Samstag, 27. Dezember 2014

Joh 8,12 (Neue Perikopenordnung Reihe IV) 1. Weihnachtstag 2014


Predigt zu Joh 8, 12 1. Weihnachtstag

Licht steigt auf am Horizont, rötet die Wolken, flutet den Himmel.
Alles, was ist, nimmt Licht an und wirft es zurück,
wird sichtbar.
Bäume und Felder,
Straßen und Häuser.
Der Stein am Weg, der Berg in der Ferne.
Nichts bleibt verborgen.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, nicht zu bändigen,
breitet sich aus im eigenen Tempo.
Und verschwindet blitzartig, wenn die Quelle erlischt.
Einmal auf den Weg gebracht
flitzt es Jahrtausende durch das Weltall,
lässt sich nicht aufhalten und nicht einfangen.
Wer Licht einsperren will, hat nur Dunkel in der Hand.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, das sind Wellen sagen die Physiker oder Teilchen, je nachdem.
Ja, was denn nun?
Man kann sagen, aber nur so ungefähr, wo Licht sein wird.
Licht kratzt an Exaktheit,
lässt Wissenschaftler rechnen mit Wörtern wie „wahrscheinlich“.
Treibt Normalsterbliche in den Wahnsinn,
die versuchen, das zu verstehen.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, sagten die Forscher der Bibel,
damals im fremden Babylon, als sie Zeit hatten zum Nachdenken,
Licht hat eine geheime Quelle,
irgendwo bei Gott,
Licht ist da vor Sonne und Mond und den Sternen, die sich aus ihm speisen.
Denn man sieht es ja, am Horizont, bevor man Sonne sieht oder Mond.
Gott macht das Licht.
Ganz am Anfang.
Immer als erstes, vor Tag, vor Schöpfung,
Irgendwo im Verborgenen.
Bevor etwas Gestalt gewinnt, ist Licht schon da.

Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus,
Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Lied: EG 74 Du Morgenstern, du Licht vom Licht


Alles, was ist, nimmt Licht an und wirft es zurück,
wird sichtbar.
Licht dringt durch die Nacht des Todes,
führt durch die Finsternis.
Es erhellt die dunklen Täler in Sekundenschnelle,
erlischt auch, aber kommt wieder, immer wieder,
und wird geboren in einer Krippe, in einem Stall.
Das wird jetzt kein Jubelruf über den Gott, der sich einlässt auf Enge und Finsternis.
Licht in einem Stall,
da ist nichts mehr mit Enge und Niedergedrücktsein.
Licht, die unverfügbare Kraft,
Gottes ewiges Licht in der Krippe,
da hebt sich das Dach,
da scheint der Himmel hinein,
da werden Sterne groß wie die Sonne oder jedenfalls einer,
da ist Platz in einem Stall für die ganze Welt.
Aller Welt wird Heil widerfahren, in dieser Nacht,
behauptet Gabriel selbstbewusst
allen sind die Augen geöffnet.
Sie sehen.
Sie stehen gemeinsam vor der Krippe.
Sie jubeln mit den Engeln in einem Chor:
Friede auf Erden.
Hirten, Analphabeten vermutlich, ungeübt in der Konversation,
werden zu Botschaftern des Lichtes Gottes,
fangen plötzlich an zu predigen, erzählen und alle hören zu.
Marias Herz ist bewegt.
Das Licht der Welt liegt vor ihr, ihr Sohn,
ein kleines Teilchen von Gottes Licht, das aber Wellen schlagen wird,
große Wellen, da ist sie sicher.
Ich bin das Licht der Welt.
Zu diesem Selbstbewusstsein wird sie ihren Sohn erziehen
und alles geben, was sie hat.

Lied: 37, 1 Ich steh an deiner Krippen hier

Einmal auf den Weg gebracht
flitzt das Licht Jahrtausende durch das Weltall,
lässt sich nicht aufhalten und nicht einfangen.
Wer Licht einsperren will, hat nur Dunkel in der Hand.

Ich bin das Licht der Welt.
Da holt aber einer richtig aus.
Ich bin das Licht.
Jesus weiß nichts von Wahrscheinlichkeitsrechnung,
aber die Kraft des Lichtes, die kennt er,
aus heißen Sommern, aus dunklen Nächten.
Er kennt den Schein der Öllampen
und das Flackern von Kerzen, die den Raum erhellen, sobald sie entzündet sind.
Ich bin das Licht der Welt.
Und Jesus, der Jude, kennt natürlich auch die Geschichte vom Licht am ersten Tag,
weiß, dass das Licht ewig ist, vor allem anderen war, von Gott kommt.
Er kennt auch die Worte Gottes an Jesaja (aus Jes 42,6; 49, 6)
Ich mache dich zum Licht der Heiden,
dass du die Augen der Blinden öffnen sollst
und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen
und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker,
dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

Licht, das sich nicht einsperren lässt.
Licht, das sich von der Finsternis nicht aussperren lässt.
Ich bin das Licht der Welt.
Da meint einer, was er sagt.
Keine falsche Bescheidenheit.
Ein großer Anspruch an sich und andere
angesichts der Finsternis, die Jesus spürt und sieht
und an der er leidet wie die Menschen um ihn herum:
Das Klein – Klein der Hoffnung,
das sich mühsam an die Grenzen hält, die ihnen gesetzt werden,
die Anstrengung das Leben zu erhalten,
Nahrung – ein Problem,
Krankheit – eine Katastrophe,
Alter – nur erträglich, wenn die Söhne bleiben,
sich nicht in die Berge schlagen, weil sie den Römern unangenehm aufgefallen sind und sich wehren.
Finsternis um sie herum,
das ist wie eine verschlossene Tür, vor der sie stehen.
Keine Idee, wie sie zu öffnen wäre.
Blendende Finsternis, dass sie das Licht  kaum noch wahrnehmen.
Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus,
ein großer Anspruch und eine große Verheißung.
Der Jesus anschaut, der sieht Licht in der Finsternis.
Die ihm nachfolgt, die lebt im Licht.

Lied: EG 37, 3 Ich lag in tiefster Todesnacht

Licht des Lebens.
Licht in der Finsternis.
Das Licht Gottes hatte die Krippe verlassen,
die Windeln abgelegt nach einiger Zeit,
und sich auf den Weg gemacht hinein in die Welt.
Und war nicht aufzuhalten.
Jesus vertraute der Quelle des Lichtes,
das war, bevor irgendetwas wurde und bleibt, wenn alles geht.
Er vertraute der Kraft Gottes,
die wie ein Irrlicht Grenzen umtanzt und überwindet.  
dieser Kraft, die einen Funkenflug der Liebe niederregnen lässt, wo Trauer oder Hass lebt,
einen Regenbogen der Hoffnung spannt, wo alles am Ende scheint.
Keine Finsternis, der Jesus auswich,
das Dunkel der Gefängnisse,
das Dunkel der Blinden,
das Dunkel der Schuldbeladenen –
Jesus ging hinein und brachte Hoffnung und Liebe und Heilung in verfahrenes Leben,
ging bis in das Dunkel des Todes.
Die Jünger Jesu haben gelitten.
Für sie sah es so aus, als ob ihre große Hoffnung, das Licht ihres Lebens mutwillig  sein Verlöschen provoziert.
Denn so weitreichend und schnell und ungreifbar das Licht auch ist:
für eine Kerze reicht eine Handvoll Wasser, ein Atemhauch, um ihr das Licht auszublasen.
Aber Licht sein, sagt Jesus, heißt nicht über den Dingen schweben,
einmal aufzuscheinen,
eine Lightshow abzuziehen, mit großartigen Effekten
und dann dem grauen Alltag wieder Platz zu machen.
Ich will alles und ich will alles für euch,
Leben im Licht, Licht des Lebens.
Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht  des Lebens haben.

Lied: EG 37, 8.9

Licht zu Weihnachten, da können wir nicht genug von bekommen.
Kerzen, Lichterketten,
von der Wärme des Lichtes angetriebene Pyramiden,
die dunkelsten Tage des Jahres leuchten so intensiv, so zu Herzen gehend,
wie es kein Sommertag schafft.
Dieses Weihnachtslicht in sich zu tragen, das schmerzt,
denn es verhindert, dass wir die Augen schließen vor dem,
was wir nicht sehen möchten.
Licht Gottes lässt sich nicht einsperren und lenken.
Es macht sichtbar nicht nur die Berge und Täler,
sondern eben auch die Herzen der Menschen, ihre Liebe, ihren Schmerz.
Wer Jesus nachfolgt, spürt den Schmerz und die Liebe des Nächsten wie seinen eigenen.
Dieses Licht in sich tragen, macht ruhelos,
treibt uns zu Flüchtlingen in unserer Nachbarschaft,
trotz Weihnachten und Vorbereitungen.
In diesem Licht, da sieht man einfach zu viel.
Da kann dieser und jener noch Hilfe gebrauchen und dieses Leid gelindert und dieses Wort gesprochen werden.
Aber so ist das eben, wenn einer in eine Krippe blickt,
in der das Licht der Welt aufscheint
und sich aufrichtet und Licht sieht, wo andere nur dunkel vermuten
und Dunkelheit spürt, wo andere Abstand halten. .


Weihnachten.
Alle sind da.
Wir feiern.
Feiern das Kind in der Krippe.
Feiern die Liebe Gottes zu dieser Welt.
Kerzen brennen.
Wir geben das Licht weiter, schenken, nicht nur den Nahen, auch dem Nächsten.
Jesus Christus spricht:
Ihr seid das Licht der Welt.
Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.
So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Amen


Lukas 2, Simeon und Hannah, 1. Sonntag nach Weihnachten 2014

Liebe Gemeinde,
ich habe einen Vorschlag für Ihr nächstes Weihnachtsfest:
Packen Sie Krippe und Engel ganz oben auf den Boden.
Wegwerfen?
Nein, das wäre schade.
Aber verpacken Sie sie gut, sie werden erst einmal nicht mehr gebraucht.
Das Kind?
Ja, das Kind darf bleiben.
Auch Maria und Josef.
Aber anstelle des Stalls stellen Sie einen Tempel auf,
den Tempel von Jerusalem, wenn möglich.
Und anstelle von Gabriel  und Engelswiese und den Hirten und Königen,
zwei alte Leute,
Greise, kurz vor dem Ende ihres Lebens.
Ein Mann, eine Frau.
Und es gibt kein „Es begab sich aber zu der Zeit“,
sondern ein „Geboren in Nazareth, beschnitten nach dem Gesetz.
Keine Sorge, da gewöhnen wir uns schnell dran.
Maria hat die rituelle Reinigung nach der Geburt hinter sich.
Von Jungfrau und Gottessohn hat keiner etwas gehört.
Auch verkündende Engel brauchen wir nicht.
Maria und Josef haben noch keine Ahnung, was genau es mit ihrem Sohn auf sich hat.
Kein Hirte hat die Botschaft weitergegeben.
Aber natürlich ist ihr Kind besonders.
Für sie.
Der Erstgeborene!
Was für ein Glück, was für eine Freude!
Wenige Wochen ist er alt, aber schon der Mittelpunkt ihres Lebens, ihrer Liebe.
Sie wollen im Tempel ein Opfer bringen, ihn Gott vorstellen.
Das wäre auch in Nazareth gegangen, aber für ihren Jesus nur das Beste.
Allerdings: Reisen kostet Geld.
Für das Opferlamm reicht es nicht mehr.
Zwei Tauben tun es auch.
Eine Mutter, ein Vater, am Beginn ihres gemeinsamen Lebens,
glücklich mit dem, was sie haben, aber auch offen für etwas Großes.
Etwas Großes für ihren Sohn.
Ist es nur ein Traum von aufgeregten Eltern, die ihr persönliches Erleben übersteigern?

Hören wir die Weihnachtsgeschichte von Jerusalem aus dem 2. Kapitel des Lukasevangeliums:
Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm.
Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.
Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel.
Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
den du bereitet hast vor allen Völkern,
ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.
Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.
Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter:
Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird
und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.
Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte,
und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht.
Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.


Weihnachten in Jerusalem.
Keine Krippe, die Stufen des Tempels gehören zum Bild dazu.
Das ist einfach, das kriegen wir hin.
Aber die Figuren.
Da wird es schwieriger.
Wie soll Simeon aussehen, wie Hannah?

Simeon, berichtet die Bibel, ist ein alter Mann, ein Greis, kurz vor dem Ende seines Lebens.
Die Furchen in seinem Gesicht denken Sie sich selber dazu.
Das Wichtige: Er ist einer, der sein Leben lang wartet.
Das sieht man ihm an.
Der schaut weiter als bis zur Treppe zu seinen Füßen.
Geduld kann man spüren, aber auch gebändigte Kraft, die er aufgehoben hat,
damit er das Erwartete auch erleben kann,
einer der sich nicht bescheidet, nicht damit zufrieden geben will,
dass sich Träume vom Frieden in Rauch auflösen.

Kann man das denn?
Ein Leben aushalten, das sich erst zuletzt erfüllt?
Leben, weitermachen, Tag für Tag,
aus dem Fenster schauen, wie alte Menschen es bei uns manchmal tun,
das Ticken der Uhr, das Essen auf Rädern,
Verwandte, die vorbeischauen ab und zu,
warten, dass jemand kommt und wieder geht,
Erinnerungen eines langen Lebens und fast alles liegt hinter einem.
Angst vor dem Tod?
Nicht unbedingt.
Aber die Zeit ist geschrumpft,
nicht viel Jahre übrig um zu erleben,
dass ein Schmerz gelindert wird,
eine Schuld vergeben,
eine Sehnsucht erfüllt.
Eine Tochter, die wiederkommt, nach langen Jahren,
ein Freund, der verzeiht, was zum Streit geführt hat.
Simeon wartet, wartet mit Unruhe und findet keinen Frieden.
Lass mich nicht sterben, Gott, wird er gebetet haben.
Lass mich nicht  vorher sterben.
Simeon wartet auf den Trost Israels, einst vom Propheten Elia prophezeit.
Er ist einer, der erwartet, dass das zu seinen Lebzeiten geschieht, wonach sich sein Volk seit Jahrhunderten sehnt.
Er erwartet, dass Gott ihn hört.
Was für ein Selbstbewusstsein!
Ich, ich will das.
Ich will das erleben.
Ein alter Mann als Sprachrohr für sein Volk.
Ich ertrage es nicht, mein Volk im Unglück zurückzulassen,
zu sterben und zu wissen, alles bleibt beim Alten.
Ich muss zumindest wissen, dass es aufwärts geht,
berechtigte Hoffnung da ist.

Und nun hält hat Simeon das Kind in seinen Armen.
Ein Leben, ganz am Anfang.
Er wird nicht erleben, wie dieses Kind aufwächst und welche Wege es geht,
aber es ist genug für ihn: Der Retter ist da.
Nun kann ich in Frieden sterben.
Das muss ins Bild.
Unbedingt.
Sehnsucht und Erfüllung in einem.
Simeon hält das Kind auf dem Arm und mit seinen durch Hoffnung geschärften Augen weiß er genau, was er sieht.
Er weiß, er steht in diesem Augenblick im Mittelpunkt der Welt
und mit diesem Baby hält er den Schlüssel zum Frieden auf dem Arm.
Das sagt er den Eltern.
Da ist nichts mehr mit Seligkeit und Blindheit vor Liebe.
Wie groß auch die Erwartungen der Eltern für ihr Kind sein mögen,
sie werden korrigiert.
Simeon ist nicht blind in seiner Hoffnung.
Er sieht das Schwert, dass dieses Kind seinen Eltern ins Herz stoßen wird,
er sieht die Kämpfe, die dieses Kind gegen viele führen muss
und für die es keine Waffen mit auf den Lebensweg bekommt,
nur Liebe und den Mut, den Weg dieser Liebe zu gehen.
Auch das muss ins Bild.
Der klare Blick des Simeon
und die erstaunten, erschrockenen Blicke der Eltern,
die das nicht fassen können.
Ihr Sohn? Der künftige Retter?
Ist der Alte durchgedreht?

Doch noch ein alter Mensch kommt dazu.
Hannah.
Vor Urzeiten war sie mal verheiratet, 7 Jahre lang.
84 Jahre alt ist sie, berichtet die Bibel, genau wie selten,
eine Asketin, die Tag und Nacht im Tempel lebt
fastet und betet,
eine Frau, ja, aber sie wird ernst genommen durch ihre untadelige, aufopfernde Lebensweise.
Ein erfülltes Leben hat sie nicht gehabt, wie sie damals für Frauen vorgesehen waren,
keine Kinder, keine Enkel,
niemand, der für sie sorgt.
Sie lebt von dem, was ihr im Tempel gegeben wird.
Prophetin wird sie respektvoll genannt,
eine Botin Gottes.
Die Menschen hören auf sie.

Auch Hannah wartet.
Wartet auf den Augenblick, da Hoffnung aufscheint, weil er kommt, der Langerwartete.
Und als er da ist, erfüllt sie ihre Aufgabe und tut, was der alten Simeon nicht mehr schafft,
sie sorgt dafür, dass die Nachricht von dem Kind und der Hoffnung unter die Leute kommt
sie, die Prophetin, predigt den Menschen mit Vollmacht.

Weihnachten ist vorbei.
Noch steht der Baum in vielen Wohnungen, aber bald wird er abgeschmückt.
Und auch die Krippenfiguren werden eingepackt, bis sie nächstes Jahr wieder zum Leben erwachen:
Die Hirten, die Tiere, die Könige, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe, der Stall.
Ein Bild mit seiner eigenen Botschaft, das ich nicht missen möchte.
Doch auch dieses andere Bild ist mir wichtig geworden beim Nachdenken über die Geschichte von Simeon und Hannah.
Diese vier Menschen auf den Stufen des Tempels, wo ein Kommen und Gehen herrscht.
Alltag.
Keiner der vier ist besonders wichtig.
Niemand achtet groß auf sie.
Und auch wenn die Bibel die Weisheit des Alters preist,
so sehen die Menschen dort alte Menschen nicht viel anders  als wir heute.
Die haben ihre Geschichte hinter sich.
Die brauchen nur noch Hilfe und Unterstützung,
die geben kaum noch etwas.
Kaum einer rechnet da noch mit einem Neuanfang oder dass sie dazu maßgeblich beitragen können.
Auch die frischgebackenen Eltern werden erleben, was alle Eltern erleben:
Sie werden ihr Kind aufwachsen sehen,
es begleiten durch die Kindheit und Jugend.
Sie werden dafür sorgen, dass ihr Kind den Platz einnimmt,
den sein Geschlecht, seine Herkunft ihm zumessen,
im Falle Jesu: Zimmermann auf den Baustellen der Reichen, der Römer,
Mensch ohne Landbesitz, der sich durchschlagen wird wie sein Vater Josef auch.
Dieses Bild korrigiert Gott.
Lasst euch nicht klein machen, mahnt er.
Ihr, euer Leben steht im großen Horizont der Geschichte der Welt.
Gebt euch nicht zufrieden, mit dem was ist, mit dem, was ihr habt.
Wartet, wartet auf mehr.
Lasst eure Erwartungen nicht begrenzen,
nicht von dem Bild, das die Menschen sich von euch machen,
nicht von der Rolle, die man euch zuspricht,
auch nicht von dem Alltag, der die Hoffnung begrenzt.
Wartet,
erwartet alles für euch, für diese Welt.

Weihnachten – das zeigen der alte Simeon und die alte Hannah –
Weihnachten – das ist ein Fest des Wartens.
Warten auf den Moment der Erfüllung.
Sich nicht zufrieden geben mit weniger.
Ein Fest des Wartens und der korrigierten Erwartung.

Vielleicht könnten wir im nächsten Jahr doch etwas ändern,
ohne gleich in ein neues Weihnachtsbild zu investieren:
Stellen wir die Engel ein wenig in den Hintergrund.
Stellen wir an ihre Stelle Bilder von Menschen des Alltags, die predigen,
Müllleute und Lehrerinnen,
Verkäufer und U-Bahn-Fahrer,
Beamte und Fabrikarbeiter,
Menschen der verschiedenen Erdteile,
Arme und die Reichen dazu,
Mütter und Väter auf den Spielplätzen,
denen die Hoffnung die Langeweile und den Stumpfsinn ihrer Tage ausgetrieben hat,
und Simeon und Hannah als Vertreter der Menschen, die wir uns angewöhnt haben „Senioren“ zu nennen,
alle mit strahlenden, klaren Augen, weil sie einen Lichtstreif am Horizont sehen,
alle mit aufrechter Haltung, weil sie wissen, wie wichtig sie sind,
jeder und jede einzelne.
Der Himmel öffnet sich, nicht weil Engel kommen,
sondern weil diese Menschen sich zutrauen zu sehen,
in einem gespendeten Mantel oder Euro die Stillung des Hungers und der Not der Welt,
in einem Handschlag der Versöhnung, in einer Geste der Vergebung die Versöhnung der Welt,
in einem Kind der Liebe den Weg zum Frieden für alle.
Der Himmel öffnet sich, weil diese Menschen bereit sind,
ihr Leben nach dieser Hoffnung auszurichten
Sie wissen, ihre Gesten sind wichtig und  ein Anfang und sie erwarten mehr, viel mehr.

Was erwartet Ihr?
Für euch und für die Welt?
Glaubt ihr, dass es wichtig ist für die ganze Welt,
dass ihr leidet an der Gewalt und dem Unfrieden, der uns tagtäglich vor die Augen und Ohren kommt?
Glaubt es, denn euer Mitgefühl ist die Kraft, die Gewalt überwinden kann.
Glaubt ihr, dass es wichtig ist für die ganze Welt,
dass wir hier sind und zusammen Gottesdienst feiern?
Glaubt es, denn das Lob Gottes des Schöpfers ist es, das die Welt dazu bringt, das Leben wertzuschätzen.
Jedes Leben.
Glaubt ihr, dass es wichtig ist für die Welt,
wenn ihr für ein Jahr in ein anderes Land geht und ein bisschen lernt und ein bisschen helft?
Glaubt es, denn durch euch atmet auch Gott etwas leichter, weil etwas aufscheint von dem, was er will, für alle auf dieser Welt.
Glaubt ihr, dass es wichtig ist, wenn ihr eurer Nachbarin beim Tragen helft,
eurer Schwester, eurem Bruder, euren Eltern, eurem Kind die Hand zur Versöhnung reicht?
Glaubt es, denn ohne diese Gesten wird die Welt keinen Schritt vorwärtskommen.
Nur: Legt auf jeden Fall eure Bescheidenheit ab und redet darüber!
Werdet zu Botinnen und Boten des Friedens Gottes, wie Hannah!
Weckt Erwartungen!
Bestärkt die, die auf mehr warten, als auf den Schulabschluss, das Gehalt, die Rente, den Abend eines Tages oder eines Lebens.
Weckt Erwartungen auf den Frieden auf Erden,
damit Weihnachten werde auf der ganzen Welt.
Wann?
Nächstes Jahr natürlich.
Auf jeden Fall beginnt es mit uns, zu unseren Lebzeiten.
Das erwarten wir, Gott.
Hörst du?
Amen.