Mittwoch, 6. November 2013

Sodom und Gomorrha – Zum 9. November 1938


Sodom und Gomorrha
Fragen zum 9. November 1939

Erzähler:       Vielleicht habt ihr schon von diesen beiden Städten gehört: Sodom und Gomorra. Schöne Städte sollen es gewesen sein, so schön, dass Lot, als er mit Abraham auf der Höhe stand und sich entscheiden sollte, statt der Steppe das saftige Grün der Jordanebene wählte, in dem die Städte funkelten wie Diamanten.
Lot ließ sich nieder in Sodom und lebte dort lange Jahre. Aber die Menschen dort waren böse und sündigten schwer, sagt die Bibel.
                        Worin genau ihre Bosheit bestand, wird zunächst nicht gesagt. Auch nicht, wie Lot, der Neffe Abrahams und ein gläubiger, rechtschaffener Mann, dort so lange unbehelligt leben konnte.
Frager 1:        Ist er den Leuten nicht aufgefallen? Richtete sich ihr Treiben nicht gegen ihn?
Frager 2:        Oder war das Böse nicht so offensichtlich, sondern entlud sich in einzelnen versteckten Bosheiten gegen einzelne Menschen und Lot konnte sich dort zu Hause fühlen?
Frager 1:        Oder hat Lot bis zu einem gewissen Grad mitgemacht, sich hineinziehen lassen und war dadurch so lange akzeptabel für die Leute?
Frager 2:        Oder war er so gut, dass er nicht in Versuchung kam, sondern klar und aufrecht sein eigenes Leben führte und sich so Respekt verschaffte?
Frager 1:        Vielleicht erinnerte ihn die Gegend auch an seine Heimat Ur, die er verlassen hatte, um mit Abraham in die Fremde zu ziehen auf Gottes Geheiß. Sicherlich war es angenehm, in einem Gebiet mit viel Wasser und Grün zu leben. Die Schafherden vermehrten sich von selbst unter solchen Bedingungen, man selber hatte sein Auskommen. Vielleicht verschloss Lot einfach die Augen vor allem anderen, solange es ging.
Erzähler:       Wie dem auch sei: Zwei Dinge sind sicher: Lot war in Sodom zu Hause und die Menschen der beiden Städte, der ganzen Gegend waren wirklich böse trotz des fruchtbaren Landes, trotz des schönen Lebens dort, so offensichtlich böse, dass das Klagen über ihre Bosheit zu Gott drang und Gott beschloss, die Städte dem Erdboden gleich zu machen.
Abraham rang Gott das Versprechen ab, von diesem Plan abzulassen, wenn dieser zehn gerechte Männer finden würde, die die Gebote achteten, den Fremdling ehrten, nicht Böse redeten über den Nächsten und sein Gut nicht begehrten. Aber die beiden Engel, die Gott in die Stadt sandte, fanden diese 10 Gerechten nicht.
                        Sie fanden nur Lot und der, als einziger in Sodom, erkannte sofort in ihnen die Boten Gottes und lud sie in sein Haus ein und bewirtete sie. Die Männer von Sodom aber hassten alle Fremden und fremd war jeder, der nicht in ihrem Sinn redete und handelte. Und so liefen sie am späten Abend zusammen vor Lots Haus und schrieen: „Gib die Männer heraus, die zu dir gekommen sind, wir wollen sie fertig machen.“
                        Aber Lot war das Gastrecht heilig. In seiner plötzlichen Angst um seine Gäste und wohl auch um sein eigenes Leben kam er auf den wenig rühmlichen Gedanken, ihnen seine beiden Töchter auszuliefern. Aber die Männer forderten seine Gäste und Lot, nachdem er sich von dem Schrecken erholt hatte, dachte, er kenne diese Männer von Sodom ja und er könne wohl vernünftig mit ihnen reden. Er ging hinaus vor sein Haus und schloss die Tür hinter sich und bat sie, das Gastrecht, das er den beiden gewährt hatte, nicht mit Füßen zu treten. Doch er blickte nur in hasserfüllte Gesichter und aufgerissene Münder, die ihn anschrien: „Du, was bildest du dir ein, Fremder? Willst du den Richter hier spielen?“
Und ihm wurde kalt, als er das sah und er kam sich vor, wie in einem Alptraum, wo alles, was Sicherheit und Ruhe bedeutete, weggewischt wird und nur noch ein schwankender Boden bleibt, der schräg ist und immer schräger wird, so dass kein Halten mehr ist und ein ganzes Leben ins Rutschen kommt. Und dann kamen sie näher und näher, seine Nachbarn mit den so fremden Gesichtern und legten Hand an ihn und bedrängten ihn und hätten ihn in ihrer blinden Wut wohl wirklich fertig gemacht, aber da öffnete sich hinter Lot die Tür und die Hand eines der beiden Engel erschien und zog ihn schnell herein und verschloss die Tür wieder. Und die Augen der Hasserfüllten wurden getrübt und sie fanden keine Tür mehr, als sie ums Haus herum gingen, so sehr sie auch suchten.
Frager 1:        Warum legten sie kein Feuer, um Lot heraus zu treiben?
Frager 2:        Vielleicht war ihre Bosheit so  groß noch nicht oder sie hatten Sorge, das Feuer könnte übergreifen auf ihre Häuser?
Frager 1:        Oder Gott hat hier seinen Gerechten geschützt vor dem Mob und ihn unangreifbar gemacht, wie es sich später viele von ihm gewünscht hätten, als sich der Mob gegen sie wandte.
Erzähler:       Die Engel jedenfalls zogen und zerrten Lot und seine Frau und seine Töchter noch in  derselben Nacht aus der Stadt. Mit viel Überredungskunst redeten sie ihnen den Glauben aus, das hier sei ihr Zuhause. Gott habe Mitleid mit ihnen, sagten sie, und sie sollten doch ins Gebirge gehen, da seien sie sicher. Aber Lot wollte nicht an einem so unwirtlichen Ort leben. Er wollte ein neues Zuhause und Gott gestattete ihm, in eine nahe gelegene Stadt mit Namen Zoar zu fliehen. Diese Stadt würde Gott schonen. Sie war klein und übersichtlich.
                        Und als sie dort waren ließ Gott eine Nacht lang Schwefel und Feuer auf die ganze Gegend regnen und alles, was dort lebte, starb. Lots Frau, gegen den Befehl der Engel, drehte sich nach Sodom und schaute zu und geriet in den grauenhaften Bann dieses Bildes und konnte sich nicht mehr rühren. Nie mehr.
                        Abraham aber, so erzählt die Bibel, blickte am nächsten Morgen von der Höhe hinab auf Sodom und Gomorra und sah nur noch Qualm, der von der Erde aufstieg wie von einem Schmelzofen.
Frager 1:        Hat Gott die Menschen gestraft oder verurteilt sich jede Stadt selbst zum Untergang, die Menschen in ihrer Mitte wie Fremde behandelt und sie ausstößt aus der Heimat oder bedrängt  oder gar ermordet und Gäste nicht willkommen heißt?
Erzähler:       Lot hat es nicht ausgehalten in Zoar, sein Vertrauen in das Zusammenleben der Menschen war erschüttert. Er ist doch ins Gebirge gezogen und hat dort mit seinen beiden Töchtern in Höhlen gehaust. Seine Frau war gestorben in jener Nacht. Sein Überleben war gesichert, aber sein Leben hatte er nicht retten können.
Frager 1:        Wie leben all die Menschen, die gezwungen werden, ihr Zuhause aufzugeben, weiter, mit ihrem Schmerz, mit ihrer Heimatlosigkeit? Die Menschen, die heute durch  Afrika ziehen, wieder einmal vertrieben aus ihren Dörfern, die Menschen damals hier in Berlin und anderen deutschen Städten und Gegenden, die dachten, sie gehörten hierher durch Geburt und Sprache und ihre Nachbarn wären Nachbarn und keine Feinde.
Frager 2:        Wie ist es ihnen ergangen, als sie dann in hasserfüllte Gesichter blickten, vor allem in jener Nacht vom 9. November 1938, vor 70 Jahren, als ihre Geschäfte, ihre Häuser, ihre Synagogen zu Bruch gingen, von Flammen verzehrt wurden?
Frager 1:        Waren sie die einzigen, denen das Zuhause plötzlich fremd wurde? Oder galt das auch für die, die zuschauten und sich nicht trauten, für die plötzlich bedrängten Nachbarn einzutreten? Wie konnten sie sich weiter zu Hause fühlen in einem Land, das das Lebensrecht anderer so offensichtlich mit Füßen trat? Wie konnten sie für dieses Land kämpfen, später im Krieg?
Frager 2:        Warum sind so viele der Betroffenen geblieben, trotz der Gefahr, die gerade am 9.November 1939 so deutlich zeigte, dass kein Haus seine Tür davor verschließen konnte?
Frager 1:        Weil ein Leben außerhalb dieses Landes, in dem sie immer mehr wie Fremde behandelt wurden, für sie nicht vorstellbar war?
Frager 2:        Weil es ihnen wie das unwirtliche Gebirge vorkam, in das Lot sich weigerte zu fliehen?
Frager 1:        Weil es keine kleine Stadt gab, die ihnen ein Zuhause geboten hätte, kein Haus, das sicher war und einladend?
Frager 2:        Wie hätte die kleine Stadt überhaupt aussehen müssen, in die die Menschen in Deutschland bereit gewesen wären zu fliehen?
Frager 1:        Warum brachten sich so viele von ihnen lieber selber um, in der Nacht vom 9. November 1939 bevor sie ihr Zuhause aufgaben?
Frager 2:        Warum war da kein Engel, der sie an der Hand nahm und herauszerrte zu ihrem eigenen Wohl?
Frager 1:        Könnten wir uns das vorstellen, unser Zuhause verlieren, wegziehen, ausgestoßen, mit Angst und Grauen auf die blicken, mit denen wir bisher zusammenlebten?
Frager 2:        Würden wir daran glauben, an den Untergang unserer Stadt, weil Menschen in ihr wie unliebsame Fremde, wie Feinde behandelt werden?
Erzähler:       Berlin wurde zusammengeschossen und zerbombt, damals. Jetzt steht es wieder. Und ob es bleibt, ob es sich lohnt in dieser Stadt zu leben, das liegt auch an uns. Und es liegt an uns, ob hier in unseren Gottesdiensten ein Ort ist, an dem Menschen sich zu Hause fühlen können, mit ihrem Glauben, mit ihren Träumen, mit ihren Fragen nach dem Warum?! , auf die es oft keine Antworten gibt und die dennoch gestellt und ausgehalten werden müssen,  damit sie sich die Gründe, sie zu stellen, nicht vermehren.
                        Dass dies hier ein solcher Ort, ein solches Zuhause ist und bleibt für uns, für die, die fragen, für die, die ausgestoßen wurden oder sich fremd fühlen, für die, die den Mund auf machen, wenn sie Unrecht begegnen, für die, die Angst davor haben und Freunde Freundinnen an ihrer Seite brauchen, für die, die Weg Jesu von Nazareth ein Vorbild ist, dass man es diesem Ort und seinen Menschen ansieht, dazu brauchen wir es, dass Gott mit seinem Geist mitten unter uns ist und uns die Augen öffne und Kraft schenke, damit wir unseren Teil dazu tun können. Darum bitten wir ihn.

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