Freitag, 29. März 2013

Passionsandacht zum Jugendkreuzweg 2013

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Jesus nimmt das Kreuz

Mt 27, 27-30
27Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit sich in das Prätorium und sammelten die ganze Abteilung um ihn.
28Und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an 29und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm aufs Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand und beugten die Knie vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrüßet seist du, der Juden König!, 30und spien ihn an und nahmen das Rohr und schlugen damit sein Haupt.
Joh 19,17
Sie übernahmen Jesus und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die Schädelstätte heißt, auf hebräisch Golgatha.


Meditation über Joh 19,17
I. Woher nimmt dieser Mensch die Kraft?
Das Kreuz ist schwer, kaum zu stemmen.
Er blutet aus schmerzenden Wunden,
die Krone aus Dornen sticht und lässt keinen klaren Gedanken zu,
er hört den Spott der Menschen am Straßenrand.
Spott über den, dem sie noch vor 5 Tagen zugejubelt haben und der sich für sie als Schwächling entpuppt hat.
Woher nimmt dieser Mensch die Kraft?
Wie hält er das aus?
Aus Trotz?
Oder hat er noch so viele Reserven?
Eine schlaflose Nacht hat er hinter sich, endlose Verhöre, Folter
und dazu die Enttäuschung, die Trauer über das Ende eines so hoffnungsvoll begonnenen Weges,
Enttäuschung über seine Freunde, die davongelaufen waren.
Ihre Blicke hat er nicht vergessen, die sie ihm zugeworfen haben,
eine Mischung von schlechtem Gewissen und panischer Angst um das eigene Leben.
Welche Überwindung mag ihn das kosten, diesen Weg zu gehen.
Ganz allein.
Ohne Beistand und ohne Hoffnung, dem nahen Tod zu entgehen.
Und warum?
Warum bricht er nicht einfach zusammen und überlässt es seinen Henkern, das Kreuz und ihn zur Hinrichtung zu schleppen?
Es gibt keine Antwort auf diese Fragen.
Nur dies:
Er geht.
Er geht diese Etappe.
Er will sie gehen.
Alle sehen seine Schwäche. Für sie ist er ein Wurm und kein Mensch.
Und er, er zeigt, wieviel Kraft in der Schwäche verborgen ist,
wieviel Würde er sich erhält, obwohl er verloren hat.
Das ganze Spiel.
Obwohl er zertreten wird, wie ein Wurm.

II. Es ist erstaunlich, was Menschen aushalten.
Wunden werden ihnen geschlagen, körperliche und seelische und sie gehen weiter.
Wunden auch durch die Grenzen, die gezogen wurden, immer wieder,
gezogen und umkämpft und verteidigt,
verteidigt mit hohem Stacheldraht und Minenfeldern,
bewacht von Scharfschützen in allen Ländern der Welt.
Auch in unserem.
Daran erinnert der Point Alpha, an dem dieser Kreuzweg Jesu mit seinen 14 Skulpturen aufgebaut wurde.
Point Alpha, so heißt ein ehemaliger US-Beobachtungsposten im sogenannten Fulda Gap.
Dieser Kreuzweg markiert auf einer Strecke von eineinhalb Kilometern Länge ein Stück des Todesstreifens der ehemaligen innerdeutschen Grenze zwischen Hessen und Thüringen.
Hier wurde bis 1989 ein Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes jederzeit erwartet.
Hier hätte mit großer Wahrscheinlichkeit der Dritte Weltkrieg begonnen.
Und hier wird in der Karwoche in jedem Jahr an die Gebetsbrücke erinnert, die während der deutschen Teilung auf Ost - und Westseite entstanden ist und die immer in der Karwoche geschlagen wurde.

Diese Grenze hat Wunden geschlagen.
Menschen sind an ihr zugrunde gegangen und ihre Familien leben bis heute mit diesem Schmerz.
Menschen haben die Grenze überwunden, aber sie leben dennoch mit den Wunden aus ihrem vergangenen Leben, die sie bewogen haben zu fliehen, in ein neues Leben.
Menschen in dieser Stadt haben jahrelang mit der Grenze gelebt, haben erlebt, wie ihre Familien auseinandergerissen wurden und ihr Leben begrenzt war.
Und bei allem das Gefühl: Eigentlich dürfen wir uns nicht beschweren.
Das sind die Folgen unseres tödlichen Handelns in 12 Jahren Gewaltherrschaft, die wir geduldet, wenn nicht gar unterstützt haben.
Und daher: Schweigendes Dulden der Wunden und weitergehen. 
Es ist nicht einfach da Worte zu finden oder die verletzten Gefühle zu zeigen.

III. In der Welt habt ihr Angst, sagt Jesus im Johannesevangelium, aber seid getrost, ich habe die Angst überwunden.
Dieser Satz bedeutet mir nichts, wenn er über die Wunden hinweggeht,
mit denen Menschen nach wie vor leben, als schleppten sie einen Sack Steine mit sich herum.
Diese Wunden können nicht einfach abgelegt werden wie ein altes Kleid, das nicht mehr zu dem neuen Leben passt.
Daran kann auch Jesus nichts ändern.
Aber deshalb ist es wichtig, diese Station auf dem Kreuzweg auszuhalten und hinzusehen und sich zu fragen:
Woher nimmt dieser Mensch die Kraft?
Wie hält er das aus?
Und wir sehen:
Er geht, gebeugt und blutend, aber er geht.
Er geht diese Etappe.
Er will sie gehen, obwohl er verloren hat.
Das ganze Spiel.
Obwohl er sicher Angst hat.
Und es schafft über sie hinauszugehen.
Obwohl er sicher in manchen Momenten Tränen der Schwäche in den Augen hat,
und sich von ihnen nicht abhalten lässt sein Kreuz weiter zu tragen.
Was hilft es uns, an diesen Menschen zu glauben,
zu glauben, dass Gott durch diese gebeugte, sich vorwärts schleppende Gestalt zu uns spricht.
Es hilft, dass Gott diesen Schmerz nicht wegwischt, nicht mit Pillen und Therapien beruhigen will.
Es hilft, dass Gott in der Angst und dem Schmerz bei uns bleibt und nicht ausweicht.
Es hilft, weil er uns durch Jesus in den Schmerz ruft,
in die Trauer über die Wunden,
in das Mitgefühl mit den Wunden anderer,
in die Angst vor dem Leben,
ohne dass wir das abwehren und uns zu schützen versuchen.
Es hilft, weil Gott nicht einfach das Alte zerstört, sondern vorsichtig verwandelt.
Die Schwerter und Kriegsmaschinen vernichtet er nicht aus Wut über die sinnlose Zerstörung durch einen einzigartigen Feuerblitz.
Er verwandelt sie mit unserer Hilfe in Pflugscharen, wie es in einer der ältesten Visionen der Bibel heißt.
Er stößt uns nicht in sein Reich des Friedens, er lädt uns ein und hält die Türen weit offen.
Durch die gebeugte Gestalt, die ihre Wunden nicht versteckt, lädt Gott uns ein, uns zu zeigen, mit unserer ganzen Verletzlichkeit.
Gott wünscht sich unsere Tränen zu sehen, damit das Leid sichtbar werden kann und unser Leben wieder in Fluss kommt.
Unsere Wunden und unsere Tränen zu zeigen, trotz des Spottes und des Unverständnisses, und weiterzugehen, nicht dabei stehenzubleiben –
das ist die Stärke, die Jesus uns vorlebt.
Oder dass wir uns freuen, wenn andere uns vertrauen und in unserer Gegenwart weinen und ins Reden kommen.
Es hat lange gedauert, bis die Opfer der Nazizeit begonnen haben zu reden
und noch länger, bis die Täter das gewagt haben,
die damals voller Hoffnung als Helden in den Krieg gezogen und als Verbrecher in den Augen der Welt zurückgekehrt sind.
Und wieder beobachten wir die Scheu, sich offen den Wunden zu stellen, die durch die Teilung Deutschlands und Europas entstanden sind.
Vielleicht ist das unsere Aufgabe als Christen,
dass wir unsere Angst zeigen, unsere Wunden, unsere Schwäche und andere einladen dies ebenfalls zu tun,
dass wir mit ihnen stehenbleiben, ohne ihnen auszuweichen
und sie einladen mit uns weiterzugehen.
Dass wir so gemeinsam der Verheißung des liebenden Gottes folgen,
der verspricht unsere Tränen abzuwischen, wenn wir sie fließen lassen
und unser kostbares Leben immer wieder verwandelt, in kleinen Schritten.
Voller Umsicht hält Gott unser Lieben und unseren Schmerz in seinen vorsichtigen Händen und hilft uns weiterzugehen,
einen weiteren Schritt zu wagen in Richtung seines Reiches.
Amen.

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