Sonntag, 7. Oktober 2012

Das höchst Gebot Markus 12, 28 - 34. 18. Sonntag n. Trinitatis


Ein kurzes Gespräch haben wir in der Evangeliumslesung gehört.
So kurz wie dieses Gespräch ist, so lang waren die Auseinandersetzungen der Schriftgelehrten mit Jesus, die ihm vorausgehen.
Wie ist das mit der Steuer und dem Kaiser, wie ist das mit dem Tod und dem Leben danach?
Interessant, wie sehr schon damals das Geld zu den wesentlichen Fragen des Lebens gehört hat.
Ein Schriftgelehrter hat dem Streit zugehört und sich nicht eingemischt. Ihm gehen seine Kollegen auf die Nerven.
Sie wollen Jesus nur in die Ecke drängen und dünken sich dem obskuren Wanderrabbi überlegen.
Dieser Schriftgelehrte ist beeindruckt davon, wie Jesus reagiert.
Er hat den Eindruck, dass er und Jesus auf einer Wellenlänge liegen. 
Und das will er zeigen.
Er will
den anderen durch seine Frage zeigen, dass Jesus weiß, worauf es ankommt.
Und er will Jesus zeigen, dass er ihm zustimmt und so fragt er:

Welches ist das höchste Gebot von allen?
Eigentlich eine schwierige Frage, wenn man bedenkt,
dass die Schriftgelehrten 613 Anweisungen in der Thora, den 5 Büchern Mose entdeckt haben, 248 Gebote und 365 Verbote.
Zehn davon haben wir vorhin in der Lesung gehört.
Welches aber ist nun das allerwichtigste Gebot?
Darf man überhaupt so fragen und ist es nicht vermessen, dass Menschen entscheiden, welche der göttlichen Gebote ernster zu nehmen sind als andere? Darüber
hat man unter den jüdischen Gelehrten sehr gestritten.
Hat man, aber nicht diese beiden.
Jesus nennt ohne zu Zögern die Liebe als höchstes Gebot und rezitiert das berühmte Schema Israel, in jedem Gottesdienst in der Synagoge gebetet, von den Juden morgens und abends gebetet und auch in der Sterbestunde, bis zum heutigen Tag.
Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein. Und du
sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer
Seele, und mit all deiner Kraft.
Das andere Liebesgebot entnimmt Jesus aus dem dritten Buch Mose Kap. 19, 18.
Das andere, sagt er, ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Der Schriftgelehrte ist ganz auf Jesu Seite.
Du hast recht geredet , sagt er voll Wärme.
Die Liebe ist das höchste Gebot.
Gott ist nur einer und kein anderer außer ihm.
Und ihn sollen wir lieben von ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all unserer Kraft.
Und er setzt noch eins drauf und erinnert an den Propheten Hosea:
Gott so zu lieben und den Nächsten ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. 
Vielleicht schauen sich die beiden auf dem Tempelplatz um, auf dem sie stehen.
Jesus hat hier schon manch gereizte oder sogar gefährliche Debatte geführt.
Seine Gesprächspartner waren bisher eher drauf aus, das Trennende bei Jesus zu entdecken als Gemeinsamkeiten.
Jetzt aber halten sie den Mund und wagen nicht, sich in diese inbrünstige Schwärmerei einzumischen.
Es gibt jetzt nur die beiden, die sich an der Liebe und ihrem gegenseitigen Verständnis begeistern.
Jesus freut sich.
Endlich mal einer, mit dem man vernünftig reden kann, auf Augenhöhe.
Es geht ihm wie dem andern nicht in erster Linie um den Erhalt der religiösen Praktiken, wie sie im Tempel praktiziert werden.
Auch wenn Jesus die nicht abschaffen will, wie er an anderer Stelle sagt.
Auch die unterschiedliche Stellung der beiden spielt keine Rolle.
Sie treffen sich auf Augenhöhe, weil sie beide erkannt haben,
warum es überhaupt die Gebote gibt,
nämlich um das rechte Verhältnis zwischen Gott und den Menschen leben zu können,
und dann auch der Menschen miteinander.
Es geht um das, was sie verbindet, die Liebe.
Und Jesus antwortet lächelnd: 
Ja, wie recht du hast. Wie verständig du bist.
Du bist nicht fern vom Reich Gottes, nicht fern von der gelebten Liebe.
Soweit das Gespräch.
Ein kurzes Gespräch, wie ich zu Anfang sagte.
Es geht um das Wesentliche, um die Liebe.
Zwei erwachsene Männer schwärmen von der Liebe.
Ist ihnen das nicht peinlich?
Anscheinend nicht.
Die Liebe, von der hier die Rede ist, ist auch ein wenig anders als die,
die uns in Filmen und Geschichten bezaubert
oder schlaflose Nächte bereiten kann.
Es ist nicht die romantische Liebe, nicht die erfüllte Liebe zwischen Menschen, jedenfalls nicht in erster Linie.
Am Anfang des Schema steht ein kategorischer Satz, der nüchtern macht:
Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein.
Ein Gott und kein anderer neben ihm und alles, was Herz und Kraft und Seele an Gefühlen, an Hingabe zu bieten haben, das hat ihm zu gelten.
Ihm allein.
Denn er ist der Grund meines Lebens,
der einzige Grund, warum es mich gibt,
der Grund meiner Hoffnung, dass ich niemals verloren gehe.
Bevor also vom Nächsten oder von mir selbst die Rede ist, geht es um eine nüchterne Prüfung meines Lebens.
Ich soll alles wegschieben, was sich zwischen Gott und mich stellen könnte.
Alles?
Alles.
Wir sollen alles prüfen,
unsere Gewohnheiten, das was wir tun Tag für Tag,
aber auch alle Idole,
alles, worauf wir sonst noch unsere Kraft und Liebe richten,
sei es ein Fußball- oder Musikstar,
seien es auch die Beziehungen, in denen wir leben.
Selbst Vorbilder wie etwa Mahatma Ghandi oder Märtyrer wie Dietrich Bonhoeffer fallen darunter.
Ich soll prüfen, ob mich etwas oder jemand von der Liebe zu Gott abhält,
ob mich etwas oder jemand daran hindert,
auf meine persönliche Art Gott zu begegnen,
seine Stimme in meinem Leben zu hören.
Ich soll mich von nichts und niemandem abhängig machen, als von Gott allein.
Ein steiler Anspruch.  
Aber so ist es, wenn man der Logik der Sätze folgt.
Wenn ich die Sätze des Schema ernstnehme,
darf ich niemanden dieser Menschen anbeten und damit über mich stellen, denn dann ständen sie schon zwischen mir und Gott.
Und ich darf meine Tage nicht mit Dingen füllen,
die das Wissen um die Gegenwart Gottes verdrängen,
die mich vergessen lassen,
dass ich aus seiner Liebe lebe
und das  die wesentliche und einzige Sicherheit in meinem Leben ist.

Gut, das alles hört sich jetzt sehr fromm an und ist es sicherlich auch.
Und ich will keinem hier den Spaß z.B. an Robbie Williams oder Mozart verderben.
Und dass man sich an Menschen wie Mahatma Ghandi ruhig ein Beispiel nehmen kann
und eine Doppelkopfrunde sehr entspannend sein kann, dagegen ist auch nichts zu sagen
und noch weniger dagegen, sich in einen Mann oder eine Frau zu verlieben.

Aber und jetzt wird der zweite Satz, den Jesus nennt noch einmal sehr wichtig:
Du sollst deinen Nächsten oder deine Nächste so lieben wie dich selbst.
Dieser Satz ist eigentlich kein neuer Satz über die Liebe, er führt den ersten nur aus.
Ich soll den Nächsten nicht höher stellen als mich selbst, denn dann steht er zwischen mir und Gott.
Wir sind daran gewöhnt, diesen Satz als Apell zum Mitgefühl zu hören. Sorge dich um den anderen wie du dich um dich selbst sorgst.
Die goldene Regel: So wie du willst, das dir die Leute tun, so tue ihnen auch. Und das steckt da sicherlich auch mit drin.
Aber um dem anderen helfen zu können, müssen wir ihm auf Augenhöhe begegnen, ihn nicht höher stellen als uns und auch nicht tiefer.
Das ist das ganze Geheimnis.
Wir sind es dem Nächsten schuldig,
dass wir ihn wie uns selbst auf dem Boden halten,
auf dem gemeinsamen Boden, von dem her wir alle kommen. 
Einer oder eine kann Präsident der USA sein oder Bürgermeister von Berlin,
einer kann schöne Lieder machen und oder genial komponieren,
einer kann einen Ball gekonnt ins Tor bringen.
Einer kann seine Stimme erheben und eindrucksvoll gegen das Unrecht aufstehen.
All das zeigt, was Menschen tun können, zeigt ihre Fähigkeiten und Begabungen, die ihnen von Gott geschenkt wurden.
Aber mehr darf es nicht sein.
Mehr dürfen auch meine eigenen Begabungen nicht sein.
Nicht, was ich oder andere tun, erlaubt es uns, uns über den anderen zu stellen.
Sie sind wie ich, ich bin wie sie. Wir sind in gewisser Weise verschieden, aber wünschen doch alle die grundlegenden Dinge: Ein Zuhause, Menschen, die zu uns gehören, Nahrung, einen Sinn im Leben, Gesundheit usw.
Ich tue ihnen unrecht, wenn ich sie auf einen Sockel stelle und ihre Menschlichkeit und Fehlbarkeit verurteile, wenn sie Fehler mache.
Genauso bin und bleibe ich fehlbar.

Das kann sehr provokant sein.
Jesus ist Menschen immer auf Augenhöhe begegnet, seien es Zöllner, Prostituierte oder Schriftgelehrte, ein Bauer oder Pilatus, Kinder oder Erwachsene, Männer oder Frauen.
Deshalb konnte er ihnen auch helfen, konnte sie verstehen, konnte sie begeistern und häufig auch zur Umkehr bewegen.
Darin begegnet er dem verständigen Gelehrten.
Beide begegnen sie Menschen
mit Achtung, aber nicht mit mehr Achtung, als sie sich selber entgegenbringen.
Das provoziert die, die sich höher stellen, die an ihrem Thron hängen.
Aber Jesus und der andere bewegen sich in dem Raum der Freiheit, die diese Gebote schaffen,
dem freien Raum zum Leben,
in dem man sich ungehindert der Liebe und Wertschätzung versichern kann, die Gott jedem einzelnen Menschen entgegenbringt-
Wer sich das klarmacht, immer wieder,
der sieht, was der andere wirklich braucht und lässt sich nicht von seinem äußeren Stand davon ablenken.
Ein fröhliches Selbstbewusstsein ist das,
was Jesus und den Schriftgelehrten verbindet,
fröhlich, weil sie sich aufgehoben wissen in der Liebe Gottes und nichts weiter brauchen und daher alles andere in ihrem Leben mit dankbarem und klarem Blick betrachten können und so auch anderen begegnen.

Wie kann man so leben?
Der Film, den hoffentlich viele hier schon gesehen oder zumindest davon gehört haben, Ziemlich beste Freunde, nach einer wahren Begebenheit, zeigt das.  
Er kommt als Komödie daher, ist aber einer der rührensten Liebesfilme, die  ich kenne. Er zeigt vor allem die Liebesfähigkeit eines Menschen mit Namen Idrice, dem keiner das so zutrauen würde.
Der reiche  Querschnittgelähmte Philippe stellt den Sozialhilfeempfänger mit Migrantenhintergrund, wie wir heute sagen, den Afrikaner Idrice aus den Vorstädten von Paris ein.
Idrice ist dazu da, Philippe bei allem zu helfen.
Von Anfang an prägt es die Beziehung der beiden,
dass sich Idrice weder von der feudalen Umgebung,
noch von dem Zustand Philippes,
der außer dem Kopf nichts bewegen kann,
sonderlich beeindrucken lässt.
Unkompliziert, respekt- aber nicht achtungslos und humorvoll geht Idrice mit Philippe um.
Und er sieht, was andere kaum wahrnehmen,
dass Philippes Leiden weniger der Rollstuhl als vielmehr der Verlust seiner Frau, die Sehnsucht nach Liebe  ist.
Idrice sieht Philippe als liebeskranken Menschen an und danach handelt er.
Die anderen, die Philippe vor allem als bedauernswerten Querschnittsgelähmten sehen,
erfüllen ihm jeden Wunsch, schreiben auch Briefe für ihn an eine Frau, widersprechen nicht,
wenn er davon spricht nur geistigen Kontakt mit ihr haben zu wollen
und lassen ihn in seiner Depression.
Idrice dagegen schnappt sich den Brief der Frau,
entdeckt, dass sie ihre Telefonnummer darauf geschrieben hat
und ruft einfach an. 
Trotz des lauten Protestes von Philippe.
Idrice weiß, dass Philippe nur wegen seiner Behinderung protestiert.
Er glaubt fest daran, dass das nicht den ganzen Menschen Philippe ausmacht.
Nach einigem Hin und her bringt er dann tatsächlich die beiden zusammen. Und er macht Philippe damit zu einem glücklichen Menschen.
Idrice konnte Philippe helfen, weil er ihm auf Augenhöhe begegnete.
Er achtete seine Bedürfnisse nicht mehr als seine eigenen,
schmeichelte ihm nie, hielt mit seiner Meinung nie hinterm Berg,
sei dass er hinter den roten Klecksen auf einem modernen Bild Nasenbluten vermutete, 
sei es dass er sich anfangs weigerte ihm beim Klogang zu helfen.
Aber er konnte ihn erkennen.
Und konnte Philippe als Menschen sehen und achten wie er sich selber klar wahrnahm und achtete.
Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst.
Gott schaut uns an, auf Augenhöhe.
Das ist ein großes Geschenk, das wir nicht geringschätzen sollten.
Denn es öffnet uns die Welt und öffnet uns füreinander,
 schenkt uns die Freiheit der Liebe zu folgen, uns helfen zu lassen und anderen zu helfen.
Dass wir uns immer wieder die Zeit und den Raum nehmen, um uns und unser Leben mit Abstand zu betrachten,
damit Gott uns auf Augenhöhe begegnen kann,
wünsche ich uns und dass wir einander Menschen bleiben oder werden,
die sich liebevoll und voller Achtung begegnen.
Amen.





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