Samstag, 11. Februar 2012

Predigt 2.Kor (11,18.23b-30)12,2-10


Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Zirkuszelt.
In luftiger Höhe zeigt ein Seiltänzer seine Künste.
Die Menge schaut gebannt nach oben.
Das Trikot des Tänzers glitzert im Scheinwerferlicht.
Der Körper ist trainiert, das sieht man.
Anmutig und konzentriert, setzt er Fuß vor Fuß, hüpft, springt, spielt mit dem Abgrund unter ihm.
Dann, unbeholfen und tölpelhaft, folgt ihm ein Clown nach.
Er klettert zögernd die Stange hoch mit seiner unförmigen Gestalt, mit seinem albernen, breiten Grinsen aufgemalt auf seinem Gesicht. 
Oben angekommen schreckt er zurück, simuliert Schwäche, klammert sich an die Stange, an der das Seil befestigt ist.
Er hampelt ein wenig herum, traut sich dann doch aufs Seil und fällt nach ein paar Schritten scheinbar hinunter.
Schnell fängt sich mit dem Griff des Schirmes auf, lächelt dümmlich und schwingt sich wieder nach oben.
Der Seiltänzer scheucht ihn weg.
Der Clown hat unter den Artisten nichts zu suchen.
Der Clown hält sich die Arme schützend vor das Gesicht, läuft zurück, rutscht die Stange hinunter, landet auf dem Hintern.
Alles lacht amüsiert, etwas überlegen, und blickt dann wieder nach oben,
wo der Seiltänzer sie mit seinen Künsten wieder in seinen Bann zieht.

Ungefähr so muss man sich den Unterschied vorstellen,
den die korinthischen Christen vor Augen haben,
wenn sie an den Apostel Paulus und die anderen Aposteln in der Gemeinde denken.
Letztere brillieren mit ihrer Rhetorik.
Sie haben das Charisma, das Paulus fehlt, wenigstens, wenn es um die öffentliche Reden und öffentliches Auftreten geht.
Sie tanzen mühelos auf dem Seil der Kommunikation.
Sie predigen einen Jesus, der durchaus mithalten kann in der Landschaft der griechischen Philosophie.
Etwas schicker ist dieser Jesus, nicht gar so bäuerlich, strahlend in seiner Auferstehung und nicht der Jämmerling am Kreuz, jedenfalls nur kurz.
Paulus dagegen ist ein Schwächling in ihren Augen.
Er redet schlecht, sieht nicht gut aus, ist auch noch krank, insgesamt eine etwas groteske Ausgabe eines Apostels, eines Boten Gottes.
Sie wissen, dass Paulus theologisch einiges drauf hat.
Sie bewundern die Gedankenkraft seiner Briefe, aber das reicht nicht.
Er ist der Clown, der zu oft eine Torte ins Gesicht bekommen hat.
Sie können ihn nicht achten.
Sie suchen sich andere, strahlendere Kandidaten, die sich besser verkaufen können.

Paulus weiß das.
Aber er weiß auch, dass er die innere Stärke hat, die er aus seinem Glauben an Gott, aus seiner Begegnung mit Jesus speist.
Ihn kann nichts vom Seil herunter holen.
Er ist mit allen Wassern gewaschen und durch alle Feuer gegangen.
Keine Torte im Gesicht kann das ändern.
Eigentlich findet Paulus es daneben, die eigenen Fähigkeiten zur Schau zu stellen.
Aber wenn die Korinther nur auf Menschen hören, die sich selber rühmen, das kann er auch.
Wenn sie wollen, dass man sich zum Narren macht, bitte sehr.
Und er schreibt im 11. und 12. Kapitel des 2. Korintherbriefes eine Narrenrede, die mit Karneval allerdings wenig zu tun hat
und er entlarvt nach und nach alle Vorstellungen von Prestige und Stärke als Gottesferne:
Er schreibt:
„Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden.
Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.“

Paulus demonstriert eine Stärke, die die Korinther bisher nicht als Stärke wahrnehmen.
Da ist einer, der setzt sich allem aus.
Der kriegt viel ab, der pfeift auf gesellschaftliche Anerkennung und Sicherheit.
Und der weiß doch im Innersten, dass Gott bei ihm ist.
Gott wird sichtbar, wenn einer nicht auf andere Sicherheiten baut.
Daraus bezieht Paulus seine Stärke.
Er bleibt auf dem Seil und läuft weiter, egal, was geschieht.
Aber sympathisch ist diese Selbstdarstellung des Paulus nicht, diese endlose Aufzählung der erlittenen Schicksalsschläge. 
Sie werden die Korinther kaum hinter dem Ofen hervorholen.
Die leiden ja selber immer wieder unter Demütigungen.
Vielleicht nicht so krass wie Paulus, aber es reicht.
Hat er nicht mehr zu bieten?
Hat er nicht etwas, das erhebt, wie die ekstatischen Visionen der anderen Apostel,
die so wunderbar erleuchtet daherkommen und vieles zu bieten haben an interessanten Sätzen, die sie meinen von Gott gehört zu habe.
Doch, das hat Paulus.
Er entlarvt die nächste Vorstellung von Stärke und fährt fort:

„Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.
Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel.
Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann.
Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit.
Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen.
Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.
Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche.
Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark."

Ich kenne einen Menschen.
Es ist kaum möglich mit mehr Distanz zu sich selber zu reden, als Paulus es hier tut. Denn es geht um ihn selber hier.
Er selber war nicht im 7., aber immerhin im 3. Himmel, hat einiges gesehen und gehört, was vermutlich auch die Korinther begeistern würde, und... schweigt darüber.
Ja, ich bin einer, der Visionen hat. Na und?
Ich sage es euch nur, damit ihr das annehmt, was wirklich wichtig ist, was ich euch geben kann.
Viel wesentlicher nämlich ist dieser Pfahl in meinem Fleisch, diese schmerzhafte Krankheit, die Gott nicht wegnimmt,
damit ich mich nicht überhöhe,
damit es nur darum geht, auf Gott zu hören, auf seine Gnade.
Weil Paulus das alles erlebt hat, heißt das, deshalb ist er in besonderer Weise geeignet das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu vertreten.
Deshalb ist er tiefer in seine Botschaft eingedrungen als jeder andere dieser Überapostel, wie er sie spöttisch nennt.
Und näher an all den anderen Schwachen dran.
Denn Jesus ist zu den Kranken und Schwachen gekommen, die keinen Sinn sehen können in ihrem Leiden,
die verzweifeln, die keinen Weg mehr sehen.
Die einzige Gnade, die er ihnen gewähren kann, ist ihnen klar zu machen,
dass nichts ihnen ihre Würde nehmen kann.
Sie sind Menschen, die es wert sind, gesehen und geachtet zu werden,
nicht für großartige Dinge, sondern einfach nur für die bloße Tatsache, dass sie Gottes geliebte Kinder sind.
Und aus seiner Kraft leben.
Dieses Sichzurücknehmen lässt Platz für andere.
Wer sich selber inszeniert auf dem Seil, der lässt keinen Platz für Gott, aber auch nicht für die Mitmenschen.
Im Bild der Stärke der Korinther und auch in unserer Gesellschaft stören die Stotterer, die Arbeitslosen,
die Menschen in Ländern, die immer am Rand ihrer Existenz wirtschaften, die Langweiler, die nichts zu bieten haben,
die Kranken, die nur noch jammern können,
die Depressiven, die nichts aus ihrem Tief herausholen kann.
Lass dir an meiner Gnade genügen, sagt Gott laut Paulus, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Hm. Ich weiß nicht.
Das klingt so jämmerlich, dass es ehrlich gesagt auch mir ein bisschen viel wird.
Paulus nimmt sein Leiden, das sich anscheinend kaum ertragen lässt,
denn sonst hätte er nicht Gott dreimal angefleht es von ihm zu nehmen,
er nimmt sein Leiden und füllt es mit Sinn.
An seinem Leiden können die Korinther sehen, wie Gott wirkt.
Leidende, Schwache können den Jesus am Kreuz am besten verstehen. 
Dieses Hochhalten der Schwäche, dieses völlige Zurücknehmen persönlicher Stärke?
Geht es darum?
Ist Paulus da ehrlich?
Denn eigentlich zeigt er seine Stärken ja durchaus. In seinen Briefen zum Beispiel.
Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Der Satz der Jahreslosung.
Sollen wir vielleicht ein Jahr der Schwäche ausrufen?
Geben die Christen nicht schon ohnehin schon ein jämmerliches Bild ab?
Sollen wir nicht gerade auch unsere Stärken leben, gerade auch in der Gemeinde?

Kehren wir doch noch einmal zurück zum Bild des Clowns.
Der berühmte Clown Charlie Rival hat die Clownerie perfektioniert.
In den kleinsten seiner Bewegungen,
selbst wenn er versucht sich auf einen Stuhl zu setzen,
ist er nahe dran an alle den anderen Ungeschickten, Lächerlichen,
die weit von der Anmut eines Seiltänzers entfernt sind.
Und er ist nahe an uns, die wir immer wieder dabei sind uns lächerlich zu machen, wenn wir eine Schwäche zeigen.
Aber er tut das nicht herzlos, nicht einfach boshaft entlarvend.
Er bringt die Menschen dabei zum Lachen, auch über sich selbst, er schenkt ihnen Momente des Glücks und der Leichtigkeit und sagt:

„Um Clown sein zu können, muss man intelligent sein, muss man menschlicher und feinfühliger sein und mehr Herz haben als alle die anderen.
Nur dann kann er andere zum Lachen bringen.
Ich bin ein Clown, mein Glück ist es, andere glücklich und froh zu machen.
Ich wurde ein Clown, weil Gott mir diese Gnade geschenkt hat.“

Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Vielleicht geht es darum: Der Seiltänzer ist ganz bei sich, der Clown ganz beiden anderen.
Und er hat eine Haltung, die nennt Paulus im Text:
Guten Mutes sein.
Trotz allem.
In Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen;
denn, so Paulus, wenn ich schwach bin, so bin ich stark."
Das ist eine Kunst.
Es ist auch eine Kunst, diese Art Mut anderen nahzubringen.
Diesen Mut kann man nicht aus sich selbst nehmen.
Er ist eine Gnade, die Gott allen gewährt, die offen dafür sind, in der Tiefe des Leidens, des eigenen Unvermögens dennoch alles von ihm zu erwarten.
So wie Paulus erwartet, dass er mit seinen paar im Grunde lächerlichen Gemeindegründungen dafür gesorgt hat, dass alle Welt von dem Glauben der Christen erfährt, wie er an anderer Stelle schreibt.
So wie wir erwarten, dass in unserer Gemeinde trotz schwindender Mitglieder Dinge wachsen und gelingen, statt weniger zu werden und zu sterben.
So wie wir erwarten mit der gesamten Christenheit, dass Versöhnung und Friedfertigkeit und Verzicht auf Gewalt und die Anhäufung von Besitz die ganze Welt befrieden könnte und uns damit auch immer wieder lächerlich machen.
So wie wir versuchen guten Mutes zu bleiben, wenn Dinge sich schwierig gestalten, das Geld fehlt oder unsere Kraft am Ende ist und einander immer wieder aufhelfen im Namen Gottes.
Dann muss das reichen, was Gott in seiner Gnade immer wieder in Gang setzt seit Anbeginn der Schöpfung, das Leben in all seiner Unvollständigkeit und Schönheit.
Dann werden wir zu den Narren, die Gott sich wünscht,
Narren, die tatsächlich glauben und auch immer wieder erfahren, dass nichts, gar nichts, sie trennen kann von der Liebe Gottes,
Narren, die Gott immer wieder alles aus sich herausholen lassen und die sich dazu bringen lassen, es mit anderen zu teilen.
Dann halten wir uns gemeinsam auf dem Seil,
obwohl wir nicht schwindelfrei sind und unser Gleichgewichtssinn zu wünschen übrig lässt und wir so gar nicht anmutig aussehen.
Aber das Glück, dass Gott da ist und wir seinem Wort folgen und den guten Mut, damit auf dem richtigen Weg zu sein, das darf man uns Narren ruhig anmerken.
Denke ich.
Amen.




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