Samstag, 19. Dezember 2015

Titus 3, Predigt zum 1. Weihnachtstsag 2015


Es ist hell geworden
Predigt am 1. Weihnachtstag zu Titus 3, 4-7

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Es ist hell geworden.
Die Nacht ist vorbei.
Die Hirten sind zurückgekehrt.
Sie sitzen wieder bei ihren Schafen.
Die Freude klingt noch in ihnen nach.
Hell ist es in ihnen geworden.
Ein Junge kommt angelaufen.
Der Sohn eines Herdenbesitzers.
Er bringt etwas zu essen im Auftrag seines Vaters und schaut erstaunt in die leuchtenden Gesichter.
So kennt er sie nicht.
Härte kennt er von ihnen.
Bitterkeit.
Raues Lachen kennt er, wenn sie ihre Späße machen.
Wohl auch mal ein gutmütiges Klopfen auf die Schulter,
wenn ihnen der Inhalt des Korbes gefällt.
Aber dieses Lächeln, mit dem sie auf ihn schauen, ist ihm fast unangenehm.
So liebevoll, glücklich und offen hat er noch nie jemanden schauen sehen.
„Was ist los?“, fragt er.
„Setz dich“, antwortet einer der Hirten. „Lass dir erzählen.“
Er öffnet den Korb und teilt das Essen aus.
Auch der Junge kriegt etwas ab.

„Ich weiß nicht genau, was es war, das da über uns kam letzte Nacht“,
beginnt der Hirte mit bedächtiger Stimme und schluckt den ersten Bissen herunter.
„So oft habe ich in den Nächten auf dem Feld in den Himmel geschaut.
Sternenübersät.
Weite, die das Auge nicht fasst.
Und ich sah das Licht Gottes, das sich seit dem ersten Tag müht, zu uns zu kommen
und immer wieder Halt macht,
vor der Enge unseres Lebens,
vor Bosheit und Hass, voll Gewalt und Neid.
Und ich – wir - mitten drin, auch nicht besser als die anderen.“

Der Junge zieht die Augenbrauen hoch.
Das ist er von ihnen nicht gewöhnt.
Woher hat ein Hirte  solche Worte?
Aber sie rühren etwas an in ihm.
Die Skepsis weicht aus seinem Gesicht.
Etwas scheint passiert zu sein.
Er hört weiter zu.

„Und dann, plötzlich“, fährt der Hirte fort,
„war etwas Helles, Glitzerndes in der Luft.
Ein Lächeln am Himmel, das sich ausbreitete.
Ein warmer Regen von Freundlichkeit und Mitgefühl kam auf uns nieder
und die Wärme erfüllte uns ganz.
Gottes Worte drängten sich in unsere kleine Welt,
in Schafgeruch und kühlen Nachtnebel.
Friede auf Erden, sang es, Friede allen Menschen.
Töne von weit her, auf einmal so nah.
Engelsworte luden uns ein, von der Furcht zu lassen und Gottes Geschenk zu öffnen,
dort in der Krippe in Bethlehem.

Engel?, denkt der Junge erstaunt, ‚und Krippe?’
‚Richtig, es sind Leute gekommen.
Haben im Stall geschlafen.
Aber...’
Doch der Hirte redet schon weiter.

„Klänge  der Hoffnung lagen in der Luft.
Die  Netze der weglosen Wege zerrissen.
Wir standen auf.
Angezogen von Ihm. Gerufen. Geholt.
Wir konnten gar nicht anders als zu laufen, zu rennen.
Wir folgten der Lichtspur der hellen Worte bis in den Stall.
Wir sahen das Kind, gerade geboren.
Und wussten: Es stimmt, was wir da auf dem Feld hörten:
Friede, es darf wirklich Friede sein in aller Welt.
Gottes Ja erfüllte in unser Herz.
An den Hindernissen vorbei, durch unsere bitteren Erfahrungen hindurch und durch die Leere. Mitten ins Herz.
Wir verstanden: Gott hat einen großen Schritt gemacht, auf uns zu in dieser Nacht.
Uns hat er gemeint und alle anderen auch.
Sein Friede für alle, für alle Welt.
„Das geben wir weiter, versprachen wir uns.“
Und die anderen Hirten in der Runde nickten. „Wir geben es weiter, das Licht dieser Nacht.“
‚Ihr’, denkt der Junge, ‚ihr’?!
Sein Staunen muss ihm vom Gesicht abzulesen sein.
Denn einer der Hirten lächelt ihn an:
„Wir schaffen das“, sagt er. „Es ist hell geworden. Die Nacht ist vorbei.“

Alle schweigen.
Auch der Junge.
Es ist immer noch etwas in der Luft, das spürt er.
Etwas singt und breitet sich aus. Auch in ihm.
Irgendetwas Helles,  Freundliches, das ihn öffnet, für Gott und die Welt.
Worte hat er noch nicht dafür.
Vielleicht gibt es dafür auch keine Worte.
Aber es gibt Musik.

Orgelimprovisation (Hinweise für den Organisten): Z.B. Über „Brich an du schönes Morgenlicht“ (EG 33) oder „Der helle Morgenstern ist aufgedrungen“ (EG 69)  Wenn ich mir was wünschen darf: Eine Mischung von zart und gewaltig, so eine Mischung von Jauchzet, frohlocket und Bereite dich Zion, viel Dur...

Es ist hell geworden.
Die Nacht ist vorbei.
Das haben Menschen immer wieder erlebt, wenn sie Jesus begegnet sind.
Dieses Leuchten, diese Freundlichkeit haben sie erlebt,
wenn er redete, sie anrührte, lächelte.
Sie haben gespürt: Friede, es darf wirklich Friede sein in dieser Welt.
Von Gott her kommt dieser Friede auf uns zu – trotz aller
Bosheit und Gleichgültigkeit, trotz blindem Hass und Verblendung.
Wir schaffen das, sagen sie.
Wir werden getragen von der Liebe, die diesen Frieden wünscht, mehr als alles andere. Wir haben es mit Jesus erlebt.
Und das haben sie weiter gegeben.
Und immer neue Geschichten und Worte dafür gefunden.
Wie zum Beispiel die Worte, die einer im Titusbrief gefunden hat, im 3. Kapitel.

Lesung: Titus 3, 4-7

„Als aber erschien die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters, hat er uns aus der Verstrickung (in Bosheit und Hass und Neid, (V 3)) gerettet, nicht, weil wir gerechte Taten vollbracht hätten, sondern allein, weil Gott Mitgefühl und Erbarmen mit uns hatte.
So hat uns Gott gerettet durch das Bad der Wiedergeburt, erneuert durch die Heilige Geistkraft.
Diese hat Gott reichlich über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unsern Retter, damit wir, durch dieses Geschenk gerecht geworden, und das ewige Leben erben, das wir erhoffen.“

Es ist hell geworden.
Die Nacht ist vorbei.
Reichlich ausgegossen wurde Gottes Geist.
Reichlich ausgegossen in unsere Herzen.
Und wir dürfen baden in seiner Menschfreundlichkeit.
Und hoffen, dass das Mitgefühl, das Gott mit jedem von uns hat, Kreise zieht.
Auch durch uns.

Wir haben gefeiert letzte Nacht.
Haben gesungen und gegessen,
haben Freude getauscht,
die Freude ein Geschenk zu machen und die Freude, von anderen bedacht zu werden, zu spüren, dass wir füreinander ein Geschenk sind.
Weihnachten,
eine Zeit, in der es so schön ist, wenn Freundlichkeit Raum hat.
Und so schmerzhaft, wenn das nicht gelingt
und Hass und Gewalt weiter gehen.
Schmerzhaft, wenn Missstimmung die Freude trübt.

Aber wir erleben auch das Neue, Helle.
Wir erleben, wie weit der Raum wird, wenn wir offen und freundlich sind.
Grenzen gehen auf, weil Menschen in größter Not vor den Grenzen stehen.
Wir beginnen, nicht Menschenmassen zu sehen, sondern Mensch für Mensch. Jede Frau, jeder Mann und jedes Kind ist ein Mensch, den Gott meint und liebt. Mindestens dies ist möglich.
Vom Krieg und Terror gehetzte Menschen wurden willkommen geheißen.
Das war noch keine geordnete Lösung.
Aber es war ein warmes Bad in der Freundlichkeit.
Ich meinte, dahinter und darin immer wieder Gott sehen zu können, wie er mit großen Schritten und einem liebevollen Lächeln auf uns zugeht.
Welche Freude, welches Geschenk auch für uns, dieses Bad in der Freundlichkeit!

Gott geht mit großen Schritten und einem liebevollen Lächeln auf uns zu.
Und immer wieder lassen Menschen sich von der Menschenfreundlichkeit Gottes einladen und gehen selber den nächsten Schritt.
Und spüren, das ist meine Rettung, das ist unsere Rettung, wenn wir der Freundlichkeit nachgeben.
Denn das ist es, was am Ende zählen wird, Güte und Freundlichkeit.

Menschen gehen den nächsten Schritt.
Hirten sitzen da mit erleuchteten Gesichtern.
Worte, die man von ihnen noch nicht gehört hat, kommen aus ihrem Mund.
Ein anderer verlässt seinen Lehrstuhl, weil er sich von Christus nach Afrika gerufen fühlt. Sein Hospital in Lambarene gibt es noch immer. Mehr als 100 Jahre ist es hier. Ein helles Lebenszeichen von Bethlehem her.
Eine kommt in ihrer Freizeit wochenlang in die Olympiahallen und empfängt die, die so lange auf der Flucht waren, gibt Essen, Kleidung und ein Lächeln aus.
Vielleicht können nicht alle bleiben; aber das spielt jetzt keine Rolle.
Denn für Nächstenliebe gibt es keine Grenze, erst recht keine Obergrenze.
Und keine Tat der Liebe ist vergeblich.

Sie oder er hat ein gutes Herz, sagen wir manchmal.
Und dürfen das selber sein.
Menschen mit einem guten Herzen.
Gott hat all seine Güte in unser Herz gelegt.
Jesus hat uns für diese Güte geöffnet,
dass wir nicht bei uns selber stehen bleiben, sondern mit offenen Händen austeilen,
austeilen dürfen,
ohne Ende.

Die Nacht ist vorbei.
Es ist hell geworden.
Es darf Friede sein.
Die helle Musik dieser hoffnungsvollen Nacht zieht uns weiter
Hilft uns auf die Beine wie den Hirten auf dem Feld.
Sein Friede zieht Kreise.
Beschenkt gehen wir weiter.
Ziehen unsere Kreise. Seine Kreise.
Güte und Menschenfreundlichkeit tragen wir in uns,
geben wir weiter.
Die Nacht ist vorbei.
Es ist hell geworden.
Immer noch:
Etwas Glitzerndes ist in der Luft.
Gottes Lächeln, das sich ausbreitet.
In uns.
Amen.

Lied: Sing jubilate 4 Gott aus Gott und Licht aus Licht (nicht zu schnell, damit die Leute mitkommen)


Samstag, 14. November 2015

Mt 25, 31-46 Vorletzter Sonntag 2015


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Der Schuster Wilhelm Voigt  blickt auf ein verpfuschtes Leben zurück.
Im Knast hat er gesessen. Um 300 Mark ging es.
15 Jahre hat man ihm dafür gegeben.
18 war er damals.
Und dann kamen nochmal zwei Jahre für Urkundenfälschung dazu, als er seine Vergangenheit löschen wollte.
Davon erzählt Carl Zuckmayer in seinem Hauptmann von Köpenick.
Aber Wilhelm will nicht aufgeben.
Er hat keinen festen Wohnsitz.
Die Ausweisung aus dem damaligen Preußen droht ihm.
Keiner will ihn arbeiten lassen, keiner gibt ihm einen Platz in der Welt.
Wilhelm will sich nicht damit abfinden.
Er stellt sich das Ende seines Lebens vor und sagt:
„Und dann, dann stehste vor Gott, dem Vater, der alle aufjeweckt hat, vor dem stehste dann, und der fragt dir,
ins Jesichte:
Willem Voigt, wat haste jemacht mit deinem Leben?
Und da muß ick sagen: Fußmatten, muß ick sagen, die hab ick jeflochten im Jefängnis.
Und dann sind se alle drauf rumjetrampelt .
Und zum Schluß haste jeröchelt und jewürgt um das bißchen Luft, und dann war´s das.
Det sachste vor Gott.
Aber der sacht zu dir: Jeh weck, sacht er! Ausweisung! Sacht er.
Dafür hab ick dir das Leben nicht jeschenkt! Sacht er.
Du bist mir dein Leben schuldig jeblieben.
Wo is et? Wat haste mit deinem Leben jemacht?“

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden.

Großer Bahnhof wird sein an dem Tag, an dem Gott die Welt richtet, sagt Jesus
und führt seinen Zuhörern ein großartiges Kino vor mit dem Titel:
Wenn der Menschensohn kommt.
Sie sehen einen Richterstuhl, hoch oben und Jesus sitzt dort.
Er ist nicht wieder zu erkennen,
der Wanderrabbi, der mit ihnen unterwegs war auf den staubigen Wegen Galiläas
und der jetzt an einem seiner letzten Tage mit ihnen auf dem Ölberg sitzt, hier in Jerusalem.
Weißes Licht, himmlischer Glanz hüllt ihn ein.
Engel, wohlgemerkt alle Engel, stehen ihm zur Seite.
Gott hat ihn eingesetzt als Richter über alle Welt.
Er sitzt auf dem Richterstuhl und vor ihm die versammelte Menschheit,
alle Völker, alle Menschen, die leben und jemals gelebt haben sind da.
Es ist still.
Die Menschen haben Angst. Manche sehr zu Recht.
Alle wissen, der Tag ist da.
Und er wird das Urteil über die Welt sprechen.
Großes wird erwartet.
Der Himmel ist geöffnet, da wird die Erde nicht bleiben, wie sie ist.
Der da sitzt hat alle Macht der Welt, das sehen sie.
Er kann mit einem Fingerschnipsen die Kontinente verschieben,
Meere aufschäumen.
Er kann Feuerflammen schicken oder auch Manna vom Himmel regnen lassen.
Was wird er tun?
Er tut nichts. Nichts Großartiges.
Er gruppiert die Menschen etwas um.
Die einen sortiert er zur Rechten und die anderen zur Linken.
Das war’s.
Die Menschen sind verwirrt.
Da ist keine Ordnung mehr zu erkennen.
Eine bunte Mischung von Menschen aller Nationalitäten und Religionen, von arm und reich steht auf der einen und auf der anderen Seite.
Was soll das?
Jesus wendet sich denen zur Rechten zu und lächelt und sagt:
Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.
Euer Tun zeigt, wie die Welt eigentlich sein soll. Ihr seid gesegnet. Ihr zeigt den Weg zum Leben.“
Und das Licht, das ihn umhüllt, fließt auf diese Menschen zur Rechten über.
Aber die Verwirrung legt sich nicht.
Was haben wir schon getan, das wir das verdienen?
Und auch die zur Linken wissen nicht, womit sie es verdient haben,
das Dunkel, das sich um sie herum ausbreitet  und einhüllt in dichten Schwaden.
D.h. sie wissen es schon, aber eigentlich, denkt einer, gehört doch der  mit der Supermarktkette nicht auf die rechte Seite. So ein reicher Schnösel. Warum stehe ich hier? Habe doch nichts wirklich falsch gemacht. Sogar meine Steuern habe ich bezahlt.
Jesus sieht die Verwirrung und stellt den Menschen eine einfache, eine sehr persönliche  Frage:
„Wat haste mit deinem Leben jemacht?“
Und bevor sich ein Stimmengewirr erheben kann und jeder seine persönlichen Lebenslage schildern und erklären kann, hebt Jesus abwehrend die Hand und deutet auf den Boden:
Die Menschen folgen seinem Finger und sehen Bilder,
Bilder von Menschen im Gefängnis in Isolierhaft,
Hungernde am Wegesrand,
Kranke in den Betten,
erschöpfte Fremde, die an Türen klopfen,
Durstige, die sich um ein ausgetrocknetes Wasserloch drängen,
Menschen mit zerfetzter Kleidung am Leib, die sich gerade aus einem zerstörten Haus in Damaskus retten.
Alle blicken zu Jesus mit der stummen Frage: Was soll das?
Und Jesus zeigt wieder nach unten.
Und sie sehen eine Hand, die einen Becher reicht,
sie sehen eine Tür die sich öffnet und jemand bittet den Fremden herein,
sie sehen einen zerwühlten Kleiderschrank und einen, der liebevoll die besten Stücke herausnimmt, um sie zu verschenken.
Der eine auf der dunklen Seite sieht den Supermarktbesitzer an einem Tag den vorbeilaufenden Flüchtlingen Kekspackungen und ein freundliches Lächeln mit auf den Weg geben.
Das Licht breitet sich aus über die Erde,
immer weiter,
bis jede Erinnerung an Hunger und Gewalt und Leid verschwunden ist.
Die Menschen schauen ergriffen auf diese helle Welt,
in der sich Frieden auf die Wiesen und Berge, auf die Wüsten und Meere,
auf die Städte und Dörfer legt wie ein warmer Lufthauch.
Die Stimme von Jesus holt sie zurück, die Menschen zur Rechten und die zur Linken, die nun betroffen zu Boden blicken.
Was ihr einem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr auch mir getan, erklärt er.
Und fügt hinzu und wir wissen nun, woher Carl Zuckmayer seinen großartigen Satz hat:
Erst kommt die Wanze, dann die Wanzenordnung.
Erst kommt der Mensch, dann die Menschenordnung.
Die Bilder verblassen.
Die Jünger und die anderen, die sich um Jesus versammelt haben, kehren wieder zurück in die Wirklichkeit.
Sie sind wieder auf dem Ölberg, in der Stadt Jerusalem.
Jesus schaut in die Gesichter und seufzt.
Er weiß, sie werden ihren Weg weitergehen.
Sie werden sich immer wieder Mühe geben und versuchen auf dem Boden zu bleiben.
Sie werden versuchen, dem anderen ein Mensch zu sein, mit offenem Herzen und offenen Händen.
Das macht ihm Mut.
Er will daran glauben, dass sie tun, was in ihrer Macht steht, das Gute tun und dadurch anderen Mut machen. 
Er will und er kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass Gewalt und Tod weichen.
Jesus seufzt wieder.
Aber Gott wird dennoch ein großes Herz haben müssen, wenn er ihnen verzeihen will, was ihnen sonst noch einfällt.
Und Jesus wird seinen Weg weitergehen und weitergehen müssen,
wird Mensch unter Menschen bleiben, wird dem Tod begegnen,
dem Gott mit Leben und Vergebung antwortet,
damit der Weg der Menschen weitergehen kann
und die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit nicht stirbt,
sondern im Bereich des Möglichen bleibt. Für alle.

Volkstrauertag.
Ein Volk trauert in diesen Tagen, unter Schock.
Und viele Menschen in der Welt schauen mit Entsetzen auf Paris.
Und mit Angst.
Wieder ist deutlich geworden:
Keine Macht und keine Ordnung der Welt können verhindern,
dass Menschen morden und zerstören.
Der einzelne Mensch hat eine Macht, die keine Menschenordnung bezwingen kann,
die Macht das Gute zu tun und die Macht zum Bösen.
Die Nacht von Freitag auf Samstag hat uns Bilder  aufgezwungen, 
Bilder wie aus einem Horrorfilm im Kino.
Aber das war kein Kino.
Menschen haben gemordet, erbarmungslos und ohne einen Funken Mitgefühl im Herzen.
Viele junge Menschen sind gestorben.
Sie werden keine Chance mehr haben, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Sie sind an Orten gestorben, an denen sie sich sicher fühlten,
bei einem Konzert, in Bars, vor einem Fußballstadion.
Großer Schmerz und große Trauer sind die Folge und wieder einmal das sichere Wissen:
Das kann überall geschehen.
Keine Macht, keine Kontrolle,
kein Militär und keine Ordnung der Welt können verhindern, dass Menschen morden und zerstören.
Auch wenn Präsident Hollande starke Worte findet:
„Wir werden den Kampf anführen. Wir werden gnadenlos sein.
Frankreich wird sich von dieser Barbarei nicht beeindrucken lassen.“,
so sind doch der Schmerz und die Hilflosigkeit, die aus diesen Worten sprechen, überdeutlich.
Irgendetwas tun, wo doch nichts mehr getan werden kann,
Grenzen schließen, den Notstand ausrufen.
Hilflose Gesten eines Landes, das große militärische Macht hat und einsetzt und keine Möglichkeit hat, solche Taten zu verhindern.
Genauso wenig wie wir.

Das Traurige ist: So sehr uns diese Ereignisse schockieren, sie sind nichts Neues.
Jeden Tag ergeht es Menschen so.
Bomben und Schüsse fallen in vielen Ländern dieser Welt.
Aber sie fallen nicht auf Länder.
Sie fallen immer auf einzelne Menschen.
Sie töten und zerstören junge und alte Menschen. Jeden Tag.
Sie sähen Verzweiflung und Trauer und Hass. Jeden Tag.
Krieg und Terror sind auch letzte Woche schon ein Teil der Welt gewesen.
In Beirut beispielsweise vor vier Tagen  ein Doppelanschlag, auch von der IS.  41 Tote.
Auch die Gewalt, die von westlichen Staaten ausgeht, gehört dazu,
die nicht tatenlos zusehen wollen und können, wie der IS mordet,
aber auch wissen, dass ihre Gewalt immer wieder neue Gewalt gebären wird.

Wir stehen davor und sind hilflos.
So ein großer Schmerz, wie ihn die Menschen in Paris oder auch Beirut in diesen Tagen empfinden, macht stumm.
Wir sind uns bewusst, dass wir als einzelne Menschen nicht die Macht haben, so etwas zu verhindern.
Wir können auch nicht das Morden im Libanon, dem Irak und in Syrien aufhalten.
Aber wir können etwas tun,
mit unserer kleinen Kraft und unserer großen Macht, die Gott jedem Menschen zugestanden hat:
Wir können wählen.

Wir können der Angst und dem Hass nachgeben,
uns vergiften lassen von den Gewalttaten der anderen,
indem wir Gewalt zurückgeben oder zumindest misstrauisch und abwehrend werden gegenüber allem, was uns verunsichert.
Das wird ein Weg sein, den Menschen nach diesen Tagen wählen werden.

Wir können schweigen und den Schmerz und die Hilflosigkeit aushalten und mit unserem Mitgefühl bei denen sein, die trauern und verzweifelt sind.
Und wir können uns in dieser Stille von Jesus fragen lassen:
Wat machste aus deinem Leben?
Und dabei wissen:
Er will trotz allem,
trotz der Kriege und des Unrechts der Vergangenheit und Gegenwart,
dass wir auf diese helle Welt blicken, die er uns gezeichnet hat,
in der sich Frieden
auf die Wiesen und Berge,
auf die Wüsten und Meere,
auf die Städte und Dörfer legt wie ein warmer Lufthauch
und der Mensch dem anderen ganz einfach ein Mensch ist,
vor jeder Ordnung.
Er will, dass wir ihm nachfolgen.
Amen



Donnerstag, 12. November 2015

Jahreslosung 2016 Jes 66, 13 für den Gemeindebrief


Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jes 66,13
Da kommt jemand, weinend, traurig, verzweifelt und weiß nicht aus noch ein.
Komm, setz dich doch erst mal her zu mir. Das sagt einer, das sagt eine, die Trost spenden will. Ein guter Anfang um zu trösten, aber ein guter Anfang für das neue Jahr?
Der 1. Januar ist nur ein Datum, aber bringt uns doch immer wieder in Schwung. Mich jedenfalls. Zumindest fasse ich gute Vorsätze wie viele andere auch. Und dazu diese Jahreslosung? „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Da will ich gerade mit Blick auf das Neue Jahr loslegen und werde jäh gebremst. Gott legt mir die Hand auf die Schulter und sagt: „Komm, setz dich doch erst mal her zu mir. Ich will dich trösten. Wie eine Mutter“.
„Das ist gut gemeint, Gott“, erwidere ich. „Aber ich  brauche momentan keinen Trost.“ Aber Gott ist anderer Meinung. Also seufze ich und setze mich zu ihm auf die Parkbank.
„Und jetzt?“, frage ich. „Schau dir das an“, fordert er mich auf, „ist das nicht trostlos?“
Und er zeigt mir das Elend der Welt. Wohlgemerkt: Das ganze. Menschen, die auf der Straße leben, Flüchtlinge an Grenzen Europas und kurz vor dem Aufgeben, Menschen in Eritrea, die den Weg aus der Diktatur nicht schaffen und gefoltert werden, schmelzende Polkappen. Nichts lässt er aus.
„Aber Gott!“, rufe ich empört. „Du willst der Gott allen Trostes sein, von dem Paulus so schwärmt, und jagst mich in eine Depression?“
Aber Gott hat Tränen in den Augen. Daher halte mich zurück und lege meine Hand auf seine. „Was ist denn?“, frage ich vorsichtig.
„Ich will euch trösten wie eine Mutter, euch nahekommen, alles aushalten, was euch schmerzt und euch Kraft geben durch meine Liebe.“, sagt er leise.
„Das wissen wir auch sehr zu schätzen, Gott“, versuche ich ihn aufzumuntern.
Aber er fährt fort: „Manchmal gelingt mir das auch.“
„Na, siehst du“, erwidere ich, „viele Menschen finden Trost durch ihren Glauben an dich. Du berührst ihr Herz, sie fassen neuen Mut. Geht mir auch immer wieder so! “
Aber Gott lässt sich nicht so einfach beruhigen. „Warum geben sie dann den Trost nicht weiter? Warum sind so viele ohne jegliches Mitgefühl, morden, quälen, lügen?“ „Naja, Gott“, sage ich erklärend, „traumatisierte Menschen können manchmal gar nichts mehr empfinden und daher...“
„Weil sich keiner mit ihnen hinsetzt“, unterbricht mich Gott streng. „Weil kaum einer Leid erträgt. Weil ihr nicht trösten könnt.“ „Na, na, na“, entgegne ich, aber Gott ist nicht zu bremsen . „Wer trösten will, muss ein Interesse am anderen zeigen, das von Herzen kommt. Er muss es wagen, eine Beziehung einzugehen. Wenn du eine Flüchtlingsfamilie richtig kennen lernst, dann wirst du nicht mit den Achseln zucken und sagen: Sollen sie doch froh sein, dass sie in der Notunterkunft gelandet sind.“ „Das sage ich doch gar nicht!“, rufe ich empört. „Interesse, Beziehung und Berührung.“, fährt Gott streng fort. „Du bist wie viele hier in Deutschland etwas verklemmt“, sagt er und hält mich fest, als ich erbost aufstehen will. „Weniger reden und mehr aushalten und jemanden in den Arm nehmen. Schau, so.“ Und er legt den Arm um mich. Ehrlich gesagt,  es war  wunderbar. Es war so ein Gefühl von: Jemand ist ganz und gar auf meiner Seite. Und hält mich aus, auch meine Zweifel und Ängste. Denn natürlich liegt auch mir einiges auf der Seele. Und Gott war ganz bei mir, hat mich nicht mit einem „Das wird schon wieder“ abgespeist“, sondern – ich kann es nicht anders ausdrücken – seine Zuneigung und Zuversicht mitten in mein Herz gelegt.
Danach schaue ich ihn an. „Na“, frage ich ihn, „zufrieden?“ „Ja“, erwidert Gott lächelnd.  „Jetzt geh und bringe andere zum Hinsetzen. Und presche nicht immer  so schnell weiter.“ „Ich versuch’s“, verspreche ich seufzend.
Gott tröstet wie eine Mutter. Er setzt sich mit uns hin und schaut nicht weg.  Er schafft das, was wir oft nur ungenügend schaffen: Von Herzen Anteil nehmen, ganz nah bei jemandem zu sein und ihn, sie an der Hand zu nehmen oder auch in den Arm. Und er möchte, dass wir das von ihm lernen und weitergeben.
Jemandem sagen: „Komm, setz dich doch erst mal her zu mir.“ Und sich Zeit nehmen und zuhören, und aushalten, auch mal den Arm um jemanden legen, eben trösten.
Das taugt durchaus als Vorsatz für das Neue Jahr, finde ich.
In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich, Susanne Dannenmann

Sonntag, 8. November 2015

1 Thess 5, 1-11 Drittletzter Sonntag 2015


1Thess 5,1-6(7-11)

Wir schauen und warten.
Blicken auf das gelobte Land,
eine Verheißung von Gerechtigkeit und Freiheit.
Ein Leben im Licht der Liebe Gottes.
Doch während wir schauen, rückt es weiter in die Ferne.
Einst war es zum Greifen nah.
Da war Er noch da und behauptete:
Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Er weckte unsere Träume vom Frieden in der Welt.  
Er lehrte uns glauben:
Jetzt ist die Zeit der Gnade und ihr seid die Friedensstifter mit Gott an eurer Seite.
Er heilte, er vergab und öffnete neue Wege, vielen von uns.
Er gab den Herzen Ruhe und Verzweifelten neuen Mut.
Wir erwarteten immer mehr,
Die ganze Welt wird sich durch ihn zum Guten verändert.
Das Reich Gottes ist mitten unter uns durch ihn.
Doch nun warten wir schon lange, warten in Thessaloniki.
Warten, dass er wiederkommt, wie er es versprochen hat.
Jesus ist tot, 30 Jahre schon.
Und wiedergekommen ist er nicht wie versprochen, um die Welt zu wandeln, ein für allemal.
Das Licht der Hoffnung, das er entzündet hat, weicht.
Wir spüren, wie die Finsternis eines „Es hat doch keinen Sinn“ in unser Leben dringt und seinen Geist verdrängt.
Die Gewalt der römischen Schwerter haben wir direkt vor der Nase, hier in Thessaloniki.
Römischer Friede?
Menschen sterben nach wie vor an römischen Kreuzen.
Paulus, fragen wir, wenn 30 Jahre ins Land gegangen sind, wer sagt, dass es nicht noch einmal 30 werden oder 50 oder 100 oder gar 1000?
Und Glaube, Liebe, Hoffnung – Sind das wirklich die Kräfte, auf die wir bauen können?
Was können wir noch erwarten?
Hast du nicht einen Plan B, wenn die Welt sich einfach weiter dreht,
erbarmungslos?
Und Paulus antwortet. Nein, hier gibt es keinen Plan B,
hier gibt es nur Plan A: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Punkt.
Das Reich Gottes kann jederzeit sichtbar für alle Welt anbrechen.
Also, Doppelpunkt:
Lebt weiter so, liebt, glaubt und erhofft alles von ihm,
lebt erwartungsvoll, als könnte Jesus jederzeit vor eurer Tür stehen und anklopfen.
Und Paulus schreibt ihnen:
Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. 3Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr –, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau und sie werden nicht entfliehen.
4Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. 5Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. 6So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.
7Denn die schlafen, die schlafen des Nachts, und die betrunken sind, die sind des Nachts betrunken. 8Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. 9Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, das Heil zu erlangen durch unsern Herrn Jesus Christus, 10der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. 11Darum ermahnt euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.

Sie schaut und wartet.
Schaut hinüber zum gelobten Land.
Unerreichbar fern ist es, auch wenn es nur 150 km nach Pensylvannien sind.
Sie erwartet etwas. 
Auf jeden Fall, dass es nicht so bleibt, wie es ist, so finster, so hoffnungslos.
So will sie nicht leben.
Ausgebeutet als Sklavin in Maryland, in den Südstaaten der USA.
Das Verderben kann schnell kommen,
das weiß sie,
eine Peitsche, ein Verkauf in eine andere Gegend, ungeachtet der Familienbindungen.
All das ist passiert. All das kann passieren. Auch ihr.
Aber: So muss sie nicht leben.
Denn Gott ist da und Gott kommt.
Ihre Mutter hat ihr von ihm erzählt,
dem kleinen Sklavenmädchen mit dem gebrochenen Kopf durch einen Stoß des Sklavenjägers.
Hat ihr den Kopf gefüllt mit Geschichten vom Land, in dem Milch und Honig fließen und Menschen frei leben.
Geschichten von Aufstand und Flucht,
Geschichten von Gottes Hilfe und Bewahrung,
Geschichten der Bibel im allgemeinen und von Moses im Besonderen.
Sie erwartet viel.
Und bleibt wach und nüchtern in der Verzweiflung des Jetzt.
Gott ist da und Gott kommt.
Auch in die Welt, in der sie lebt.
Gott will nicht die Finsternis, sondern ein Leben im Licht. Für alle.
Nichts muss so bleiben, wie es ist.
Und es wird nicht so bleiben.
Es gibt das gelobte Land, den Norden der USA.
Und es gibt einen Weg dorthin.
Ob sie das schafft?, fragt sie sich.
Sie heißt Hariet Tubman, lebt in den Südstaaten Mitte des 19. Jahrhunderts.
Ihr Leben lang war sie Sklavin.
Ausgeliefert den weißen Herren.
Aber nahe ist sie bei Gott, der ihr helle Bilder schickt,
Bilder einer neuen Welt, eines neuen Lebens.
Halluzination sagen die einen, Wahrheit, meint sie.
Und sie betet.
Erst kleine Gebete, dass ihre Familie zusammen bleiben darf.
Aber sie lebt mit Gott, und so werden auch ihre Bitten größer.
Der Tod des Plantagenbesetzers kommt darin vor.
Als der eine Woche später tatsächlich stirbt, bereut sie dieses Gebet.
Auch hat sich dadurch nichts zum Besseren gewandelt.
Die Herren wechseln, aber bleiben sich gleich.
Mit Gott an ihrer Seite wagt sie sich weiter.
Er ist Herr der Geschichte.
Er hält sich nicht an die Gesetze der Sklavenhalter und lässt sich auch vom Tod nicht aussperren.
Wo er ist, ist Licht und Hoffnung und Liebe.
Ihm ist jeder Mensch lieb und teuer.
Sie erwartet mehr, betet um Freiheit, ungeheuerlich, undenkbar.
Sie lebt nüchtern und wach, immer bereit aufzubrechen in ein neues Leben, den Gefahren zum Trotz,
sie gibt sich nicht dem Zorn hin, spart ihre Kräfte.
Dann kommt der Tag, den Gott ihr öffnet. Die Chance.
Und sie ergreift sie und geht los.
Auf den geheimen Wegen, der underground railroad, macht sie sich auf den Weg,
verlässt ihren Mann und ihre Geschwister für die große Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben.
Und schafft es über die Grenze nach Pennsylvanien , von der sie nie gedacht hatte, dass sie zu überwinden sei.
Sie erzählt.
Als ich merkte, dass ich die Grenze überschritten hatte, schaute ich auf meine Hände, um zu sehen, ob ich immer noch dieselbe Person war.
Es war alles so herrlich; die Sonne schimmerte wie Gold durch die Bäume und über die Felder und ich fühlte mich, als wäre ich im Himmel."

Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.   Ihr aber, liebe Brüder und Schwestern, seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme.
Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

In ihrem neuen Zuhause im Licht erfährt sie vom Leben in der Finsternis,
von dem drohenden Verkauf ihrer Nichte und deren Kinder.
Sie bleibt nicht stehen bei ihrer eigenen Freiheit, ihrem persönlichen Traum.
Sie erwartet mehr.
Von Gott und für ihre Leute. Für die Welt.
Sie kehrt als einzige Geflohene wieder zurück in die Finsternis,
trotz der Gefahr, als entflohene Sklavin gefasst zu werden.
Sie hilft den Menschen ihrer Familie zur Freiheit.
Und bleibt auch dabei nicht stehen, sondern steht fremden Sklaven bei und führt sie über den Underground Railroad sicher in die Freiheit.
Und scheitert nie.
Es ist, als ob Gott sie in jeder Lage schützt.
Ich war für acht Jahre Schaffnerin der Underground Railroad und ich kann von mir behaupten, was nur wenige andere Schaffner sagen können – ich habe meinen Zug nie entgleisen lassen und ich habe niemals einen meiner Passagiere verloren.

Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, das Heil zu erlangen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. Darum ermahnt euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.

Mit 93 Jahren stirbt sie im Jahr 1913 in Auburn, New York,
verehrt und bekannt als eine, die es wagte, von der Freiheit zu träumen
und nicht dabei stehen blieb,
sondern alles von Gott erwartete, für sich und andere.
Ihr Codename war Moses und bei dem Lied: Go down, Moses haben viele Afroamerikaner in den Südstaaten an sie gedacht und geglaubt:
Gott ist da und führt in das Licht der Freiheit. Heute. Jetzt.
Und wir singen es.

Lied: When Israel went to Egyptsland.

Wo schauen wir hin und mit welchen Erwartungen?
Wonach halten wir Ausschau?
Ihr seid alle Kinder des Lichts und Kinder des Tages behauptet Paulus und würde das sicher auch heute noch schreiben.
Gott traut uns alles zu, heißt das doch.
Und alles können wir von ihm erwarten.
Auch dass er kommt, wie ein Dieb in der Nacht oder vielleicht besser
wie ein unverhoffter Gast, der unser Leben und die Welt umkrempelt.
Nichts muss so bleiben wie es ist.
Das haben uns Menschen vorgelebt.
Wenn Gott kommt, dann wird es nicht so bleiben.
Wenn Gott kommt, kann keiner etwas dagegen tun.
Er erwartet, dass wir ihm die Tür öffnen.
Aber er lässt sich sowieso nicht aussperren.

Nicht von den Pflichten unseres Alltags.
Auch nicht von unseren Fragen.
Und von keiner Macht und keinem Sklaventreiber dieser Welt.
Die müssen weichen.

Wie sie schon gewichen sind, wenn Kinder des Lichts wie Harriet Tubman  ihnen die Stirn bieten in Seinem Namen.
Wenn er kommt, dann kommt auch sein Licht.
Und scheint auf alles.
Auch auf meine oft gedämpften Erwartungen,
wenn ich auf 2000 Jahre zurückblicke,
auf Kampf und Leid, an das mich der 9. November immer besonders erinnert
und ich mich frage: Warum Gott und wo warst du?
Eine befriedigende Antwort habe ich darauf in 52 Jahren nicht gefunden, gebe ich zu.
Aber ich frage mich auch:
Was wäre unser Glaube wert,
wenn wir nicht mehr alles von Gott erwarten,
wenn wir nicht mehr damit rechnen, dass Jesus schon heute oder morgen an unserer Tür steht und anklopft.
Er kommt, behauptet Paulus, unerwartet, lasst mich mit Zeiten und Stunden in Ruhe, ich sage euch, er kommt.
Er hat es versprochen. Also könnt ihr euch auf etwas freuen.
Erwartungsvolle Freude, das ist eure Haltung im Leben,
voller Freude auf Gott zuleben.
Eine Freude, die uns antreibt alles für diese Welt zu hoffen,
alles von den Menschen zu erwarten, auch das Gute.

Stellen wir uns das vor, diesen Tag, wenn er kommt oder diese Nacht.
Er kommt und klopft an unsere Tür.
Was für eine Freude! Und wie wir uns vorbereitet haben!
Jeden Tag rechnen wir schließlich damit.
Saubere Bettwäsche halten wir immer bereit, damit er es bequem hat.
Der Kühlschrank ist immer gefüllt.
Die wirklich wichtigen Dinge sind immer erledigt.
Denn wir wissen: Wenn Jesus kommt, dann brauchen wir spontan viel Zeit.
Zeit und Kraft.
Garantiert wird er mit uns zu den Flüchtlingsunterkünften gehen.
Wir kennen ihn doch.
Und zu den Baustellen unseres Lebens und der Welt.
Gemeinsam schauen wir uns die an und tun, was getan werden kann,
und er gibt uns die Hoffnung und den Glauben und die Liebe dazu,
verleiht unserer Sehnsucht nach Frieden Flügel.
An dem Tag werden wir das schaffen,
alle Schwerter werden zu Pflugscharen umgewandelt,
keiner hungert mehr, alle werden satt.
Er nimmt uns an der Hand, krempelt unser Leben und die Welt um.

So leben, als ob er morgen vor unserer Tür stünde,
so leben, als sei er mitten unter uns, so leben die Kinder des Lichts.

Menschen wie Harriet Tubman haben so gelebt.
Sie hat Gott eingeladen in ihr Leben,
ihm Raum gegeben für die wirklich wichtigen Dinge,
für Freiheit und Gerechtigkeit.
sie hat zu jeder Zeit, zu jeder Stunde damit gerechnet, dass Gott da ist und ihr Leben bewegt und ihr beisteht.
Sie hat sich nicht bei einem „Wenn er käme“ aufgehalten.
Sie war nicht blind gegen die Grenzen der Welt.
Und es war ihr klar, dass noch vieles im Argen ist und bleibt.
Aber sie hat die Grenze zu einem befreiten Leben mutig überschritten und andere mitgenommen, das getan, wozu Paulus die Gemeinde ermahnt:
Anderen beizustehen, als Kind Gottes, das schon in seinem Licht lebt.
Das Reich Gottes, Gott selbst ist mitten unter euch. Schon jetzt.
Darauf hat sie sich verlassen.
Und darauf können wir uns verlassen.
Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages.
Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis.
So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.
Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, das Heil zu erlangen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben.

Jetzt ist die Zeit der Gnade und ihr seid die Friedensstifter mit Gott an eurer Seite, mit Jesus in unserem Leben.
Solange wir Atem holen ist er da.
Er heilt, er vergibt und öffnet neue Wege.
Er gibt den Herzen Ruhe und Verzweifelten neuen Mut.
Und wird es wieder tun. Und wieder.
Wir dürfen viel erwarteten, immer mehr, viel mehr, als wir es oft tun.
Erwarten wir freudig, dass durch Gott schon morgen die Welt ein anderes Gesicht hat.
Planen wir das ein.
Immer.
Bereiten wir uns vor.
Jederzeit.
Und tun alles dafür.
denn wir wissen, wie es die Theologin Silja Walter in einem Gebet ausdrückt:

Jemand muss zu Hause sein, Herr, wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten, unten am Fluss vor der Stadt.
Jemand muss nach dir Ausschau halten Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst?
Herr, jemand muss dich kommen sehen
durch die Gitter seines Hauses
durch die Gitter –
durch die Gitter deiner Worte,
deiner Werke
durch die Gitter der Geschichte,
durch die Gitter des Geschehens
immer jetzt und heute in der Welt.
Jemand muss wachen unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr, du kommst ja doch in der Nacht wie ein Dieb.
Wachen ist unser Dienst.
Wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist oft so leichtsinnig, läuft draußen herum,
und nachts ist sie auch nicht zu Hause.
Denkt sie daran, dass du kommst?
Dass du ihr Herr bist und sicher kommst?
Herr, und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen, ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinen Kommen zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod mitaushalten und daraus leben.
Das muss immer jemand tun mit allen andern und für sie.
Amen


(aus: Silja Walter, Das Kloster am Rande der Stadt, Zürich 1971/1980; gefunden in: Medard Kehl, Und was kommt nach dem Ende [s.u. Nr. 6], S. 111f)