Samstag, 27. Dezember 2014

Joh 8,12 (Neue Perikopenordnung Reihe IV) 1. Weihnachtstag 2014


Predigt zu Joh 8, 12 1. Weihnachtstag

Licht steigt auf am Horizont, rötet die Wolken, flutet den Himmel.
Alles, was ist, nimmt Licht an und wirft es zurück,
wird sichtbar.
Bäume und Felder,
Straßen und Häuser.
Der Stein am Weg, der Berg in der Ferne.
Nichts bleibt verborgen.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, nicht zu bändigen,
breitet sich aus im eigenen Tempo.
Und verschwindet blitzartig, wenn die Quelle erlischt.
Einmal auf den Weg gebracht
flitzt es Jahrtausende durch das Weltall,
lässt sich nicht aufhalten und nicht einfangen.
Wer Licht einsperren will, hat nur Dunkel in der Hand.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, das sind Wellen sagen die Physiker oder Teilchen, je nachdem.
Ja, was denn nun?
Man kann sagen, aber nur so ungefähr, wo Licht sein wird.
Licht kratzt an Exaktheit,
lässt Wissenschaftler rechnen mit Wörtern wie „wahrscheinlich“.
Treibt Normalsterbliche in den Wahnsinn,
die versuchen, das zu verstehen.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, sagten die Forscher der Bibel,
damals im fremden Babylon, als sie Zeit hatten zum Nachdenken,
Licht hat eine geheime Quelle,
irgendwo bei Gott,
Licht ist da vor Sonne und Mond und den Sternen, die sich aus ihm speisen.
Denn man sieht es ja, am Horizont, bevor man Sonne sieht oder Mond.
Gott macht das Licht.
Ganz am Anfang.
Immer als erstes, vor Tag, vor Schöpfung,
Irgendwo im Verborgenen.
Bevor etwas Gestalt gewinnt, ist Licht schon da.

Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus,
Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Lied: EG 74 Du Morgenstern, du Licht vom Licht


Alles, was ist, nimmt Licht an und wirft es zurück,
wird sichtbar.
Licht dringt durch die Nacht des Todes,
führt durch die Finsternis.
Es erhellt die dunklen Täler in Sekundenschnelle,
erlischt auch, aber kommt wieder, immer wieder,
und wird geboren in einer Krippe, in einem Stall.
Das wird jetzt kein Jubelruf über den Gott, der sich einlässt auf Enge und Finsternis.
Licht in einem Stall,
da ist nichts mehr mit Enge und Niedergedrücktsein.
Licht, die unverfügbare Kraft,
Gottes ewiges Licht in der Krippe,
da hebt sich das Dach,
da scheint der Himmel hinein,
da werden Sterne groß wie die Sonne oder jedenfalls einer,
da ist Platz in einem Stall für die ganze Welt.
Aller Welt wird Heil widerfahren, in dieser Nacht,
behauptet Gabriel selbstbewusst
allen sind die Augen geöffnet.
Sie sehen.
Sie stehen gemeinsam vor der Krippe.
Sie jubeln mit den Engeln in einem Chor:
Friede auf Erden.
Hirten, Analphabeten vermutlich, ungeübt in der Konversation,
werden zu Botschaftern des Lichtes Gottes,
fangen plötzlich an zu predigen, erzählen und alle hören zu.
Marias Herz ist bewegt.
Das Licht der Welt liegt vor ihr, ihr Sohn,
ein kleines Teilchen von Gottes Licht, das aber Wellen schlagen wird,
große Wellen, da ist sie sicher.
Ich bin das Licht der Welt.
Zu diesem Selbstbewusstsein wird sie ihren Sohn erziehen
und alles geben, was sie hat.

Lied: 37, 1 Ich steh an deiner Krippen hier

Einmal auf den Weg gebracht
flitzt das Licht Jahrtausende durch das Weltall,
lässt sich nicht aufhalten und nicht einfangen.
Wer Licht einsperren will, hat nur Dunkel in der Hand.

Ich bin das Licht der Welt.
Da holt aber einer richtig aus.
Ich bin das Licht.
Jesus weiß nichts von Wahrscheinlichkeitsrechnung,
aber die Kraft des Lichtes, die kennt er,
aus heißen Sommern, aus dunklen Nächten.
Er kennt den Schein der Öllampen
und das Flackern von Kerzen, die den Raum erhellen, sobald sie entzündet sind.
Ich bin das Licht der Welt.
Und Jesus, der Jude, kennt natürlich auch die Geschichte vom Licht am ersten Tag,
weiß, dass das Licht ewig ist, vor allem anderen war, von Gott kommt.
Er kennt auch die Worte Gottes an Jesaja (aus Jes 42,6; 49, 6)
Ich mache dich zum Licht der Heiden,
dass du die Augen der Blinden öffnen sollst
und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen
und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker,
dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

Licht, das sich nicht einsperren lässt.
Licht, das sich von der Finsternis nicht aussperren lässt.
Ich bin das Licht der Welt.
Da meint einer, was er sagt.
Keine falsche Bescheidenheit.
Ein großer Anspruch an sich und andere
angesichts der Finsternis, die Jesus spürt und sieht
und an der er leidet wie die Menschen um ihn herum:
Das Klein – Klein der Hoffnung,
das sich mühsam an die Grenzen hält, die ihnen gesetzt werden,
die Anstrengung das Leben zu erhalten,
Nahrung – ein Problem,
Krankheit – eine Katastrophe,
Alter – nur erträglich, wenn die Söhne bleiben,
sich nicht in die Berge schlagen, weil sie den Römern unangenehm aufgefallen sind und sich wehren.
Finsternis um sie herum,
das ist wie eine verschlossene Tür, vor der sie stehen.
Keine Idee, wie sie zu öffnen wäre.
Blendende Finsternis, dass sie das Licht  kaum noch wahrnehmen.
Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus,
ein großer Anspruch und eine große Verheißung.
Der Jesus anschaut, der sieht Licht in der Finsternis.
Die ihm nachfolgt, die lebt im Licht.

Lied: EG 37, 3 Ich lag in tiefster Todesnacht

Licht des Lebens.
Licht in der Finsternis.
Das Licht Gottes hatte die Krippe verlassen,
die Windeln abgelegt nach einiger Zeit,
und sich auf den Weg gemacht hinein in die Welt.
Und war nicht aufzuhalten.
Jesus vertraute der Quelle des Lichtes,
das war, bevor irgendetwas wurde und bleibt, wenn alles geht.
Er vertraute der Kraft Gottes,
die wie ein Irrlicht Grenzen umtanzt und überwindet.  
dieser Kraft, die einen Funkenflug der Liebe niederregnen lässt, wo Trauer oder Hass lebt,
einen Regenbogen der Hoffnung spannt, wo alles am Ende scheint.
Keine Finsternis, der Jesus auswich,
das Dunkel der Gefängnisse,
das Dunkel der Blinden,
das Dunkel der Schuldbeladenen –
Jesus ging hinein und brachte Hoffnung und Liebe und Heilung in verfahrenes Leben,
ging bis in das Dunkel des Todes.
Die Jünger Jesu haben gelitten.
Für sie sah es so aus, als ob ihre große Hoffnung, das Licht ihres Lebens mutwillig  sein Verlöschen provoziert.
Denn so weitreichend und schnell und ungreifbar das Licht auch ist:
für eine Kerze reicht eine Handvoll Wasser, ein Atemhauch, um ihr das Licht auszublasen.
Aber Licht sein, sagt Jesus, heißt nicht über den Dingen schweben,
einmal aufzuscheinen,
eine Lightshow abzuziehen, mit großartigen Effekten
und dann dem grauen Alltag wieder Platz zu machen.
Ich will alles und ich will alles für euch,
Leben im Licht, Licht des Lebens.
Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht  des Lebens haben.

Lied: EG 37, 8.9

Licht zu Weihnachten, da können wir nicht genug von bekommen.
Kerzen, Lichterketten,
von der Wärme des Lichtes angetriebene Pyramiden,
die dunkelsten Tage des Jahres leuchten so intensiv, so zu Herzen gehend,
wie es kein Sommertag schafft.
Dieses Weihnachtslicht in sich zu tragen, das schmerzt,
denn es verhindert, dass wir die Augen schließen vor dem,
was wir nicht sehen möchten.
Licht Gottes lässt sich nicht einsperren und lenken.
Es macht sichtbar nicht nur die Berge und Täler,
sondern eben auch die Herzen der Menschen, ihre Liebe, ihren Schmerz.
Wer Jesus nachfolgt, spürt den Schmerz und die Liebe des Nächsten wie seinen eigenen.
Dieses Licht in sich tragen, macht ruhelos,
treibt uns zu Flüchtlingen in unserer Nachbarschaft,
trotz Weihnachten und Vorbereitungen.
In diesem Licht, da sieht man einfach zu viel.
Da kann dieser und jener noch Hilfe gebrauchen und dieses Leid gelindert und dieses Wort gesprochen werden.
Aber so ist das eben, wenn einer in eine Krippe blickt,
in der das Licht der Welt aufscheint
und sich aufrichtet und Licht sieht, wo andere nur dunkel vermuten
und Dunkelheit spürt, wo andere Abstand halten. .


Weihnachten.
Alle sind da.
Wir feiern.
Feiern das Kind in der Krippe.
Feiern die Liebe Gottes zu dieser Welt.
Kerzen brennen.
Wir geben das Licht weiter, schenken, nicht nur den Nahen, auch dem Nächsten.
Jesus Christus spricht:
Ihr seid das Licht der Welt.
Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.
So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Amen


Lukas 2, Simeon und Hannah, 1. Sonntag nach Weihnachten 2014

Liebe Gemeinde,
ich habe einen Vorschlag für Ihr nächstes Weihnachtsfest:
Packen Sie Krippe und Engel ganz oben auf den Boden.
Wegwerfen?
Nein, das wäre schade.
Aber verpacken Sie sie gut, sie werden erst einmal nicht mehr gebraucht.
Das Kind?
Ja, das Kind darf bleiben.
Auch Maria und Josef.
Aber anstelle des Stalls stellen Sie einen Tempel auf,
den Tempel von Jerusalem, wenn möglich.
Und anstelle von Gabriel  und Engelswiese und den Hirten und Königen,
zwei alte Leute,
Greise, kurz vor dem Ende ihres Lebens.
Ein Mann, eine Frau.
Und es gibt kein „Es begab sich aber zu der Zeit“,
sondern ein „Geboren in Nazareth, beschnitten nach dem Gesetz.
Keine Sorge, da gewöhnen wir uns schnell dran.
Maria hat die rituelle Reinigung nach der Geburt hinter sich.
Von Jungfrau und Gottessohn hat keiner etwas gehört.
Auch verkündende Engel brauchen wir nicht.
Maria und Josef haben noch keine Ahnung, was genau es mit ihrem Sohn auf sich hat.
Kein Hirte hat die Botschaft weitergegeben.
Aber natürlich ist ihr Kind besonders.
Für sie.
Der Erstgeborene!
Was für ein Glück, was für eine Freude!
Wenige Wochen ist er alt, aber schon der Mittelpunkt ihres Lebens, ihrer Liebe.
Sie wollen im Tempel ein Opfer bringen, ihn Gott vorstellen.
Das wäre auch in Nazareth gegangen, aber für ihren Jesus nur das Beste.
Allerdings: Reisen kostet Geld.
Für das Opferlamm reicht es nicht mehr.
Zwei Tauben tun es auch.
Eine Mutter, ein Vater, am Beginn ihres gemeinsamen Lebens,
glücklich mit dem, was sie haben, aber auch offen für etwas Großes.
Etwas Großes für ihren Sohn.
Ist es nur ein Traum von aufgeregten Eltern, die ihr persönliches Erleben übersteigern?

Hören wir die Weihnachtsgeschichte von Jerusalem aus dem 2. Kapitel des Lukasevangeliums:
Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm.
Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.
Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel.
Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
den du bereitet hast vor allen Völkern,
ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.
Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.
Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter:
Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird
und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.
Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte,
und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht.
Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.


Weihnachten in Jerusalem.
Keine Krippe, die Stufen des Tempels gehören zum Bild dazu.
Das ist einfach, das kriegen wir hin.
Aber die Figuren.
Da wird es schwieriger.
Wie soll Simeon aussehen, wie Hannah?

Simeon, berichtet die Bibel, ist ein alter Mann, ein Greis, kurz vor dem Ende seines Lebens.
Die Furchen in seinem Gesicht denken Sie sich selber dazu.
Das Wichtige: Er ist einer, der sein Leben lang wartet.
Das sieht man ihm an.
Der schaut weiter als bis zur Treppe zu seinen Füßen.
Geduld kann man spüren, aber auch gebändigte Kraft, die er aufgehoben hat,
damit er das Erwartete auch erleben kann,
einer der sich nicht bescheidet, nicht damit zufrieden geben will,
dass sich Träume vom Frieden in Rauch auflösen.

Kann man das denn?
Ein Leben aushalten, das sich erst zuletzt erfüllt?
Leben, weitermachen, Tag für Tag,
aus dem Fenster schauen, wie alte Menschen es bei uns manchmal tun,
das Ticken der Uhr, das Essen auf Rädern,
Verwandte, die vorbeischauen ab und zu,
warten, dass jemand kommt und wieder geht,
Erinnerungen eines langen Lebens und fast alles liegt hinter einem.
Angst vor dem Tod?
Nicht unbedingt.
Aber die Zeit ist geschrumpft,
nicht viel Jahre übrig um zu erleben,
dass ein Schmerz gelindert wird,
eine Schuld vergeben,
eine Sehnsucht erfüllt.
Eine Tochter, die wiederkommt, nach langen Jahren,
ein Freund, der verzeiht, was zum Streit geführt hat.
Simeon wartet, wartet mit Unruhe und findet keinen Frieden.
Lass mich nicht sterben, Gott, wird er gebetet haben.
Lass mich nicht  vorher sterben.
Simeon wartet auf den Trost Israels, einst vom Propheten Elia prophezeit.
Er ist einer, der erwartet, dass das zu seinen Lebzeiten geschieht, wonach sich sein Volk seit Jahrhunderten sehnt.
Er erwartet, dass Gott ihn hört.
Was für ein Selbstbewusstsein!
Ich, ich will das.
Ich will das erleben.
Ein alter Mann als Sprachrohr für sein Volk.
Ich ertrage es nicht, mein Volk im Unglück zurückzulassen,
zu sterben und zu wissen, alles bleibt beim Alten.
Ich muss zumindest wissen, dass es aufwärts geht,
berechtigte Hoffnung da ist.

Und nun hält hat Simeon das Kind in seinen Armen.
Ein Leben, ganz am Anfang.
Er wird nicht erleben, wie dieses Kind aufwächst und welche Wege es geht,
aber es ist genug für ihn: Der Retter ist da.
Nun kann ich in Frieden sterben.
Das muss ins Bild.
Unbedingt.
Sehnsucht und Erfüllung in einem.
Simeon hält das Kind auf dem Arm und mit seinen durch Hoffnung geschärften Augen weiß er genau, was er sieht.
Er weiß, er steht in diesem Augenblick im Mittelpunkt der Welt
und mit diesem Baby hält er den Schlüssel zum Frieden auf dem Arm.
Das sagt er den Eltern.
Da ist nichts mehr mit Seligkeit und Blindheit vor Liebe.
Wie groß auch die Erwartungen der Eltern für ihr Kind sein mögen,
sie werden korrigiert.
Simeon ist nicht blind in seiner Hoffnung.
Er sieht das Schwert, dass dieses Kind seinen Eltern ins Herz stoßen wird,
er sieht die Kämpfe, die dieses Kind gegen viele führen muss
und für die es keine Waffen mit auf den Lebensweg bekommt,
nur Liebe und den Mut, den Weg dieser Liebe zu gehen.
Auch das muss ins Bild.
Der klare Blick des Simeon
und die erstaunten, erschrockenen Blicke der Eltern,
die das nicht fassen können.
Ihr Sohn? Der künftige Retter?
Ist der Alte durchgedreht?

Doch noch ein alter Mensch kommt dazu.
Hannah.
Vor Urzeiten war sie mal verheiratet, 7 Jahre lang.
84 Jahre alt ist sie, berichtet die Bibel, genau wie selten,
eine Asketin, die Tag und Nacht im Tempel lebt
fastet und betet,
eine Frau, ja, aber sie wird ernst genommen durch ihre untadelige, aufopfernde Lebensweise.
Ein erfülltes Leben hat sie nicht gehabt, wie sie damals für Frauen vorgesehen waren,
keine Kinder, keine Enkel,
niemand, der für sie sorgt.
Sie lebt von dem, was ihr im Tempel gegeben wird.
Prophetin wird sie respektvoll genannt,
eine Botin Gottes.
Die Menschen hören auf sie.

Auch Hannah wartet.
Wartet auf den Augenblick, da Hoffnung aufscheint, weil er kommt, der Langerwartete.
Und als er da ist, erfüllt sie ihre Aufgabe und tut, was der alten Simeon nicht mehr schafft,
sie sorgt dafür, dass die Nachricht von dem Kind und der Hoffnung unter die Leute kommt
sie, die Prophetin, predigt den Menschen mit Vollmacht.

Weihnachten ist vorbei.
Noch steht der Baum in vielen Wohnungen, aber bald wird er abgeschmückt.
Und auch die Krippenfiguren werden eingepackt, bis sie nächstes Jahr wieder zum Leben erwachen:
Die Hirten, die Tiere, die Könige, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe, der Stall.
Ein Bild mit seiner eigenen Botschaft, das ich nicht missen möchte.
Doch auch dieses andere Bild ist mir wichtig geworden beim Nachdenken über die Geschichte von Simeon und Hannah.
Diese vier Menschen auf den Stufen des Tempels, wo ein Kommen und Gehen herrscht.
Alltag.
Keiner der vier ist besonders wichtig.
Niemand achtet groß auf sie.
Und auch wenn die Bibel die Weisheit des Alters preist,
so sehen die Menschen dort alte Menschen nicht viel anders  als wir heute.
Die haben ihre Geschichte hinter sich.
Die brauchen nur noch Hilfe und Unterstützung,
die geben kaum noch etwas.
Kaum einer rechnet da noch mit einem Neuanfang oder dass sie dazu maßgeblich beitragen können.
Auch die frischgebackenen Eltern werden erleben, was alle Eltern erleben:
Sie werden ihr Kind aufwachsen sehen,
es begleiten durch die Kindheit und Jugend.
Sie werden dafür sorgen, dass ihr Kind den Platz einnimmt,
den sein Geschlecht, seine Herkunft ihm zumessen,
im Falle Jesu: Zimmermann auf den Baustellen der Reichen, der Römer,
Mensch ohne Landbesitz, der sich durchschlagen wird wie sein Vater Josef auch.
Dieses Bild korrigiert Gott.
Lasst euch nicht klein machen, mahnt er.
Ihr, euer Leben steht im großen Horizont der Geschichte der Welt.
Gebt euch nicht zufrieden, mit dem was ist, mit dem, was ihr habt.
Wartet, wartet auf mehr.
Lasst eure Erwartungen nicht begrenzen,
nicht von dem Bild, das die Menschen sich von euch machen,
nicht von der Rolle, die man euch zuspricht,
auch nicht von dem Alltag, der die Hoffnung begrenzt.
Wartet,
erwartet alles für euch, für diese Welt.

Weihnachten – das zeigen der alte Simeon und die alte Hannah –
Weihnachten – das ist ein Fest des Wartens.
Warten auf den Moment der Erfüllung.
Sich nicht zufrieden geben mit weniger.
Ein Fest des Wartens und der korrigierten Erwartung.

Vielleicht könnten wir im nächsten Jahr doch etwas ändern,
ohne gleich in ein neues Weihnachtsbild zu investieren:
Stellen wir die Engel ein wenig in den Hintergrund.
Stellen wir an ihre Stelle Bilder von Menschen des Alltags, die predigen,
Müllleute und Lehrerinnen,
Verkäufer und U-Bahn-Fahrer,
Beamte und Fabrikarbeiter,
Menschen der verschiedenen Erdteile,
Arme und die Reichen dazu,
Mütter und Väter auf den Spielplätzen,
denen die Hoffnung die Langeweile und den Stumpfsinn ihrer Tage ausgetrieben hat,
und Simeon und Hannah als Vertreter der Menschen, die wir uns angewöhnt haben „Senioren“ zu nennen,
alle mit strahlenden, klaren Augen, weil sie einen Lichtstreif am Horizont sehen,
alle mit aufrechter Haltung, weil sie wissen, wie wichtig sie sind,
jeder und jede einzelne.
Der Himmel öffnet sich, nicht weil Engel kommen,
sondern weil diese Menschen sich zutrauen zu sehen,
in einem gespendeten Mantel oder Euro die Stillung des Hungers und der Not der Welt,
in einem Handschlag der Versöhnung, in einer Geste der Vergebung die Versöhnung der Welt,
in einem Kind der Liebe den Weg zum Frieden für alle.
Der Himmel öffnet sich, weil diese Menschen bereit sind,
ihr Leben nach dieser Hoffnung auszurichten
Sie wissen, ihre Gesten sind wichtig und  ein Anfang und sie erwarten mehr, viel mehr.

Was erwartet Ihr?
Für euch und für die Welt?
Glaubt ihr, dass es wichtig ist für die ganze Welt,
dass ihr leidet an der Gewalt und dem Unfrieden, der uns tagtäglich vor die Augen und Ohren kommt?
Glaubt es, denn euer Mitgefühl ist die Kraft, die Gewalt überwinden kann.
Glaubt ihr, dass es wichtig ist für die ganze Welt,
dass wir hier sind und zusammen Gottesdienst feiern?
Glaubt es, denn das Lob Gottes des Schöpfers ist es, das die Welt dazu bringt, das Leben wertzuschätzen.
Jedes Leben.
Glaubt ihr, dass es wichtig ist für die Welt,
wenn ihr für ein Jahr in ein anderes Land geht und ein bisschen lernt und ein bisschen helft?
Glaubt es, denn durch euch atmet auch Gott etwas leichter, weil etwas aufscheint von dem, was er will, für alle auf dieser Welt.
Glaubt ihr, dass es wichtig ist, wenn ihr eurer Nachbarin beim Tragen helft,
eurer Schwester, eurem Bruder, euren Eltern, eurem Kind die Hand zur Versöhnung reicht?
Glaubt es, denn ohne diese Gesten wird die Welt keinen Schritt vorwärtskommen.
Nur: Legt auf jeden Fall eure Bescheidenheit ab und redet darüber!
Werdet zu Botinnen und Boten des Friedens Gottes, wie Hannah!
Weckt Erwartungen!
Bestärkt die, die auf mehr warten, als auf den Schulabschluss, das Gehalt, die Rente, den Abend eines Tages oder eines Lebens.
Weckt Erwartungen auf den Frieden auf Erden,
damit Weihnachten werde auf der ganzen Welt.
Wann?
Nächstes Jahr natürlich.
Auf jeden Fall beginnt es mit uns, zu unseren Lebzeiten.
Das erwarten wir, Gott.
Hörst du?
Amen.

Sonntag, 16. November 2014

2 Kor 5, 1-10 Vorl. Sonnt. 2014 (Volkstrauertag, 9. November 1989)


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Sehnsucht – eine Triebfeder des Lebens, eine Schwester der Hoffnung.
Sehnsucht nach dem, was noch nicht ist, aber sein soll.
Wie hätten die wenigen, die die Todeslager Deutschlands überlebten, das geschafft,
wenn da nicht die Sehnsucht geblieben wäre, dass eine Rückkehr ins Leben möglich wäre,
wenn sie nicht irgendein Bild dieses Lebens bewahrt hätten?
Wer nicht mehr die Kraft hatte, an dieser Sehnsucht festzuhalten, hatte noch weniger Chancen zu überleben.
Einfach war es, sich in den Strudel des Todes, fallen zu lassen.
Sehnsucht - sich nicht abfinden, mit dem, was ist, auch wenn nicht ganz klar ist, wie der Weg zu ihrer Erfüllung aussehen kann.
Sehnsucht nach einem Ende des Hungers und der Verfolgung ist es, die Menschen auf  unsichere Boote treibt.
Sehnsucht ist schwer abzustellen.
Das zeigte sich auch an den Rufen der Menschen, die in der DDR lebten,
und ihre Sehnsucht nach Freiheit lautstark in die Welt schrien.
Gegen eine Mauer, die als Damm gegen diese Sehnsucht errichtet worden war, sich aber als zu schwach erwies.
Nehmen wir uns einen Moment Zeit und überlegen jeder für sich:
Gibt es zur Zeit etwas, auf sich meine Sehnsucht richtet?
Und wie fühlt sich diese Sehnsucht an, quält sie oder bestärkt sie, lähmt oder beflügelt sie mich.
Pause
Sehnsucht ist eine Triebfeder der Menschen, behaupte ich, aber Sehnsucht hat keine Moral, ist nicht einfach gut.
Menschen sehnen sich nach Unerreichbarem und gehen dadurch an den Perlen der Gegenwart vorbei.
Die maßlose Sehnsucht, ein großes Volk zu sein, hat Deutsche wie große Teile der Welt an einen Abgrund geführt.
Todessehnsucht, Sehnsucht nach dem Himmelreich, weit weg von allem, was ans hässliche Dasein bindet.
Eine Art Opium gegen das Leiden?
Hören wir, wie Paulus von seiner Sehnsucht redet, die er im 2. Korintherbrief im 5. Kapitel beschreibt.
1 Denn wir wissen: wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, so haben wir eine Wohnung, von Gott erbaut, ein ewiges Haus, nicht mit Händen gemacht, im Himmel. 2 Denn darum seufzen wir jetzt auch und sehnen uns danach, dass wir mit dem himmlischen Haus überkleidet werden. 3 So bekleidet werden wir nicht nackt erscheinen.
Denn solange wir in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. 
Paulus, ist das dein Ernst?
Unser Zelt auf Erden mag ungenügend sein.
Immer fehlt ein Hering um es festzumachen und ab und zu regnet es rein.
Und immer wieder wird Menschen ihr Zelt einfach weggerissen, ich weiß.
Aber sich auf den Tod freuen, sich nach dem Himmel sehnen, ist das die Lösung?
Ist es nicht im Gegenteil bewundernswert, wie Menschen sich ans Leben klammern,
immer noch Hoffnung auf Veränderung haben und auf ihre Sehnsucht nach einem besseren Leben hören?
Und werden wir mit deiner Sehnsucht nach einem himmlischen Zuhause nicht allen Vorurteilen gerecht, die man gegen Christen hegt?
Meine Liebe, mag Paulus vielleicht antworten,
ich stehe so unter Druck, das kannst du dir nicht vorstellen.
Ich lebe in einer brutalen Welt, der ich nackt und schutzlos ausgeliefert bin. Ganz leicht kann ich untergehen.
Und meine Gemeinde in Korinth weiß mich ohnehin nicht recht zu schätzen.
Spott und Streit schlagen mir entgegen.
Was meinst du, wie schwer es mir fällt, an meiner Hoffnung und an meinem Glauben an Jesus fest zu halten.
Da hilft mir die Sehnsucht nach einem himmlischen Haus,
erfüllt von Gottes Güte.
Dort können wir uns die Fetzen vom Leibe reißen, die uns das Leben zumutet zu tragen.
Da können wir uns in Frieden zeigen, wie wir sind.
Da erfahren wir Gerechtigkeit nach allem Leid.
Das ist doch wunderbar.
Aber, versuche ich seiner Schwärmerei Einhalt zu gebieten, ist das nicht Weltflucht?
Kann Gott das wollen?
Lies meinen Brief weiter, antwortet Paulus.
5 Der uns aber dazu befähigt  hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat. 6 So sind wir denn allezeit zuversichtlich, auch wenn wir wissen: solange wir in unserem Leibe wohnen, leben wir fern von Gott in der Fremde; 7 denn wir gehen als Glaubende unseren Weg, nicht als Schauende.
8 Wir sind aber zuversichtlich und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei Gott.
Das klingt auch noch nicht so richtig gut, sage ich vorsichtig.
Dann verstehst du nicht, was ich meine, erwidert Paulus.
Du kannst doch nicht leugnen, dass die Welt weit davon entfernt ist, ein friedlicher Ort zu sein.
Fühlst du dich hier richtig zu Hause?
Na ja, sage ich.
Na, ich hoffe nicht, sagt Paulus streng, angesichts der Masse von Hunger und Grausamkeiten, von Flucht und ...
Ist ja gut, sage ich schnell, ich weiß, habe ich alles im Blick.
Und, fährt Paulus wieder ruhiger fort,  ich weiß, dass es unpopulär bei euch ist, das Leben vom Tod her zu betrachten.

Ich bleibe ja auch und halte alles aus.
Aber ich glaube fest und zuversichtlich daran, dass ich auf Gott zulaufe,

auf ein helles und friedliches Zuhause, das ich hier nicht finde,
mit dem ich aber alles vergleiche, was hier ist.

Und mit dieser Zuversicht im Herzen weiche ich nicht aus, keinem Leid, das mir begegnet, keinem unechten Ton.
Ich stelle mich dem und setze alles, was ich habe und kann, dagegen,

weil ich durch Gottes Geist ein Gespür dafür habe, was richtig und falsch ist und was dem Frieden dient.
Ich schweige und bin doch etwas beeindruckt.
Paulus zeigt auf den Text und ich lese den Rest.

9 Darum suchen wir auch unsre Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim sind oder in der Fremde.
10 Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, was er getan hat bei Lebzeiten.

Gericht?, frage ich zweifelnd.
Ja, sagt Paulus.
Und was soll da kommen?, frage ich weiter?
Wenn wir vor Christus stehen, antwortet Paulus ruhig und gelassen, dann schaut er uns an mit Güte und Liebe und Verständnis.
Und er bringt uns alle dazu auf unseren Weg  zu schauen
und wir erkennen, was gerade und was krumm gewesen ist.
Und was ist das mit dem Lohn?, frage ich.
Das werden wir dann sehen, sagt er, aber ich habe keine Angst davor, dass dabei ein Höllenfeuer herauskommt.
Eher so etwas wie eine Läuterung, wenn sie den Sinn und den Unsinn ihres Lebens betrachten.
Das mag für manche recht unangenehm ausfallen, aber Jesus hat bisher noch jeden Sünder mit Hoffnung betrachtet.
Warum soll sich das im Himmel ändern?
Also ist deine Sehnsucht nach dem Himmel etwas, dass dir hilft zu leben?, frage ich.
Ja, sagt Paulus, und  ich empfinde es als große Ehre, dass mir die Augen geöffnet wurden durch Jesus Christus und ich mich auf dem richtigen Weg befinde.
Danke, sage ich und beende fürs Erste das Gespräch.

Das ist nicht populär.
Das Leben vom Tod aus sehen, von der Sehnsucht nach diesem guten Ende aus das eigene Leben betrachten – Wer tut das schon?
Der Soziologe Jean Ziegler beklagt, dass im Zuge des Kapitalismus
der Mensch das Gespür für die Einzigartigkeit des Lebens verliert
und nur noch als Produzent und williger Konsument von Interesse ist.
Er sagt: „
Indem der Mensch sich seiner Endlichkeit bewusst wird, ...., schafft er so etwas wie sein eigenes Schicksal.
Er wird sich seiner „radikalen Einzigartigeit“ bewusst.
Sein Leben ist einzigartig.
Ein Leben, in dem kein Augenblick dem anderen gleicht und in dem auch keiner jemals zurückkehrt.
Das führt zur Verantwortung dem eigenen Leben gegenüber
und in der Folge auch zur sensiblen Achtung der Einzigartigkeit jedes anderen Menschenlebens.“ (aus: Die Lebenden und der Tod)
Der Tod als Freund, als Lebenshilfe?
Menschen erleben, wie der Tod grausam in ihr Leben einbricht und die Liebsten mitnimmt.
Sie spüren, wie schwer es bei uns ist, Menschen zu finden,
mit denen sie diese Erfahrung  teilen können, auch über die Beerdigung hinaus.
Menschen, die am Ende ihres Lebens angelangt sind, Sterbende, können allerdings deutlicher  den Sinn und Unsinn ihres Lebens unterscheiden.
Das hat im Alltag bei uns jedoch kaum einen Platz.
Paulus sicherlich als Mensch noch Angst vor dem Tod, zumindest vor dem Sterben.
Aber er spürt die Augen Jesu, auf den er zuläuft, 
er kann seine Würde, seine Ehre darin finden, den ihm zugedachten Weg so gut wie nur möglich zu laufen
und er vertraut fest darauf, dass das was am Ende wartet, ein Haus des Friedens und der Gerechtigkeit ist.
Durch die Sehnsucht auf den Himmel Klarheit für das Leben gewinnen, ich denke darum geht es ihm.
Sie hilft, dass ich mich  nicht blenden lasse, wegführen lasse von der Einzigartigkeit jeden Lebens.
Diese Sehnsucht vergisst nicht, was Menschen angetan wurde,
nicht die Folgen der Kriege und Trennungen,
die bis heute ihre Spuren im Leben und den Persönlichkeiten der Familien hinterlassen und derer wir am Volkstrauertag gedenken.
Aber die Sehnsucht ist eine Kraft, die uns nach vorne treibt und,
wenn sie die Augen Jesu als Ziel hat,
mit anderem Blick auf die Welt sieht.
Wie kann das aussehen?
Ich wage es, Ihnen nochmal mit dem 9. November 89 zu kommen.
In dieser Nacht ist die Freude explodiert.
Menschen aus zwei getrennten Staaten sind sich in die Arme gefallen,
ein Moment überschwänglichen Glücks, in dem alles offen war.
Die Sehnsucht hatte ihr Ziel erreicht.
Aber was genau war ihr Inhalt?
Freiheit, ja, aber Freiheit wozu genau?
Die Sehnsucht nach dem goldenen Westen war unklar.
Das Bild von diesem Westen stimmt mit der Realität in diesem Westen nicht unbedingt überein.
Wäre es nicht gut gewesen, erst einmal Menschen, die gelernt hatten, den Mund zu halten,
mehr Zeit zu geben, ihre Erfahrungen  mit den anderen zu teilen?
Und ihnen von unseren zu erzählen?
Hätte man nicht in Ruhe überlegen können und das Beste aus beiden Staaten nehmen und daraus eine neue, gerechtere Ordnung schaffen können?
Das hätte man das tun müssen, wenn man wirklich Sehnsucht nach einem gerechten und partnerschaftlichen Leben gehabt hätte.
Die große Freude fiel schnell in sich zusammen,
auch wenn sich das Glück über die neue Bewegungsfreiheit,
das Ende der Diktatur in der DDR und den Fall der Mauer sicher bis heute hält.
Die  Stadt schrumpfte um die Hälfte der Bevölkerungszahl, die Arbeitslosigkeit nahm rapide zu,
ein Theater und Kino nach dem anderen,
eine Unzahl von Betrieben, den Gesetzen des Marktes nicht gewachsen, schlossen.
Bis heute ist bei vielen ehemaligen Bürgern der DDR Bitterkeit geblieben, obwohl sie sich die Zeit der DDR nicht zurückwünschen.
Verstehen Sie mich nicht falsch:
Nach wie vor gehört diese Nacht vom 9. November zu den zwei überwältigensten Ereignissen in meinem Leben.
Das 2. ist die Geburt meiner Kinder.
Aber ich kann mich auch an meine Enttäuschung erinnern, dass die große Chance dieses Augenblicks vertan wurde, im Land,
auch in der Kirche, die einen kräftigen Ruck ins Konservative machte.  
Und das ist schade, denn solche Momente gibt es nicht häufig,
Momente, in denen alles offen ist und die Karten neu gemischt werden könnten.
In der Sehnsucht nach Freiheit hätte die Sehnsucht nach echtem Zusammenwachsen stecken müssen.
Was haben die anderen zu bieten, was wir
und was sollte als neuer deutscher Staat unser Signal sein, vielleicht der friedlichste Staat Europas zu werden, so als Zeichen angesichts unserer Geschichte?
Sehnsucht ist nicht an sich gut.
Jesus wollte uns eine Sehnsucht nach einem friedlichen Leben ans Herz legen, das weit über das Machbare hinausgeht
und Grenzen überwindet, die ähnlich unzerstörbar erscheinen, wie einst die Mauer.
Darum, sagt Paulus, suchen wir auch unsre Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim sind oder in der Fremde.
Denn Gott
hat sich durch Jesus die Ehre gegeben,
die Ehre seinen Weg mit unserem zusammenzutun.
Der Himmel bei Paulus ist ein Ort der Klarheit, in der Liebe und Gerechtigkeit die Realität prägen.
Und Gott bittet uns von diesem Ort aus,
vergesst nicht euren Blick immer wieder zu heben auf dieses Ende bei mir.
Lasst das, worauf sich eure Sehnsucht richtet, nicht zu klein werden.
Prüft, ob sie euch wirklich gerecht wird.
Bezieht die Nöte und Sehnsüchte der anderen in eure Sehnsucht ein und lebt nicht an ihnen vorbei.
Gestaltet euer Leben so, dass ihr immer noch Verlangen nach mehr, nach dem „Haus im Himmel“ fühlt.
Lasst es zu, dass ihr den Druck dieses Lebens spürt, bei euch und anderen.
Diese Hoffnung auf eine neue Kleidung, ein neues Leben im himmlischen Haus ist keine Flucht, kein Opium.
Wenn ich die Fremdheit dieser Welt an mich heran kommen lasse und damit die Sehnsucht nach einem anderen Zuhause,
wenn ich die Endlichkeit meines Lebens und seine Einzigartigkeit ernstnehme und mich auf die Weite von Gottes Blick einlasse,
dann lebe ich wirklich in der Realität,
dann entwickle ich  ein Gespür  dafür, was dem Frieden dient.
Dann fühle ich mich bei Gott zu Hause
und in meiner Sehnsucht nach diesem Haus begegne ich Gott.
Auch heute.
Auch hier.
Amen


Samstag, 13. September 2014

Apg 6, 1-7, 13. S. n. Trinitatis 2014

Mit wertvollen Anregungen von Peter-Michael Schmudde aus der Facebook-Gruppe Ev. Predigtforum und den Predigtstudien hier mein Traktat zum Hunger der Witwen:


Apg 6, 1-7 13. Trinitatis 2014

Wie im Himmel.
Da sieht einer, wer ich bin,
Da gibt eine, was ich brauche,
Da nimmt jemand, was ich gebe.
Wie im Himmel.
Gespräche fließen, ineinander, ohne Mühe.
Ein Ton gibt dem anderen die Hand, breitet sich aus, fließt als Musik in die Welt.
Wie im Himmel.
Das Brot wird mehr, je mehr Menschen es teilen,
die Sonne küsst die Traube und wird Wein,
keiner steht draußen
und Gott ist keine Frage mehr, sondern da, einfach da.

Wie im Himmel,
so haben sich die Sklaven gefühlt,
damals in Jerusalem oder auch in Korinth
Da wurden sie,
endlich,
nach einem Tag voller Mühe,
spätabends von den Herren entlassen,
der Körper schrie nach Schlaf,
aber sie kamen doch in den Raum,
wo sich die Christen trafen,
und konnten essen und reden.
Schwestern und Brüder durften sie sein, nicht Besitz,
frei im Geist,
frei, die Welt zu sehen wie sie ist,
und gleichzeitig vom Himmel nicht nur zu träumen,
sondern ihn zu leben, selbstbewusst und liebevoll,
mit den anderen reichen und armen Menschen Jerusalems,
weil Er mitten unter ihnen war.
Wie im Himmel war es, erzählt Lukas in seiner Apostelgeschichte,
als alle, die gläubig geworden waren, beieinander  waren und  hatten alle Dinge gemeinsam
und machten ihre Habe zu Geld und teilten aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte.
Wie im Himmel fühlte sich das an,
jeden Tag einmütig zusammen im Tempel
das Brot brechen hier und dort in den Häusern,
wie im Himmel waren die Mahlzeiten, die sie gemeinsam mit Freuden aßen und mit lauterem Herzen.“ (Apostelgeschichte 2, 44-46 )
Wie im Himmel.

Sie kennen das vielleicht von früher:
Mit einem hässlichen Kreischen stoppt im dunklen Kinosaal der Film.
Das Band ist gerissen.
Das Licht geht an und jäh wird man heraus gerissen aus der Welt, in der man sich gerade befand.
So wird es auch Petrus gegangen sein, als ihm das Murren zu Ohren kam,
Sätze wie: Wir werden übersehen. Andere kriegen mehr.
Ein jäher Sturz aus dem Himmel.
Lukas berichtet im 6. Kapitel seiner Apostelgeschichte:
In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

Witwen  - das sind die Schwächsten unter den Frauen,
sie haben keinen Schutz,
kein Schwager hat in sein Haus genommen, wie damals üblich,
mit ihren Kindern sind sie  auf Almosen angewiesen.
Aber sie waren nicht so hilflos, wie man denkt.
Von jeher, so berichtet die Bibel, haben sie Gott auf ihrer Seite.
Auf ihre Gebete hört er, Gott tritt für sie ein.
Und sie selber machen Besuche in den Gefängnisse, kümmern sich um die Armen
und bringen das Leid anderer durch ihr Gebet vor Gott.
Den Altar Gottes nannte man sie in der jüdischen Gemeinde, auch wegen ihrer Bedürftigkeit, aber vor allem wegen ihrer spirituellen Verbindung zu Gott und ihrer Taten.
Die Gemeinde wird daran gemessen, wie sehr sie diesen Altar im Blick behält.
Witwenlobby würde man vermutlich heute diese Gruppe nennen.
Und es ist nie gut, eine Lobby zu übersehen.
Dieses Selbstbewusstsein der Witwen klingt auch aus unserem Text.
Mit klarem Blick benennen sie, was den Himmel zerstört, in dem sich die anderen zu sein wähnen.
Da wo sie nicht satt werden, kann kein Himmel sein.
Eine klare Ansage.
Griechische und jüdische Witwen müssen gleichberechtigt behandelt werden in einer Gemeinschaft, in der es doch angeblich nicht Jude, noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau geben soll, sondern alle eins sind in Christus.
Und es ist Petrus hoch anzurechnen, dass er nicht beschwichtigt, sondern erschrickt
und die Sache sofort zur Chefsache macht:
Hunger, da haben welche Hunger in der Gemeinde.
Das gibt es doch nicht.
Bisher gingen Leib- und Seelsorge, Nahrungsbeschaffung und Predigt Hand in Hand.
Das sollte im Himmel kein Problem sein, aber, so erkennt Petrus, anscheinend sind er und die anderen Apostel doch noch Menschen und keine Engel.
Und als Menschen sind sie überfordert.
So schlägt er eine Arbeitsteilung vor und trennt die Aufgaben.
Stephanus, als Vertreter der Griechen, kümmert sich mit den anderen Männern um die gerechte Verteilung unter den Witwen.
Und Petrus hat mehr Zeit für seine Predigten.
Das hat die Kirche übernommen und ihre Organisation danach ausgerichtet:
Jeder und jede übernimmt seine/ihre Aufgaben, entsprechend der eigenen Gaben.
Eigentlich schade, dass das seither so auseinanderfällt, was eigentlich zusammengehört, auch wenn es die Kirche über die Jahrhunderte getragen hat.
Mehr als schade, meine ich,
denn es zerstört das, was als Einheit gedacht wurde,
dass wir nicht nur in Gedanken, sondern eben mit Leib und Seele vom Traum Jesu erfasst werden.
Was die ersten Christen so anziehend machte, ist doch gerade das,
dass sie wie Jesus die einfachen Dinge wie Essen und Trinken und gleichberechtigte Geselligkeit in den Vordergrund stellten.
Das nannten sie Himmel oder von mir aus auch Reich Gottes.
Sie haben keine Sonderwelten geschaffen,
sie teilten ihren Alltag und wenn der Himmel nicht ihren Alltag prägt, wo sonst sollte er seinen Anfang nehmen?
Dinge zu trennen, die eigentlich zusammengehören wie Leib und Seele,
das verführt dann doch dazu, manche Dinge wichtiger zu nehmen als andere, Dienste zu bewerten.
Es verführt dazu, das Wort ernster zu nehmen als den Magen und nicht zu sehen, dass ein leerer Magen einfach alles andere verhindert.
Dagegen wehrt sich Lukas in all seinen Schriften:
Er schreibt vom Hunger, immer wieder und davon, was der Hunger aus Menschen macht.
Er will, dass der Schrecken des Petrus über den Hunger zu unserem wird
und keiner den Ton abstellt, wenn das Schreien hungernder und leidender Menschen an unser Ohr dringt,
so wie der barmherzige Samariter es einfach nicht schafft, an dem stöhnenden Verletzten vorbei zu gehen.
Es war einer der größten Fehler der Kirche, meiner Meinung nach, Räume zu schaffen, in denen der Alltag ausgesperrt wird.
Große, imponierende Räume, wie der Kölner Dom, so schön wie er sein mag, das wirkt auf mich eher  wie ein Museum für den allmächtigen Gott.
Aber mit den Menschen, die damals Brot und Wein teilten und in den Häusern zusammen kamen, um so den Himmel, den Gott ihnen eröffnet hat, zu feiern,  mit diesen Menschen hat das nicht mehr viel zu tun.
Und mit Gott, wie ihn uns Jesus nahebringen wollte, wohl auch nicht.
Und so geht es nicht nur mir, so ging es Menschen zu allen Zeiten.
Der Protest des Lukas gegen den Hunger und gegen den Rückzug der Hoffnung und Liebe aus dem Alltag in sichere sakrale Räume zieht sich durch die gesamte Kirchengeschichte.
Die Mönche haben als erste versucht, das, was auseinanderdriftete, das alltägliche Leben und den Glauben, wieder zusammen zu bringen.
Franz von Assisi war da am radikalsten.
Martin Luther fällt mir ein und sein Protest gegen den Ablass, sein Versuch, das Evangelium durch die übersetzte Bibel und Lebenshilfen wieder in das Leben der Menschen zu bringen, keine Priesterkaste, sondern das Priestertum aller Gläubigen.

Der Himmel, damals wie heute, ist zu für viele Menschen.
Sie stehen draußen.
Aber sie lassen es sich nicht gefallen.
Wie die Witwen fordern sie ihr Recht auf Leben, klagen stumm und laut, rufen nach Hilfe, rufen nach den Geschwistern und fordern Gehör, in Syrien und im Irak und in vielen Ländern der Welt.
Auch bei uns.
Wir sind Menschen und keine Engel.
Und mit den Schreien müssen wir leben, weil wir nicht alles auf einmal ändern können.
Aber hören können wir sie und erschrecken und tun, was wir eben tun können.
Zusammenkommen können wir im Gottesdienst und unseren Alltag mitbringen
einen Sinn bekommen, gemeinsam, für das, was im Leben zählt und empfindlich werden, wenn das zerstört wird.
Träumen können wir zusammen, laut und mit offenen Augen
und den Himmel feiern, wann immer er uns begegnet,
Denn im Himmel Gottes geht alles Hand in Hand,
Leib und Seele, Geist und Magen,
auch hier, wenn nach einem etwas verunglückten Gemeindeabend, sich alt und jung einig sind wie selten
und nach dem Abwasch hier in der Kirche die Kerzen brennen und man Friedrichs Musik hören darf,
himmlisch, wenn das eigentlich abgedroschene Lied Möge die Straße an besonderen Anlässen immer noch zu Tränen rührt,
himmlisch, wenn wir uns begegnen mit Wertschätzung und uns gegenseitig aufmuntern und helfen,
uns erzählen, was unsere durch die Liebe Gottes empfindsam gewordenen Seelen alles erlebt haben,
himmlisch auch, wenn wir es schaffen, im  Alltag ein Gespür zu haben für das, was unser Leben lebenswert macht und die Welt zu einem liebenswerten Ort,
für alle, nicht nur für mich – darum geht es doch, oder?
Platz lassen für die Hoffnung, das die Welt gut wird, auch durch mich,
Platz lassen für den Geist Gottes,
der seine eigene Art hat, alles und alle immer wieder in Bewegung zu setzen,
aber der sich dort am wohlsten fühlt,
wo Geschwister einträchtig unter ihrem Feigenbaum und Weinstock sitzen und essen und trinken und füreinander den Himmel auf Erden entdecken,
 himmlisch, wenn das alles hier zusammen kommt, im Gottesdienst und auch danach.

Denn, wenn einer sieht, wer ich bin,
und eine gibt, was ich brauche,
wenn jemand annimmt, was ich gebe.
Dann ist das doch wie  im Himmel.
Wenn Gespräche ineinanderfließen ohne Mühe.
Und ein Ton dem anderen die Hand gibt, sich ausbreitet und als Musik in die Welt fließt.
Himmel.
Wenn wir unseren Glauben teilen, dass das Brot mehr wird, je mehr Menschen es teilen,
und die Sonne küsst die Traube und wird Wein,
und keiner draußen steht.
Himmel.
Dann ist Gott keine Frage mehr, sondern da, einfach da.
Und wir auch, als seine Strahlen, die weiter reichen und mehr erhellen können, als wir uns zutrauen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Lied: Strahlen brechen viele aus einem Licht.