Samstag, 10. September 2011

Predigt zu Jes 29, 17-24. 12. Sonntag n. Trinitatis 2011



11. September 2001. Ein Mann hockt am Ausgang des U-Bahnhofes am Kursfürstendamm. Er ist Straßenmaler und malt ein Kreide-Bild auf den Bürgersteig, ein schönes Bild, ein leuchtendes Bild mit fruchtbaren Feldern, gesäumt von Wald mit tanzenden Menschen.   Menschen kommen aus der U-Bahn. Sie sehen leicht benommen aus, geschockt. Es ist 13.00 Uhr. Über die Nachrichtenseiten in der U-Bahn oder schon zu Hause am Fernseher haben sie erfahren, was geschehen ist. Flugzeuge sind in die Türme des World-Trade-Centers gerauscht. Und in das Pentagon. Und auf ein Feld. Die riesigen Wolkenkratzer sind nur noch rauchende Trümmerteile. Tausende von Menschen sind ums Leben gekommen. Ein Terrorakt nie gekannten Ausmaßes, ein Angriff auf ein Zentrum der westlichen Zivilisation, ein Angriff auf ihre Existenz. Wer wird der Nächste sein?
Sie sehen das leuchtende Bild des Malers und schauen nicht wohlwollend und anerkennend wie sonst auf diese schönen Farben. Sie fühlen sich nicht für Momente in eine andere Welt versetzt.
Sie werden wütend. Angesichts von Trauer und Entsetzen und Wut und Angst schöne Bildchen malen? Hat der denn keinen Respekt vor dem schrecklichen Tod so vieler Menschen?
Noch redet keiner von Vergeltungsschlägen und auch das Wort „Achse des Bösen“ hat noch keiner erfunden. Aber es liegt in der Luft. So ein Irrsinn. Das Bild müsste schwarz sein und brennen. Einige können sich nicht zurückhalten und sagen dem Maler harte Worte. Eine verbissen wirkende Frau kramt ihren Kayalstift aus der Handtasche und schreibt Terror über das Bild. Der Mann lässt sich nicht stören. Er malt weiter. Die Menschen zucken mit den Achseln.  Sie sind schließlich zivilisiert und gehen weiter.

Bilder sind nicht einfach nur Bilder. Sie wirken auf unsere Gedanken. Sie knüpfen an die Bilder unseres Lebens an, an unsere Gefühle, an unser Bild von der Welt. Und je nachdem wirken sie bestätigend, aufbauend, erweiternd oder sie greifen uns an, stellen uns in Frage. Redner, die starke Bilder verwenden, können eine Menschenmenge im Guten wie im Bösen in ihren Bann ziehen.

Viele begegnen den Worten der Bibel, den Reden der Kirchen nicht anders als Passanten, die mal ein schönes Bild sehen, anerkennend nicken und dann weitergehen.
Ja, es sind schöne Bilder, denen sie dort begegnen. Sie erheben sie für Momente, aber, so der Eindruck häufig, es sind harmlose Bilder.
Es sind Bilder, die in der von Gewalt geprägten Welt bestenfalls ein „Ach, wie wäre es doch schön!“, aber auch ein verächtliches Achselzucken hervorrufen.

Ich denke, die Bilder der Bibel sind nicht harmlos.
Und heute schreibt unseren Predigttext ein Meister seines Fachs, der Prophet Jesaja.
Der kann alles.
Wie der Straßenmaler malt er Bilder einer anderen Welt, aber der Schwarzstift der Realität ist ebenfalls zu sehen.
Keiner kann einfach gerührt oder gleichgültig bleiben angesichts seiner Visionen.
Diese Bilder sind nicht harmlos, das merken die Menschen deutlich.
Und die Reaktionen bleiben nicht aus.
Jesaja hat für seine Bilder  oder besser Visionen öfters handfeste Prügel bezogen. Von den Mächtigen, aber auch von Menschen aus dem Volk.
Die Bibel ordnet die Worte unseres Predigttextes in eine harte Zeit ein, vor  ca. 2700 Jahren. Das Nordreich Israel ist schon untergegangen.
Die Assyrer stehen vor der Tür, Erzfeinde, Tyrannen, strotzend vor Waffen, bereit ihren Terror auch über Juda auszubreiten.
Im Volk selber greifen Misstrauen und Angst um sich.
Einer hackt auf den anderen herum.
Die Mächtigen wollen ihre Pfründe retten und beuten ihr eigenes Volk aus, statt für Zusammenhalt zu sorgen.
In dieser Situation stellt sich Jesaja auf die Straße und malt im 29. Kapitel dieses Bild:

17 Wohlan, es ist nur noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben an Gott, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21 welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Gerechten.
22 Darum spricht Gott, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. 23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. 24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Jesaja sieht klar, was ist.
Er sieht die Gefahr der Tyrannei, er sieht das Unrecht im eigenen Land, die Unterdrückung der Gerechten und spricht es aus.
Nichts wird verschwiegen.
Das ganze Dilemma liegt klar vor jedermanns Augen.
Jesaja malt ein wenig anders als der anfangs erwähnte Straßenmaler.
Er malt das Unrecht und er malt einen Weg.
Er malt, was ist, die Gewalt, die Taubheit gegenüber Gerechtigkeit, die Verzweiflung der Armen.
Er malt das Bild der Welt, das für viele das einzige ist, woran sie sich halten.
Aber er malt auch ein Bild der Hoffnung, das in diesem Dunkel beginnt und weiterführt, darüber hinaus.
Er malt das Wunder des Lebens, das greifbar nahe ist und an dem seine Leute achtlos vorbeigehen, das sie nicht mehr sehen, weil sie gefangen sind in ihrer Angst oder in ihrer Gier, ihre Macht zu erhalten.
Es ist mehr als eine Phantasie des Jesaja.
Jesaja hat Gott gehört, hat sein eigenes Entsetzen und seine Ratlosigkeit in seine Hände gelegt.
Und Gott gibt ihm das Bild zurück, das Bild des Libanon, der fruchtbar wird, Felder, aus denen im trockenen Land rauschende Wälder werden und dazu Menschen, deren Ohren und Augen geöffnet werden, die Verstand annehmen und sich belehren lassen und unter den Namen des Schöpfers wieder ehren und unter seinen segnenden Händen ihren Platz einnehmen.

Gewirkt, im Sinne von „die Politik des Staates Israel beeinflusst“, haben diese Worte nicht. Oder kaum. Sie haben aus den Menschen herausgeholt, was in ihnen war: Ihre Wut, ihre Machtgier, ihre Verzweiflung.  Dass sie ein anderes Verhalten hervorgerufen haben, ist nicht überliefert.
Vielleicht ist die Hoffnung, die diese Bilder bei einigen geweckt haben, der Grund, warum die Worte aufgeschrieben und bewahrt und damit auch uns überliefert wurden.
Auf dem langen Weg zu uns haben diese Bilder an Kraft gewonnen.
Menschen haben sich mit ihnen identifiziert.
Auch Jesus zum Beispiel war ein Fan des Jesaja und hat ihn zur Grundlage seiner Predigten genommen.
Manchen Bildern muss man Zeit geben.
Und jetzt sind sie hier angekommen.
Bei uns.
Am 10. Jahrestag des 11. September.

Noch eine kleine Weile.., sagte Jesaja vor über 2 ½ Tausend Jahren.
Hat er da den Mund nicht ein wenig voll genommen? Was soll das? Egal wie gläubig und vertrauensvoll Jesaja gelebt hat, blind und naiv war er nicht, das zeigen seine Worte auch.
Noch eine kleine Weile, dann wird sich alles ändern?
So leben, als ob sich bald alles ändert, empfiehlt Jesaja.
Bald wird Gott, der Heilige sichtbar und die Welt wird sich unter seinem Licht leicht ändern, ohne Kampf.
Einsicht und Vernunft, Liebe und Gerechtigkeit werden sich ausbreiten.
Morgen schon, vielleicht übermorgen, aber bestimmt nächste Woche.
Ziele, die weit weg liegen, haben wenig Kraft uns aufzurütteln und aus der Lethargie zu holen.
Was dagegen bald geschehen soll, bringt uns in Gang.
Eine Klassenarbeit, die noch zwei Wochen weit weg liegt, bringt uns nicht aus der Ruhe. Wenn sie in zwei Tagen geschrieben wird, wachen die meisten auf und setzen sich ran.
Ereignisse, wie ein Urlaub, ein Ruhestand, ein Umzug nehmen Fahrt auf, je näher sie an uns heranrücken und verändern unseren Alltag. Wir packen, planen, schieben Unwichtiges beiseite, konzentrieren uns auf das, was das nahe Ereignis erfordert.
Noch eine kleine Weile, sagt Jesaja, dann lebt ihr in diesem Bild des Friedens.
Dann ist es kein Bild mehr. Dann sieht die Welt genauso aus.

Da erübrigt sich vieles von selbst.
„Worte voller Leichengift“, wie der Philosoph Ernst Bloch es ausdrückt, klingen albern, absurd.
Vergeltung zu üben, Kraft in Kriege zu stecken, in den Hass und das Misstrauen gegenüber muslimischen Menschen. Wozu?
Bald wird es Frieden geben und in dieser Gerechtigkeit werden Unterschiede nicht mehr als Angriff verstanden werden.
Die Menschen, die das ernstnehmen, leben in anderen Bildern.
Sie leben in der Hoffnung, leben optimistisch, dass es tatsächlich geht, dass ihr Leben die Harmonie haben wird, die von fruchtbaren Feldern, rauschenden Wäldern und von Menschen ausgeht, die vernünftig geworden sind und ruhig und voller Achtung miteinander leben.
Bald, sehr bald wird das sein.
Bilder von hungernden Menschen, von Menschen, die verzweifelt ihren Weg über das Meer nach Europa suchen, von einem Weltmarkt, der Kriege um Ressourcen im Namen der Gerechtigkeit befürwortet, erscheinen plötzlich weltfremd, Handlungsweise einer vergangenen Zeit.
Wie können wir das zulassen, dass kurz vor der großen Veränderung noch Menschen sinnlos in überfüllten Booten untergehen?
Wer in dieser Erwartung lebt, der handelt schnell.
Der rennt zu den Rettungsbooten.
Die redet zum anderen und löst die dringenden Konflikte.
Der sieht nicht zu.
Die überlegt, was sie noch braucht und was sie aufgeben kann, denn in der neuen Harmonie wird vieles anders sein.
Menschen, die in dieser Erwartung leben, nehmen Fahrt auf, aufeinander zu und werfen sich vor die Räder, die andere zu zermalmen drohen.
Tja, wenn... Wenn wir die Bilder, die Gott uns durch seine Propheten, durch Jesus bis heute schickt, so ernst nähmen.
Wenn wir sie nicht als Balsam für manche Verzweiflung verstünden, als nette sonntägliche Erhebung der Seele, sondern als Realität, die schon jetzt unser Leben prägt, prägen kann.

Wir haben heute ein Kind getauft.
Kinder leben von der Harmonie ihrer Umgebung.
Sie haben einen scharfen Blick dafür, was diese Harmonie, die ihre Sicherheit  bedeutet, in Frage stellt und reagieren empfindlich darauf.
Sie leben in der nahen Erwartung, dass Bedürfnisse befriedigt werden.
Dass die Eltern ihnen versprechen sich nächste Woche Zeit für den Zoo zu nehmen, lässt sie kalt. Jetzt oder meinetwegen morgen, da kann man sich drauf freuen, aber nächste Woche bedeutet schon eine Absage. Worte nützen nichts. Taten, die ihre Spuren hinterlassen, sind gefragt, wie es Lolas Taufspruch ausdrückt.
Kinder brauchen es, dass die Menschen, auf die sie sich verlassen, verlassen müssen, sich ihnen gegenüber loyal, liebevoll und achtungsvoll verhalten und dass sie nicht vertröstet werden, dass diese Harmonie für sie jederzeit erfahrbar ist.
Nicht umsonst hat Jesus gesagt, wir sollen werden wie die Kinder.
Verlässlichkeit, Leben im Jetzt, im Bild der Liebe, die jederzeit abrufbar ist, diese Kunst geht uns verloren, je älter wir werden, je stärker die Bilder der Welt, die nicht mit einer grundsätzlichen Veränderung rechnet, auf uns einwirken.
Und daher sorgen wir dafür,  um noch einmal Bloch zu zitieren, dass die Welt das Gesicht eines unbeweglichen „chloroformierten Grabsteins“ bekommt, der uns „todtraurig“ mit den Schultern zucken lässt, weil es ja „nichts zu tun gibt“.
Gott dagegen lädt uns ein in unsere Heimat, in fruchtbares Land, in eine Welt, „in der noch keiner war“, aber die vor unserer Nase liegt, die schon mitten unter uns ist.
Es gibt diese Orte, an denen sich dieses „Bald“ des Friedens Gottes ankündigt, z.B. am Ground Zero, an dem jetzt ein interreligiöses Zentrum entsteht, das trotz der Bilder der Flammen und schrecklichen Tode eine Zukunft malt, in der Terror undenkbar erscheint.
Hören wir also nicht mehr auf die Worte des Todes, die uns einreden wollen, dass Waffengewalt uns dem Ziel einer befriedeten Welt näher bringt.
Mögen Politiker sich für Bombardements entscheiden, um einen Zustand zu verändern.
Angesichts dieser Zukunft fällt für uns als Christinnen und Christen das Mittel der Waffen aus. Bald kommt Gott, und jeder Mensch, der bis dahin sein Leben verliert, ist eine Anklage gegen uns, die es unbedingt, soweit es in unserer Macht steht, zu verhindern gilt.
Legen wir Waffen ab.
Rennen wir zu den Ufern, um die erschöpften Menschen in Empfang zu nehmen.
Öffnen wir unsere Häuser und die Festung Europa und hören auf  die Ressourcen armer Länder wissentlich zu plündern um unseren technischen Standart zu erhalten.
Retten wir meinetwegen auch den Euro, aber nie ohne die Frage wozu eigentlich?
Und wenn wir jetzt vielleicht auch nicht genau wissen, wie wir in und mit diesem Bild des nahen Friedens leben sollen: Die klare Empfindung des Absurden, das die Vorgänge in dieser Welt für uns haben müssen, die sollten wir uns erhalten.
Und die sollte unser Handeln, Reden und Denken prägen,
dass wir Konflikte nicht erst kalt werden lassen, denn bald haben sie sich ohnehin erübrigt, dass wir die Zeitung aufmerksam lesen und auf das reagieren, was wir da lesen,
dass wir in der Gemeinde feiern: Der Heilige steht direkt vor unserer Tür und hat sie schon geöffnet.
Gott ist da, mitten unter uns, die Welt hat vieles nicht nötig.
Denn die Elenden werden wieder Freude haben an Gott, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern wird es aus sein.
Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und dem Gott Israels vertrauen. 24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
Also, packen wir unsere Koffer mit dem Nötigsten und machen uns auf diesen Weg.
Amen

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