Montag, 28. Januar 2019

Lk 1 Maria und Elisabeth 4. Advent 2018

Lk 1

Die Tür steht einen Spalt offen.
Wir schreiben das Jahr 1971.
Den 23. Dezember.
Morgen ist Heilig Abend.
In den Flur dringen leise Gerüche.
Die Tannenzweige duften.
Leichter Brandgeruch mischt sich darunter.
Mein Vater klebt die Kerzen am Weihnachtsbaum fest.
Leises Rascheln.
Kartons werden geöffnet.
Ich weiß, meine Eltern bauen gerade die ganze Herrlichkeit auf, die uns unsere Verwandten über die Jahre hinweg aus dem Erzgebirge geschickt haben.
Ich kenne jede Pyramide, jeden Schwippbogen, den Weihrauch rauchenden Bergmann, die Kurrende aus schwarzgewandeten Sängern. 
Morgen ist es soweit.
Ich stehe vor der Tür und lausche und rieche.
Und mache mir Sorgen.
Ob es dieses Mal auch wieder klappt mit der Weihnachtsfreude?
Nie war ich so konservativ wie als Kind an den Weihnachtstagen. 
Ich weiß natürlich, dass es an Weihnachten nicht um eine perfekte Inszenierung erzgebirgischer Kunst geht.
Gott hat kein deutsches Weihnachtszimmer, sondern einen Stall für die Geburt Jesu gewählt. 
Und die Familie bleibt da auch nicht unter sich, wie ich es mir wünsche.
Der Engel wird morgen arme Leute in den Stall schicken, die Welt in Bewegung bringen.
Aber ich freue mich jedes Jahr so sehr auf diesen besonderen Moment: 
Da öffnet sich die Tür des Weihnachtszimmers für mich und meine beiden Brüder.
Chorgesang von der leicht zerkratzten Platte.
Wir  treten ein in ein Meer von Kerzen,
hinein in die Wärme, in der sich die Pyramiden drehen.
Es duftet nach Tanne und Wachs und Keks und Mandarine
und unter weißen Tüchern wartet ein Paradies an Geschenken. 
Ein zeitloser Moment, eine andere Welt, voller Freude.
Morgen ist Heilig Abend. 

Die Tür steht einen Spalt offen.
Ich stehe davor und lausche und rieche.
Etwas kocht auf einem Ofen, würzig, leichter Brandgeruch nach Holz.
Eine Frauenstimme summt vor sich hin.
Eigentlich ist der 23. Dezember 2018.
Eigentlich müsste ich Vanillekipferl backen.
Meine Kinder habe ich mit meinen Weihnachtstraditionen angesteckt. Sie sollen ein  schönes Fest haben.
Ich weiß nicht genau, wie ich gerade heute vor dieses kleine Haus in Nazareth gekommen bin,
offensichtlich 2000 Jahre zurück versetzt.
Aber ich kann es nicht ändern und nehme es hin.
Gerade will ich an die Tür klopfen, 
da scheint etwas Helles, Schimmerndes durch den Türspalt und das Summen hält inne.
Ich höre Satzfetzen, etwas von Gnade und Gott und einem Kind, das geboren wird.
Ich höre einen überraschten Ruf: Wie das denn? 
Und sehe, wie diese helle Kraft die Tür bewegt, so als würde sich das Haus dehnen müssen, um ihr Raum zu verschaffen. Höre: Der Heilige Geist wird über dich kommen, die Kraft des Höchsten...
Und einige sachliche Anweisungen über Namensgebung und den Besuch bei einer Verwandten. 
Das Licht lässt nach und die Tür zieht sich wie von selber zu.
Sowas, denke ich und gehe zurück auf den Weg.
Ich will lieber nicht stören.
Doch dann höre ich die Tür aufgehen und drehe mich um.
Ein Mädchen, eine sehr junge Frau wirft leicht und schwungvoll die Tür hinter sich zu. 
Ich schaue in ein strahlendes, energisches Gesicht, 
ein Gesicht mit Augen, die weit in die Welt hinausschauen. 
Die junge Frau sieht mich, stutzt, lächelt und kommt auf mich zu.
Du bist nicht von hier? 
Nein, sage ich.
Gut, meint sie. Ich auch nicht, nicht mehr.
Wie jetzt, frage ich zurück?
„Ich bin Ebed adonaj, Gottes Knecht“.
„Magd meinst du wohl.“, sag ich.
„Meinetwegen“, gibt sie zurück.
„Durch mich springen alle Türen der Welt auf.“
„Moment“, sage ich, „mal langsam.“
Sie lächelt: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ 
Und geht.
Ich sehe, sie hat ein Bündel dabei wie für eine Reise und laufe ihr nach.
Haust du ab?, frage ich.
So ist es, sagt sie gelassen. Kinder kriegen ohne Mann – das erledigt man am besten woanders. 
Ich verdränge selbstlos jeden Gedanken an meine Weihnachtsvorbereitung.
Darf ich mit?, frage ich, besorgt, dass sie sich vielleicht übernimmt.
Klar, sagt sie. Komm nur.
Und wir machen uns auf den Weg über die Berge.
Die Sonne brennt.
Wo gehen wir eigentlich hin?, frage ich, als der Weg kein Ende nehmen will.
Zu meiner Cousine Elisabeth. Sie bekommt auch ein Kind. Ihr erstes.
Ist sieverheiratet?
Natürlich, sagt sie. Schon lange. Mit Zacharias. Sie ist 70 Jahre.
70?!, frage ich erstaunt.
70!, antwortet sie so, dass ich keine Fragen mehr stelle und deutet auf ein kleines Haus am Rand des Dorfes, das vor uns liegt.
Und ich sehe die Tür einen Spalt offen stehen.
Ein Gesicht schaut vorsichtig heraus. 
So, als ob sich jemand Angst hat, sich der Welt zu zeigen. 
Sehe Frauen und einige Männer daran vorbeigehen.
Sie schauen zum Haus hinüber, voller Zweifel, mit einer Prise Spott. 
Wir kommen näher, und die junge Frau ruft: Elisabeth! 
Und mit einem Ruck öffnet sich die Tür.
Eine alte Frau, hochschwanger, fliegt über den Weg mit ausgebreiteten Armen.
Sie ruft mit einer Stimme, die alle Leute auf der Straße jäh bremst.
Maria!! Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!
Sie bleibt außer Atem vor uns stehen, schaut Maria an, spricht: 
Und wie geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?
Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.
Und sie nimmt Maria in den Arm und Maria sie. 
Ich gehe zur Seite.
Die beiden sind sich genug. 
Da löst sich Elisabeth aus der Umarmung.
Sie schaut auf die Leute, die die beiden anstarren, richtet sich auf, lacht ihnen ins Gesicht und deutet auf Maria: 
 Ja, selig ist, die da geglaubt hat! Denn es wird vollendet werden, was ihr gesagt ist. Von Gott.
Die Gesichter werden finster, wie Türen, die sich verschließen.
Zwei Frauen in einer prekären Situation,
die eine zu alt, um mit ihrem Mann anderes zu machen als Händchen zu halten vor dem Haus,
die andere offensichtlich ohne Mann und schamlos schwanger.
Und die wagen es hier, in Gottes Namen zu sprechen. 
Maria schaut auf die Leute.
Ich
sehe ihr Lächeln, 
die Stärke, die Kraft dieser jungen Frau.
Und das Helle, das in ihrem Haus die Türen bewegt hat, leuchtet aus ihren Augen:  
Meine Seele erhebt den Herrn, ruft sie,
und mein Geist freut sich,
freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Sie breitet die Arme aus: 
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Mädchen Courage (Kurt Marti),denke ich,
sie wagt sich auf die Drehscheibe einer offenen Zukunft, 
weil Gott sie ansieht,
weil Gott durch sie und ihr Kind allen zeigt, was er will.
Ja, bei Gott ist kein Ding unmöglich
Und plötzlich ist es, als ob sie mich und alle Leute auf der Straße mit auf ihre Drehscheibe nimmt.
Unsere Augen weiten sich.
Die Welt wirbelt um uns herum.
Überall, sehe ich, springen Türen auf.
Der Plätzchenteig bleibt stehen.
Menschen strömen aus Mietshäusern und Villen,
aus Wolkenkratzern,
auch aus baufälligen Hütten in den Slums,
aus den Zelten an den Mauern und Grenzen der Welt.
Strahlend, lächelnd, mit offenen Gesichtern und ausgestreckten Händen kommen sie aufeinander zu, teilen Brot und Salz:
Willkommen in der Welt, in der Gott alle Riegel wegschiebt.
Bald ergreift alle der Wirbel, in den Gott die Welt versetzt.
Sie drehen sie sich miteinander, tanzen, singen.
Ich sehe eine alte Frau mit verdutztem Gesicht.
Seit Monaten hat sie ihre Wohnung im 3. Stock nicht verlassen.
Jetzt tragen sie zwei kräftige Jungen aus der Haustür, hinein in die lachende Menge.
Einen Moment noch krampfen sich ihre Hände panisch um den Griff  ihres Rollators.
Doch dann lächelt sie und lässt los.
Arm in Arm mit den jungen Männern dreht sie ihre Kreise im Takt der Musik. 
Marias Stimme klingt durch die Bilder: 
Und seine Barmherzigkeit währet für und für
bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Ich sehe AFD Anhänger hinter den Buchstaben ihrer Partei herrennen.
Aber das A, das F, besonders das D entwischen im wirbelnden Wind ihren greifenden Händen.
Sie fliegen hoch zu den Wolken, ordnen sich neu, schreiben wie mit Zauberhand FAD – Für alle da.
Hilflos schauen die Parteianhänger hoch.
Die Menschen um sie herum lächeln. 
Sie werden denen das Gift nicht heimzahlen, das sie ausgestreut haben. 
Und wieder singt Maria, laut, immer lauter:
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Nun weht der warme Wind auch durch eiserne Türen vor Regierungssitzen aller Länder.
Die Türen lassen sich erweichen und öffnen sich.
Und die sie verbergen, stolpern heraus, blinzeln verwirrt in das kreisende Leben vor ihren Augen.
Manche haben zu Recht ein unsicheres Lächeln auf den Lippen.
Sie haben andere wüst beherrscht. Jetzt sind sie ihnen ausgesetzt.
Das macht ihnen Angst.
Aber man lässt sie leben und ... links .... liegen. 
Platten mit süßem Couscous und Backlava und Vanillekipferln stehen plötzlich da.
Es schmeckt allen.
Und dann sehe ich das Wasser in den Flüssen und Seen, das allmählich seine Farbe ändert und rein wird.
Die Kinder, die jeden Freitag auf der ganzen Welt vor Parlamenten für die Umwelt demonstrieren, nach dem Vorbild des schwedischen Mädchens von Kattowitz, können aufhören, sich den Kopf der Erwachsenen zu zerbrechen.
Denn Schnee und Eis legen sich wieder sorgfältig zurecht auf den Polkappen.
Wälder breiten sich an den Orten aus, an die sie gehören,
Wiesen holen sich das verlorengegangene Grün des letzten Sommers, der letzten Dürrejahre zurück.
Und die Wüsten und Steppen  weichen aus an die Orte, die Gott für sie vorgesehen hat.
Eine Wolke von Vögeln steigt auf.
Sie singen mit unzähligen Stimmen in perfekter Harmonie.
Der Hammer, denke ich, wie die Welt sein könnte, wenn alle Türen aufgehen.
Der Wirbel der Bilder wird langsamer und dann stehe ich, stehen wir alle wieder auf der staubigen Dorfstraße irgendwo in Israel.
Maria atmet tief durch. 
Sie ist zu groß geworden, um sich wieder klein zu machen.
Und so singt sie in die wieder nüchtern werdenden Gesichter der Menschen hinein:
Gott gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.

Ach, sagt eine Frau.
Der Spott ist aus ihrem Gesicht geflossen und hat Platz gemacht hat für ein weiches Lächeln.
Ach, was für ein schönes Lied ist das. 
Aber, fügt sie seufzend hinzu:  es bleibt doch immer alles beim Alten. 
Ja, sagt Maria, es ist nur ein Lied,
aber mit einem Lied fang ich mal an. 
(Gundermann)
Gott singt sich eben in die Welt, durch meine Stimme.
Und durch eure, wenn ihr euch traut, seine Worte in den Mund zu nehmen.

Mit einem Lied die Türen der Welt öffnen, denke ich.
Nicht festhalten an Ängsten und Bräuchen, sondern sich dem Wirbel von Gottes guten Wünschen für unsere Welt überlassen,
einfach tun, was er will.
Vielleicht sollte ich noch einen Globus kaufen und ihn neben die Pyramiden stellen, überlege ich.
Doch da kommt Maria auf mich zu und verhindert jedes weitere Nachdenken.
Wir feiern ein Fest heute, auf dem Dorfplatz, sagt sie.
Komm doch auch.
Äh, ich müsste eigentlich..., beginne ich.
Aber dann lasse ich es sein.
Die Welt in Bewegung, Menschen, die Gottes gute Wünsche feiern, was will ich eigentlich mehr.
Meine Kinder sind im Prinzip gutmütig.
Sie werden verstehen, warum es dieses Jahr keine Vanillekipferl gibt.
 Und so folge ich ihr und den anderen. 

Morgen ist Heilig Abend.
Türen werden geöffnet, zu Weihnachtszimmern und Kirchen.
Menschen werden zusammenkommen und singen, Gottes Worte in den Mund nehmen:
Friede auf Erden bei allen Menschen, zu seinem Wohlgefallen.
Die helle Kraft Gottes möge in unsere Räume und Herzen kommen, alle Türen dieser Welt öffnen und uns durcheinander bringen.
Selbst mich.
Amen 



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