Freitag, 3. November 2017

Mt 10, 34-39 Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Von schwierigen Entscheidungend


Jeden Tag entscheiden wir uns,
im Kleinen und manchmal auch im Großen.
Diese Hose oder jene,
diesen Weg oder gehe ich heute mal anders,
der Regen hat nachgelassen, soll ich walken gehen? Gut wäre es ja.
Soll ich Rosenkohl in den Einkaufswagen legen, obwohl meine Kinder ihn nicht mögen?
Ja, sollen sie leiden, heute bin ich mal dran.
Kleine Entscheidungen und manchmal auch große,
Entscheidungen, die mein Leben bestimmen.
Mathestunde schwänzen? Ja oder Nein.
Gut, dass ich es getan habe.
Denn auf dem Spielplatz, auf den ich mich mit meiner Freundin zurückgezogen habe, da konnte ich die große Frage klären, was werden soll nach dem Abi und Theologie gewählt.
Sie kennen das auch, vermute ich,
diese kleinen und großen Entscheidungen,
im täglichen Leben und die großen, die Ihr weiteres Leben prägen,
der Partner, die Partnerin, mit dem, mit der  Sie es teilen,
der Ort, an dem Sie leben und vieles mehr.
Vielleicht teilen Sie auch meine Bewunderung für Menschen,
die ihr ganzes Leben unter eine große Entscheidung stellen.
Sie  entscheiden sich voller Leidenschaft für ein großes Ziel,
leben es ohne Wenn und Aber, ordnen alles andere dem unter.
Tolstois Anna Karenina verlässt Mann und Kind und lebt kompromisslos ihre Liebe zu dem schönen Alexej Wronski.
Sie lässt ihr Leben am Ende.
Aber es gibt kein Zurück in das Gleichmaß ihres bürgerlichen und farblosen  Daseins.
Undenkbar.
Marilyn Monroe ist leidenschaftlich in das Bild der erfolgreichen Schauspielerin verliebt.
Sie lebt es, auch wenn es über ihre Kräfte geht und versucht das unsichere, misshandelte Kind vor sich und anderen zu verstecken.
Nie wieder will sie sich dem Grau einer Nebenrolle ausliefern.
Nicht im Beruf, nicht im Leben.
Nelson Mandela entscheidet sich für die Liebe zur Gerechtigkeit:
Er will die Unterdrückung seiner Leute, der Schwarzen in Südafrika beenden.
Das lebt er, ohne Rücksicht auf seine Liebe zu seiner Frau, seinen Kindern.
Die Liebe für ein befreites Südafrika überlebt auch 27 Jahre Gefangenschaft auf Robben Island.
Am Ende ist noch Kraft da, um das Leben dort zu gestalten.
Seine Frau hat er auf dem Weg verloren.

Manchmal frage ich mich, ob ich mich nicht immer wieder deutlicher entscheiden muss,
intensiver leben, mich intensiver und klarer einsetzen für andere,
den Lauf der Welt nicht so voll ohnmächtiger Wut oder Angst hinnehmen, intensiver...
Tja, sagt da einer neben mir.
Ich warte gerade an der Kasse mit meinem Rosenkohl im Wagen.
Du mal wieder, sage ich. Was liegt an?
Ich habe dein inneres Gemurmel gehört, sagt Jesus.
Wundern Sie sich nicht.
Der kommt ab und zu vorbei, auch wenn  er stört.
Und?, frage ich.
Entscheidungen sind wichtig, sagt er ernst.
Was du nicht sagst, erwidere ich ironisch.
Klare Entscheidungen, die auch mal wehtun, vermisse ich bei euch ab und zu.
Ich deute auf den Rosenkohl.
Vergiss deinen Rosenkohl, sagt Jesus abschätzig.
Ich vermisse in euren Entscheidungen die Größe,
dass ihr die Welt im Blick habt,
die Gerechtigkeit, die Gott wünscht,
dass ihr ohne Wenn und Aber der Klarheit folgt, die Gott euch ins Herz gelegt hat, und nicht nur euer Mittagessen im Kopf habt.
Komm schon, Jesus, sage ich, ich bin beim Einkaufen.
Er zieht mich aus der Schlange vor der Kasse, direkt vor das Regal mit tausendundeiner Süßigkeit.
Ich wende seufzend den Blick ab.
Hast du einen Tipp?, frage ich ihn. Kleine Entscheidungshilfe?
Natürlich, sagt er und sein Ton wird etwas weihevoll, sein Blick streng.
Höre denn.

Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.
39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Na, holla, holla, Jesus, sage ich erschüttert. Das ist aber starker Stoff.
Wie meinst du das?, fragt er erstaunt.
Das klingt sehr anstrengend. Und brutal. Und verletzend.
Wie war das mit der Liebe und der Gewaltlosigkeit?
Ich meine das mit dem Schwert doch nicht wörtlich, sagt er gereizt.
Du kennst mich doch.
Was kann ich dafür, dass Menschen meine Worte missbrauchen, aus dem Kontext reißen und Kreuzzüge anzetteln, diese Kretins.
Nein, ich will,  dass ihr euch einsetzt, ganz und gar, mit Haut und Haaren, für das Reich Gottes.
Seid kompromisslos. Seid klar.
Brennt, aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit aller Kraft,
Nährt euch einzig und allein aus der Flamme der Liebe Gottes.
Schneidet alles ab, werft aus eurem Leben, was diese Flamme in euch verdeckt oder löschen könnte.
Haltet euch an das Gute, um jeden Preis!
Da müssen manchmal klare Entscheidungen getroffen werden, die weh tun, dir selber und anderen auch.
Mit deiner Mutter warst du ganz schön grob, versuche ich ihn zu bremsen.
Meine Mutter, sagt er mürrisch.
Die hat gesagt, ich habe einen Knall.
Die Römer bestimmen hier, hat sie gesagt, das weiß doch jeder.
Wir müssen sehen, wie wir über die Runden kommen.
Du als der Älteste hast Pflichten, hat sie gesagt.
Reiß dich zusammen und tu, was von dir erwartet wird.
Und du hast sie einfach stehen lassen, erinnere ich ihn und hast von da an auf der Straße gelebt.
So ist es, erwidert er,
die Vögel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann.  
Klingt verführerisch, sage ich spöttisch.
Ja, sagt er, viele sind mir gefolgt.
Zwölf, berichtige ich ihn.
Ach was, erwidert er, glaub doch nicht alles, was das du liest.
An manchen Tagen waren wir zu 100en unterwegs.
Hier, schau mal.
Und er legt mir eine Hand auf den Kopf und mein Blick verschwimmt.
Ich sehe eine große Gruppe von Menschen auf einer staubigen Landstraße hinter Jesus hergehen,
Männer und Frauen.
Einer hebt den Blick und sieht mich an:
Er isst mit den Sündern, sagt er, er hat mir die Tür zum Leben geöffnet, als ich noch Zöllner war.
Jetzt helfe ich und öffne anderen die Türen.
Er berührt die Verachteten und Ausgestoßenen, fährt eine Frau fort und es ist ihm egal, ob er Ärger mit den Pharisäern bekommt.
Jetzt kriege ich meine Tage wieder regelmäßig.
Er hat gesagt, tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe herbeigekommen, sagt ein Jugendlicher, ja, es ist schon mitten unter euch. Durch mich.
Und er hat recht. Es geschehen Zeichen und Wunder.
Und wir gehen seinen Weg mit.
Aber die Welt ist doch gefährlich und brutal, erwidere ich und rast auf den Abgrund zu, heute noch mehr als damals.
Reich Gottes? Wo denn?
Das Reich Gottes ist eben nichts für Memmen, mischt sich eine große Frau ein.
Es ist da, wenn du ihm eine Chance gibst.
Wir haben unser altes Leben verloren, aber haben wir ein neues gewonnen, mitten in dieser verkorksten Welt.
Aber es ist gefährlich und kann euch euer Leben kosten, werfe ich ein.
Und Jesus wird...
Doch ich bremse mich. Das Ende kommt früh genug.
Sollen sie doch die Zeit mit ihm auskosten.
Ja, es ist gefährlich, fährt die Frau fort, und manchmal auch schmerzhaft, aber der Gewinn ist groß.
Wir sind frei.
Leben wie die Lilien auf dem Feld. Gott sorgt für uns.
Nehmen uns die Freiheit für den Frieden zu leben in gewalttätigen Zeiten.
Ich habe mein Herz ganz der Lebendigkeit und Liebe Gottes geöffnet.
Es ist wunderbar zu handeln und zu reden, wo andere nur ohnmächtig die Hände heben und schweigen.
Hm, sage ich, nun doch etwas beeindruckt.
Sicher, wagt sich ein kleiner schüchtern wirkender Mann vor, in dieser Welt schmerzt diese Klarheit.
Familien zerbrechen, und Freundschaften und Lebenskonzepte, ja.
Es gibt Streit, es gibt Tränen,
es gibt Unverständnis und Beziehungen, die nicht zu heilen sind.
Es gibt Verfolgung, das wird bei euch nicht anders sein.
Jesus schließt auch Türen, um die Tür zu Gottes Frieden und Gerechtigkeit offen zu halten.
Für alle.
Wir müssen weiter, sagt ein anderer ungeduldig.
Und ich sehe, dass sich die anderen aus der großen Gruppe schon um einiges auf der Straße entfernt haben.
Na, dann, sagt die große Frau, mach’s gut. Und mach was draus.
Und langsam verschwimmt das Bild vor meinen Augen und ich blicke wieder auf das Regal, Milka, die zarteste Versuchung.
Ich seufze und schaue schnell weg.
Und?, fragt Jesus.
Jesus, sage ich vorsichtig, ich will dir nichts vormachen.
Du bist hier unter nüchternen Protestanten im wohlhabenden Westen.
Ja, wir hatten einen Luther, der vermutlich mehr nach deinem Herzen ist mit seinen rigorosen Entscheidungen.
Geht so, meint Jesus lakonisch.
Aber wir, fahre ich fort, wir sind nicht so einfach zu kriegen mit der Vision: Lebt ungebunden auf der Straße und folgt mir nach und verändert die Welt, koste es was es wolle.
Oder gar wer sein Leben gewinnt, der wird es verlieren und wer es verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen.
Ich weiß nicht.
Ich glaube, du machst es dir zu einfach, weist mich Jesus zurecht.
Es gibt doch viele Menschen, auch heute, die sich ganz und gar einem Ziel verschreiben und danach leben,
Nelson Mandela, die Leute, die in der Bahnhofsmission arbeiten oder...Greenpeace, wäre das nichts für dich?
Schau mich doch an, Jesus, sage ich gereizt, ich bin nicht sportlich genug.
Und außerdem arbeite ich ständig für dich und in meiner Freizeit möchte ich mal ins Kino gehen.
Jesus hebt eine Augenbraue.
Gefährliches Zeichen, wie ich weiß.
Meine Liebe, sagt er streng, ich glaube, du weißt genau, was ich meine.
Glaube nicht, dass ich euch nicht kenne.
Glaube nicht, dass ich blöd bin und weiß, dass es schwer ist, euch in Bewegung zu setzen,
obwohl ihr auf Kosten anderer lebt mit eurer brutalen Wirtschaftsordnung, obwohl die Umwelt gefährdet ist.
Ich erwarte ja gar nicht, dass ihr euch ans Kreuz nageln lasst.
Nett von dir, versuche ich den Ernst seiner Rede etwas aufzulockern.
Sei still, fährt er mich streng an.
Aber ihr sollt ernst nehmen, dass ich alle Türen geöffnet habe und ihr alle den Weg zum Frieden gehen könnt.
Gott hat dafür gesorgt, dass das weitergeht, bis in alle Ewigkeit.
Ich erwarte, dass ihr  in euren Entscheidungen immer auch dem weiten Blick Gottes auf die Welt, auf die anderen eine Chance gebt.
Wie meinst du das?, frage ich.
Na, nimm zum Beispiel diesen Weinstein, diesen Filmproduzent.
Diesen miesen Sack?, frage ich, der über Jahrzehnte Frauen missbraucht und sogar vergewaltigt hat?
Genau den, antwortet er.
Was weißt du denn davon?
Jesus sieht mich nur bedeutungsvoll an.
Schon gut, sage ich. Und? Was soll ich mit dem?
Na, sagt Jesus, nehmen wir mal eine Frau, die unbedingt Schauspielerin werden will, wie diese Marilyn Monroe.
Sie hat Talent, sie weiß, sie hat das Zeug zu etwas Großem und will es um jeden Preis leben.
Und dann gerät sie an diesen Weinstein.
Verstanden, sage ich.
Sie verliert ihr Leben, wenn sie es eigentlich gewinnen will, weil ihr Leben vergiftet wird,
weil sie sich zeitlebens schämt oder zeitlebens mit dieser Verletzung herumläuft.
Moment, sagt Jesus, ich bin noch nicht fertig.
Nehmen wir an, sie entscheidet sich, das zuzulassen, lässt sich von ihm befummeln oder geht sogar mit ihm ins Bett.
Jesus, sage ich schockiert.
Hergott, Mädchen, sagt er, stell dich nicht so an.
Also, sie lässt sich auf die Wünsche des Herrn Weinstein ein.
Und ist stark.
Und steckt das weg.
Und kann es vergessen. So was gibt’s.
Sie erreicht ihre Ziele und wird eine der ganz Großen.
Na super, sage ich, und was ist mit den anderen?
Genau, sagt Jesus, was ist mit den anderen?
Ihre Entscheidung, das mit sich machen zu lassen, hat Folgen.
Für andere.
Die nicht so stark sind.
Die verletzt werden.
Die tatsächlich ihr Leben verlieren und es nicht ertragen mit dem Gedanken daran zu leben.
Diese eine Frau stützt ein System des Unrechts, auch wenn sie persönlich gewinnt.
Genau wie die Reporter und Regisseure, die es alle wussten und am Ball bleiben wollten und es mitgetragen haben.
Hm, sage ich.
Ihr sollt anders leben.
Das ist das Mindeste, was ich erwarte.
Verliert in euren Entscheidungen die anderen, die Welt nicht aus dem Blick.
Traut euch in euren Herzen Gottes ganze Liebe zu spüren, die er hineingelegt hat.
Fühlt mit den anderen und bleibt klar und gebraucht das Schwert meiner Klarheit,
auch wenn es schmerzt und ihr Leute vor den Kopf stoßt,
selbst dann, wenn ihr eure persönlichen Ziele nicht erreicht und euer Leben verliert.
Verstanden?
Ja, sage ich.
Dann ist es ja gut, sagt Jesus wieder freundlich.
Ich muss los, meint er.
Und ich muss Mittagsessen kochen, erwidere ich.
Mach’s gut, bis zum nächsten Mal.
Schalom, sagt Jesus bedeutungsvoll.
Und dann stehe ich wieder in der Schlange und bezahle und mache mich mit meinem Rosenkohl auf den Heimweg, wo mich der Zorn meiner Kinder erwartet.
Es mag wunderbar sein, diese Freiheit, etwas tun zu können, wo andere nur ohnmächtig die Hände heben.
Und es gibt wirklich schönere Worte als diesen Predigttext aus dem Matthäusevangelium.
Ich bin mir auch nach dem Gespräch mit Jesus nicht ganz sicher, ob das der richtige Weg ist, uns zu ermahnen.
Aber ich nehme mir vor, wieder mehr daran zu denken,
dass Gott Raum braucht, um zu handeln,
ich Raum in meinem Leben  offen halte,
Kraft bereit halte, für die Momente, in denen meine Klarheit und mein Handeln gebraucht wird.
Gott braucht unsere Hände, unsere Sprache, unsere aufrechte Haltung.
Wir alle haben Ziele im Leben, Dinge und Menschen, die uns wichtig sind und an denen unser Herz hängt.
Vergessen wir aber nicht:
Wir nennen uns Christinnen und Christen,
und sind auch auf dem Weg, wie die, die Jesus auf staubigen Straßen folgten.
Memmen oder Egozentriker sind da nicht gefragt.
Es braucht Menschen, die durch ihr Handeln anderen Mut machen, an andere zu denken und danach zu handeln.
Es braucht Menschen, die sich trauen zu erkennen:
Gott lebt in meinem Herzen mit seiner brennenden Liebe.
Ich folge seiner Spur und gebe mich nicht damit zufrieden, dass die Welt so bleiben muss, wie sie ist.
Wir leben in einer Welt, in der wir uns entscheiden müssen. Immer wieder.
Im Kleinen und im Großen.
Es braucht Menschen, die die Freiheit ergreifen, die Gott uns durch Jesus versprochen hat,
die Freiheit immer wieder auch die richtigen Entscheidungen zu treffen, wie es der Wochenspruch uns nahelegt:
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Amen





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen