer wieder und davon, was der Hunger aus Menschen macht.
Er will, dass der Schrecken des Petrus über den Hunger zu unserem wird
und keiner den Ton abstellt, wenn das Schreien hungernder und leidender Menschen an unser Ohr dringt,
so wie der barmherzige Samariter es einfach nicht schafft, an dem stöhnenden Verletzten vorbei zu gehen.
Es war einer der größten Fehler der Kirche, meiner Meinung nach, Räume zu schaffen, in denen der Alltag ausgesperrt wird.
Große, imponierende Räume, wie der Kölner Dom, so schön wie er sein mag, das wirkt auf mich eher  wie ein Museum für den allmächtigen Gott.
Aber mit den Menschen, die damals Brot und Wein teilten und in den Häusern zusammen kamen, um so den Himmel, den Gott ihnen eröffnet hat, zu feiern,  mit diesen Menschen hat das nicht mehr viel zu tun.
Und mit Gott, wie ihn uns Jesus nahebringen wollte, wohl auch nicht.
Und so geht es nicht nur mir, so ging es Menschen zu allen Zeiten.
Der Protest des Lukas gegen den Hunger und gegen den Rückzug der Hoffnung und Liebe aus dem Alltag in sichere sakrale Räume zieht sich durch die gesamte Kirchengeschichte.
Die Mönche haben als erste versucht, das, was auseinanderdriftete, das alltägliche Leben und den Glauben, wieder zusammen zu bringen.
Franz von Assisi war da am radikalsten.
Martin Luther fällt mir ein und sein Protest gegen den Ablass, sein Versuch, das Evangelium durch die übersetzte Bibel und Lebenshilfen wieder in das Leben der Menschen zu bringen, keine Priesterkaste, sondern das Priestertum aller Gläubigen.

Der Himmel, damals wie heute, ist zu für viele Menschen.
Sie stehen draußen.
Aber sie lassen es sich nicht gefallen.
Wie die Witwen fordern sie ihr Recht auf Leben, klagen stumm und laut, rufen nach Hilfe, rufen nach den Geschwistern und fordern Gehör, in Syrien und im Irak und in vielen Ländern der Welt.
Auch bei uns.
Wir sind Menschen und keine Engel.
Und mit den Schreien müssen wir leben, weil wir nicht alles auf einmal ändern können.
Aber hören können wir sie und erschrecken und tun, was wir eben tun können.
Zusammenkommen können wir im Gottesdienst und unseren Alltag mitbringen
einen Sinn bekommen, gemeinsam, für das, was im Leben zählt und empfindlich werden, wenn das zerstört wird.
Träumen können wir zusammen, laut und mit offenen Augen
und den Himmel feiern, wann immer er uns begegnet,
Denn im Himmel Gottes geht alles Hand in Hand,
Leib und Seele, Geist und Magen,
auch hier, wenn nach einem etwas verunglückten Gemeindeabend, sich alt und jung einig sind wie selten
und nach dem Abwasch hier in der Kirche die Kerzen brennen und man Friedrichs Musik hören darf,
himmlisch, wenn das eigentlich abgedroschene Lied Möge die Straße an besonderen Anlässen immer noch zu Tränen rührt,
himmlisch, wenn wir uns begegnen mit Wertschätzung und uns gegenseitig aufmuntern und helfen,
uns erzählen, was unsere durch die Liebe Gottes empfindsam gewordenen Seelen alles erlebt haben,
himmlisch auch, wenn wir es schaffen, im  Alltag ein Gespür zu haben für das, was unser Leben lebenswert macht und die Welt zu einem liebenswerten Ort,
für alle, nicht nur für mich – darum geht es doch, oder?
Platz lassen für die Hoffnung, das die Welt gut wird, auch durch mich,
Platz lassen für den Geist Gottes,
der seine eigene Art hat, alles und alle immer wieder in Bewegung zu setzen,
aber der sich dort am wohlsten fühlt,
wo Geschwister einträchtig unter ihrem Feigenbaum und Weinstock sitzen und essen und trinken und füreinander den Himmel auf Erden entdecken,
 himmlisch, wenn das alles hier zusammen kommt, im Gottesdienst und auch danach.

Denn, wenn einer sieht, wer ich bin,
und eine gibt, was ich brauche,
wenn jemand annimmt, was ich gebe.
Dann ist das doch wie  im Himmel.
Wenn Gespräche ineinanderfließen ohne Mühe.
Und ein Ton dem anderen die Hand gibt, sich ausbreitet und als Musik in die Welt fließt.
Himmel.
Wenn wir unseren Glauben teilen, dass das Brot mehr wird, je mehr Menschen es teilen,
und die Sonne küsst die Traube und wird Wein,
und keiner draußen steht.
Himmel.
Dann ist Gott keine Frage mehr, sondern da, einfach da.
Und wir auch, als seine Strahlen, die weiter reichen und mehr erhellen können, als wir uns zutrauen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Lied: Strahlen brechen viele aus einem Licht.