Samstag, 11. November 2017

Lk 11, 14-23 Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr 2017


I. Es ist Nacht.
Ein Traum greift nach mir.
Die Saat geht auf.
Was ich weggesteckt habe am Tag, kommt hoch im Schlaf, gewinnt Gestalt.
eine Welt, der ich nicht entrinnen kann.
Dunkle, dämonische Gestalten,
greifen nach mir, treiben mich in die Enge.
Kalt und unbarmherzig.
Lähmen meinen Körper.
Verschließen meinen Mund.
Sprachloses Entsetzen.
Und dann zieht mich etwas aus dem Schlaf.
Ich wache auf.
Greife um mich.
Spüre die Decke, das Bett.
Blicke um mich: Vertrauter Raum.
Tiefes Durchatmen.
Ich bewege mich.
Gott lockt mit seinem Finger den Morgen hervor.
Wie immer.
Menschen gehen auf der Straße zur Arbeit, bringen ihre Kinder in die Kita.
Die Welt hat mich wieder.
Liegt offen und frei vor mir.
Alles gar nicht so schlimm.
Ich kann sehen, reden, handeln, kann leben.
Was für eine Erleichterung!

Es ist Tag, ein Tag in dieser Welt.
Einer steht vor der Kirche in seiner kleinen Stadt,
irgendwo im Nirgendwo von Gods own country.
Ein Gewehr hat er in der Hand.
Er hört das Reden und Lachen und Singen der Menschen.
Doch sein Herz rührt sich nicht.
Schweigen und Bitterkeit, Hass und etwas Rotes in seinen Augen lähmen es.
Er findet keine Worte für diese Menschen, nie mehr.
Nur eine Tat löst sich aus der Enge seines Alptraums,
den er lebt mit offenen Augen.
Und er stößt die Tür auf –
und durchbricht die Wand zu den anderen mit der einzigen Sprache, die ihm noch geblieben ist.
Hinterlässt Tod und sprachloses Entsetzen.
Alptraum Leben.
Kein Morgen folgt.

Es ist Tag, ein Tag in dieser Welt.
Und die Sonne glüht und Wasser ist fern.
Die Menschen im Jemen wissen:
Keine Macht der Welt interessiert sich für sie.
Eingesperrt sind sie zwischen dem mörderischen Hass der Rebellen und der Profitgier der Großen.
Und sterben ihren Alptraum Leben.
An Cholera. An Schüssen. An Hunger und Durst.
Mit den Booten aus Deutschland blockieren die Saudis die Häfen.
Keine Flucht möglich.
Die UNO malt die größte Hungerkatastrophe seit Jahrzehnten an die Wand, die die Menschen dort von dem Rest der Welt trennen.
Doch keiner antwortet.
Das tödliche Schweigen vernichtet die Kinder des Jemen.
Alptraum Leben.

Gibt es da noch einen Morgen?
Ein erleichtertes Aufatmen?
Wir können das doch mit dem Mitgefühl oder haben wir die Worte verlernt und Gott ausgesperrt?
Wie lösen wir uns aus den Alpträumen, die uns die Sprache rauben?
Wie finden wir Worte, die trennende Wände durch Mitgefühl niederreißen und nicht wie Gewehrkugeln durch die Welt schießen, einander stoßen und verletzen?
Und hilft uns Gott dabei, diese Worte zu sammeln und uns den Mund zu öffnen?

Eine Geschichte aus der Bibel erzählt davon, erzählt von einem Tag,
der beginnt als Alptraum und endet paradiesisch.
Ein Märchen, so scheint es und doch ein Tag in unserer Welt.
II. Es ist Tag.
Und doch kein Leben um ihn.
Kein Geräusch dringt durch sein Ohr.
Er sieht lautloses Geschehen an sich vorbeilaufen,
Kinder spielen,
Bauern auf dem Markt reißen die Münder auf und preisen ihre Ware an.
Männer stehen in Gruppen auf der Straße, Frauen am Brunnen.
Ihre Hände bewegen sich in der Hitze ihrer Gespräche.
Er kann es nicht hören, er kann nicht eingreifen in dieses lautlose Geschehen.
Er spürt eine Wand um sich wie in einem bösen Traum.
Sein Mund ist verschlossen. Seine Zunge liegt lahm in ihrer Höhle.
Er sieht, ja, aber kein Mensch sieht ihn.
Er steht mittendrin und ist doch draußen,
erbarmungslos getrennt von allem,
von den Menschen und auch von Gott, den er nicht spürt in seiner Welt.
Sprachlos.
Einsam und allein.
Keine Macht der Welt interessiert sich für ihn.
Alptraum Leben.
Und  da kommt einer und  lockt mit Gottes Finger Leben herein in seine Starrheit.
Sein Mund bewegt sich.
Etwas Liebevolles, Zuversichtliches hat ihn gestreift, sein Herz bewegt,
sanft und doch machtvoll.

Und die Wand fällt in sich zusammen und sein Raum weitet sich.
Leichtes verscheucht den dunklen Traum.
Sonne spürt er
und den Wind hört er rauschen.
Menschen reden.
Er weiß: Die Welt hat mich wieder.
Liegt offen und frei vor mir.

Was für eine Erleichterung!

Und Jesus trieb einen bösen Dämon aus, der war taub und stumm.
Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Taubstumme. Und die Menge verwunderte sich.


Und alles hört zu.
Alle schauen ihn an, als ob sie ihn zum ersten Mal sehen.
Die Bauern haben ihren Stand verlassen, die Frauen die Wasserkrüge vergessen,
sie umstehen ihn staunend.
Er sieht ihnen in die Augen,
fängt ein vorsichtiges Lächeln auf, gibt es zurück, merkt:
wir teilen denselben Raum.
Er hält ihnen Worte hin wie Blumen,
möchte gemeinsam mit ihnen Helles zaubern gegen die Dunkelheit.

III.
Doch schon löst sich der Blick der Leute von ihm, heftet sich auf Jesus, fragt:
Ist es Tag oder ist es Nacht?
Welche Macht will da über uns kommen?
Dieser Mensch da, der gebietet so selbstverständlich über Dämonen. Tödliche, verderbliche Kräfte sind das doch,
Werkzeuge des Teufels, die das Gute im Menschen auffressen,
unersättlich sind und sein werden, bis sie alle Macht über uns haben und über die ganze Welt.
Ist er mit ihm im Bunde?
Verführt uns ein teuflischer Alptraum oder lockt Gott uns durch ihn mit einer leuchtenden Vision seines Reiches?
Sie zögern.
Schon wächst Misstrauen und Furcht, kriecht in ihre Herzen und lähmt ihre Zunge.
Eine Mauer des Schweigens zieht sich langsam hoch.
Doch da weht ein Wind zwischen ihnen.
Und etwas rührt an ihr Herz, ganz sanft, ganz leicht nur.
Doch sie spüren es und Mut kommt und sie tun den Mund auf.
Gott sei Dank.
Behalten es nicht für sich.
Reden und geben dem Leben und diesem fremden Wundertäter eine Chance, der sie aufmunternd anlächelt.

Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre.
 Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.
Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.
Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden.
Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.
Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“


Und viele folgen der Einladung,
trauen ihren Herzen, dem Guten, das sie sehen, vernehmen die Worte des einstigen Stummen und sagen sich:
Nein, wirklich, da würde sich der Teufel tatsächlich ein Eigentor schießen. Das ist nicht in seinem Sinn. Das ist nicht er.
Und sie holen Wein und Brot und noch dies und das und sitzen die ganze Nacht mit diesem Rabbi aus Nazareth.
Ein Wort hält dem anderen die Hand hin, verbindet sich, holt andere dazu, gewinnt an Farbe.
Gottes Finger lockt ihre Träume hervor, ihr Hoffen, ihre Kraft.
So ist das Reich Gottes ja zu euch gekommen.
Eine Nacht lang glauben sie, dass das Leben sich in Gottes Takt bewegt.
Und manche nehmen das am nächsten Morgen mit in ihr Leben,
trauen weiter der sanften Macht Gottes,
testen die Grenzen aus mit ihrem friedlichem Willen,
sehen den anderen, den Fremden, blicken in ihre Zukunft,
zum ersten Mal mit Mut und ohne Angst und wissen in ihrem Herzen:
Mitten unter uns ist er, der treue Gott mit seinem sanften Geist.
Was für eine Erleichterung!

IV. So ist das Reich Gottes ja zu euch gekommen, versichert uns Jesus.
Mitten unter uns lebt Gott,
lockt mit seinem Finger hinein in die Weite.  
Doch nicht jeder folgt seinem Fingerzeig.
Viele schießen ihre Wörter wie Kugeln durch den Raum der Welt,
sie prallen aneinander, verletzen sich,
bauen Wände, Mauern, ganz hohe,
hinter denen sich Dämonen einrichten, die gefräßig alles Mitgefühl und alle Zukunft in sich aufsaugen,
andere in die Nacht ihrer Alpträume ziehen,
blutige Spuren hinterlassen,
Menschen gegeneinander aufbringen und sie zu Analphabeten des Friedens machen.
Wir mögen uns fragen, warum Gottes Finger so sanft nur an Herzen rührt
und freundliche Worte wie ein Hauch erscheinen
und der Ruf nach Frieden und Gerechtigkeit oft wie Hohn.
Aber seine Geschichten erzählen auch, wie unbeirrbar Gott redet und lockt.
Jeden Tag, auch in der tiefsten Schwärze des Todes, der Jesus sich ausgesetzt hat, für uns, antwortet Gott mit Leben:
Er weckt uns mit guten Worten,
er lässt einen Wind aufkommen,  der unser starres Denken verwirrt,
er lockt Leben in die von Dämonen des Hasses und der Angst verseuchten Gegenden unseres Leben.
Unser Gott spricht  und spricht,
wie am ersten Tag
vom Guten, immer vom Guten
und hält uns seine Worte hin wie Blumen.
Wir wachen auf und sehen:
Die
Welt liegt offen und frei vor uns.
Wir sehen, reden, handeln, leben
.
Es ist an uns die Blumen anzunehmen aus seiner Hand und daraus einen Strauß zu binden, der bunt ist und nach Sommer duftet,
andere verführt, ihre Worte dazuzutun.
Wir wissen: Wir sind auf der sicheren Seite.
Die Welt ist nicht des Teufels.
Es ist und bleibt Gottes Welt. Heute und alle Tage.
Setzen wir uns gemeinsam an den Tisch,
teilen Brot und Wein und dehnen die Enden der Nacht,
testen die Grenzen aus mit unserem friedlichem Willen,
bringen Mauern ins Wanken,
sehen den anderen, den Fremden, blicken in die Zukunft,
mit Mut und ohne Angst und vertrauen in unseren Herzen:
Mitten unter uns ist er, der treue Gott mit seinem sanften Geist.
Was für eine Erleichterung!
Amen.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen