Mittwoch, 28. März 2018

Karfreitag 2018 Mt 27


Ein Abgrund tut sich auf.
Menschen schreien: Kreuzige ihn!
Ein Abgrund der Gottesferne.
Menschen stecken fest in ihrem Hass.
Menschen hören auf ihren Machtwillen.
Verhören Jesus und liefern die Antworten gleich mit,
die ihn als Aufrührer ausliefern,
den Folterknechten, dem römischen Urteil:
Kreuzigt ihn!
Sie sind sich sicher:
Der verdient sein Leben nicht mehr,
dieser sanfte und aufreizend klare Mensch, der laut in die Welt gerufen hat:
Dein Reich komme!
Menschen übertreten ihre Grenzen.
Damals. Heute.
Sie richten sich ein in der Schlucht der Härte,
aus der keine Treppe mehr führt.
Kein Mitleid, kein Sinn für Gerechtigkeit ist mehr abrufbar.
In diesem Abgrund versinkt Jesus.
Stirbt schreiend.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Stirbt schreiend vor körperlichem Schmerz.
Sie haben meine Hände und Füße durchgraben.
Ich kann alle meine Knochen zählen;
sie aber schauen zu und sehen auf mich herab.
Stirbt schreiend vor Verzweiflung.
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.
Ist dieser Abgrund dein letztes Wort, Gott?

Vielleicht ist es nicht sein letztes Wort,
aber Gott spricht an Karfreitag nur davon,
spricht von den unausweichlichen Folgen menschlicher Sünde,
spricht von menschlicher Härte,
die sich weit von dem Bild entfernt, nach dem er den Menschen erschafft.
Gott zeigt, welche Abgründe sich auftun,
wenn Menschen sich abwenden von der Stimme des Lebens,
und sich dadurch der Kälte des Todes ausliefern,
andere erschießen,
quälen, foltern,
verhungern
oder am Kreuz verrecken lassen
ohne Mitleid,
ohne Anteilnahme.
Damals. Heute.
Gott redet durch Jesus von den Abgründen dieser Welt.
Und weil Gott es ist, der davon redet,
werden sie sichtbar für alle Welt.
Niemand kann ausweichen.
Er will, dass wir zuhören, zusehen, hinsehen, wie er es tut.
Wo Abgründe sich auftun,
da geraten die Dinge durcheinander,
da kommt alles in Bewegung.
Das, was Menschen so oft nicht zeigen,
Anteilnahme, Erschütterung,
das zeigen im Matthäusevangelium die Natur und die Dinge.
Sie sind Gottes Stimme. Sie zeigen, was und wie er sieht.
Die Sonne verbirgt sich,
weigert sich, mit ihrer Wärme die Kälte dieses Augenblicks zu vertuschen.
Der Vorhang im Tempel kann nicht an sich halten,
es zerreißt ihn, von oben nach unten.
Nichts Heiliges, Verborgenes kann es geben in dem Moment,
in dem Menschen das Heiligste, das Leben eines Menschen, mit Füßen treten.
Das Heilige hängt am Kreuz,
und wer das Allerheiligste sehen will, muss nach Golgatha blicken.
Die Natur schüttelt sich.
Selbst die härtesten Felsen reißt es auseinander.
Die Heiligen hält es nicht in ihren Gräbern.
Sie wandern über den Hügel von Golgatha und
zeigen ihre Erschütterung:
Jesus ist tot, Gottes Stimme wurde erwürgt –
das darf doch nicht wahr sein.

Das ist für mich das einzig mögliche Evangelium an Karfreitag:
Dieser Satz: Das darf doch nicht wahr sein.
Dieser Satz weicht dem Skandal des Todes nicht aus.
Er nimmt den Tod bitter ernst.
Es ist der Satz, den Gott der Natur, den Dingen in den Mund legt
und darauf wartet, dass wir ihn in den Mund nehmen.
Das darf doch nicht wahr sein.
Dieser Satz: Das ist das Mindeste.
Das zerstörte Leben eines Menschen sehen, nicht vorbeisehen können,
nichts tun können, aber sagen, rufen, flüstern:
Das darf doch nicht wahr sein.
Das will Gott von uns hören.
Das spricht er selber in die Abgründe unseres Lebens hinein:
Nein, das darf nicht wahr sein.

Gott schaut in diese Abgründe, steigt mit hinunter.
Das versteht sogar ein abgebrühter Hauptmann,
der täglich die Schreie der Sterbenden am Kreuz im Ohr hat
und nicht so leicht zu erschüttern ist.
Aber Gott zeigt seine Erschütterung angesichts des Todes Jesu.
Für ihn gerät angesichts des Leidens eines Menschen die ganze Welt ins Wanken.
Daran kommt der Hauptmann nicht vorbei.
Er erkennt, dass tatsächlich Gott durch diesen Jesus redet,
und er findet keine besseren Worte dafür, als zu sagen:
Das war ja dann wohl doch Gottes Sohn.
Und seine Erschütterung ist zu merken.

Das darf doch nicht wahr sein.
Wer diesen Satz sagt,
der weiß zumindest:
Leben ist anders, muss anders sein.
Ein Mensch gehört nicht ans Kreuz,
sondern zu seinem Feigenbaum und Weinstock.
Die vielen Armen und die wenigen Reichen sind kein Naturgesetz,
auch wenn die Gesetze und Grenzen der Länder es so oft dabei belassen.
Das schreckliche Leiden in der Welt zeigt den tödlichen Abgrund,
in dem wir es uns oft behaglich oder resignierend eingerichtet haben.
Das darf doch nicht wahr sein,
ein Gebet, das Jesu Schrei am Kreuz aufnimmt, ernstnimmt und der Welt entgegenbetet.

Es gehört Mut dazu, sich an diesen Satz zu wagen,
denn er bewegt nicht nur Berge und tote Heilige,
sondern auch die, die ihn ausspricht:
Das darf doch nicht wahr sein.
Wenn ich mich an diesen Satz wage,
es wage, angesichts der Ungeheuerlichkeiten,
die Menschen bis heute ihren Geschwistern zumuten,
wage mein Herz zu öffnen,
dann tue ich das in der Hoffnung,
Gottes Stimme zu hören,
der mir recht gibt, wenn ich nur noch fassungslos den Kopf schütteln kann.
Dann spüre ich vielleicht auch in dieser Tiefe Gottes Hand,
und merke, dass diese Hand mich zieht, ohne schon zu sehen wohin.
Dann stimme ich ein in den 22. Psalm,
mische wie Jesus schreiende Klage mit dem Bekenntnis:
Gott hat nicht verachtet noch verschmäht
das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen;
und als er zu ihm schrie, hörte er's.

Das darf doch nicht wahr sein.
Hilft es, wenn wir diesen Satz aussprechen?
Kann er die Felsen von den Gräbern der Welt rollen?
Hilft er uns aufzustehen, gegen den Tod, gegen mitleidlose Gewalt und Unrecht?
Ich weiß es nicht.
Aber ich glaube, wenn wir uns der Ungeheuerlichkeit des Todes,
den Menschen anderen zumuten, wirklich aussetzen,
dann verlieren wir unsere Fassung angesichts des Leides.
Fassungslose Menschen kann Gott bewegen
und mitnehmen auf seinen Weg.

Das darf doch nicht wahr sein.
Die Erde bebt,
Felsen zerreißt es,
und den Vorhang im Tempel.
Abgründe tun sich auf.
Damals. Heute.
Das darf doch nicht wahr sein.
Gott spricht diesen Satz mit und
wird nicht aufhören vom Leben zu reden,
damit wir aufstehen
gegen den Tod und in die Welt rufen:
Dein Reich komme!
Amen

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