Samstag, 19. September 2015

2 Tim 1, 7-10 16. Trinitatis 2015


2. Tim 1, 1-10 16. Trinitatis 2015
Der Raum ist eng.
Und wird immer enger.
Die Luft wird knapp.
Angst breitet sich aus,
Furcht frisst das Leben auf.
Der Junge Aladin sitzt in einer Höhle.
So erzählt es die Geschichte aus 1000 und einer Nacht.
Reichtum und Macht hat der vermeintliche Onkel, ein böser Zauberer, ihm versprochen,
Flucht aus der Armut, die ihn sein Leben lang begleitet.
Nun geht ihm die Luft aus.
Der Zauberer hat ihn in die Höhle gelockt und allein gelassen, als Aladin nicht tat, was er wollte.
Ahnungslos hält Aladin die Lampe mit dem wundertätigen Geist in der Hand, die der Zauberer haben wollte.
Auch die Kraft des Ringes, den der Zauberer ihm gegeben hat, kennt er noch nicht.
Doch als er sein letztes Gebet spricht und dabei unbewusst am Ring reibt, erscheint der Geist des Ringes und alles ändert sich.
Aladin kommt wieder nach Hause.
Dank der Hilfe des Geistes hat auch die Armut ein Ende.
Essen wird gebracht, kostbare Kleider, alles was sein Herz sich wünscht.
Aladin entdeckt den Geist der Lampe.
Und er entdeckt die Liebe.
Ausgerechnet zur Sultanstochter.
Kein Problem.
Mit dem Geist der Lampe lassen sich alte Grenzen mühelos auflösen.
Die Enge ist Vergangenheit.
Der Raum zum Leben wird weit.
Unglaublich. Zauberei ist in der Welt.
Der Zauberer holt zwar zum Gegenschlag aus und entführt das neue Schloss samt Prinzessin.
Aber Aladin lässt sich nicht wieder in die Enge sperren.
Er hat sich verändert.
Er weiß, dass er sich nicht wieder mit Armut abfinden muss.
Er weiß, dass Zauberei in der Welt ist, vor allem der Zauber der Liebe.
Von ihr lässt er sich leiten, handelt umsichtig, besonnen.
Nichts erinnert mehr an den verwahrlosten, verarmten Jugendlichen von früher, der sein Ziel nicht kennt.
Wie wir wissen, geht alles gut aus.
Das Böse, der Zauberer, wird besiegt.
Zauberei bleibt in der Welt.
Und Aladin nutzt in Zukunft die Kraft des Geistes weise und in Maßen und herrscht gerecht und geliebt über das Volk bis an sein Lebensende.

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Der Raum ist eng.
Und wird immer enger.
Die Luft wird knapp.
Angst breitet sich aus,
Furcht frisst das Leben auf.
Kein Ort mehr, der sicher ist.
Schwierig war es schon vorher,
doch sie hatten gelernt mit der Enge zu leben.
Doch jetzt?
Das Haus zerstört, die Zukunft dunkel, ohne Ausweg.
Da öffnet sich ein Weg, wie durch Zauberei.
Unglaublich.
Ein anderer Geist, so hat es den Anschein, regiert plötzlich den Kontinent im Norden,
naja, große Teile davon, oder wenigstens einige Länder.
Mühelos weitet sich die Enge.
Gerechtigkeit, Menschenliebe bekommen auf einmal Raum.
Grenzen öffnen sich.
Menschen strömen herein.
Offene Hände und offene Gesichter empfangen sie.
Trotz aller Mühen der Reise und auch der Ankunft ist die furchtbare Enge verschwunden.
Die Furcht, die die Kraft der Menschen fraß, weicht schon etwas.
Der Raum zum Leben wird weiter.
Eine zauberhafte Leichtigkeit breitet sich in der Welt aus.
Ein paar Tage lang.
Vorher haben wir auf Bilder von ertrinkenden Menschen gestarrt,
mit schlechtem Gewissen,
Nun dürfen wir tun, was das Herz uns sagt,
wir Hippies der neuen Welt:
Wir dürfen helfen.
Wir dürfen in einer Welt leben, wo Grenzen, politische Interessen,
unwürdige Abkommen einfach zur Seite geschoben werden.
Voller Kraft gehen Menschen ans Werk.
Nächstenliebe ist nichts mehr, wofür man sich schämen muss.
Nicht alles läuft nach Plan, aber doch durchdacht und so geordnet, wie nur möglich.

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Alles ist vorbei,
die Hoffnung gestorben,
der Raum zum Leben eng.
Trauer und Furcht vor dem, was kommt, frisst das Leben auf.
Maria und Marta trauern um ihren Bruder Lazarus.
Vier Tage ist er schon tot.
Wie sollen sie ohne ihn leben?
Jesus kommt nach Bethanien.
Zu spät.
Gegen die Realität des verwesenden Leichnams kann er nichts tun.
Sagt Marta, sagt Maria.
Ach, wenn du doch eher gekommen wärst.
Jetzt lässt sich nichts mehr verschieben.
Der Stein liegt vor dem Grab.
Und Jesus gehen die Augen über.
Er weint mit ihnen, schluchzt.
Er wütet gegen den Tod. Gegen die Enge des Lebens.
Wütet gegen das Herzeleid, gegen den Verlust des geliebten Freundes.
Mit den anderen steht er vor dieser unbeweglichen Grenze.
Alle Gefühle laufen ins Leere.
Eine Welt ohne Zauber.
Da betet er.
Betet zu Gott, dass hier der Glaube nicht endet.
Dass die Menschen mit ihm weitergehen und nicht aufhören, an eine Welt zu glauben, in der der Zauber der Liebe lebt.
Und er erlebt es.
Erlebt Gottes Liebe.
Erlebt Gottes Kraft.
Erlebt, dass Trauer und Furcht weichen und ein anderer Geist in ihm Platz nimmt.
Der macht ihm Mut, sich Freiheiten heraus zu nehmen, wie sie nur in Märchen vorkommen, Märchen, wie die Liebe sie schreibt.
Jesus darf seine Stimme erheben.
Darf rufen: Komm heraus, Lazarus.
Erlebt mit den anderen:
Da kommt einer wieder ins Leben, der eigentlich nicht mehr dazu gehört,
der abgeschrieben war.
Zauberei ist in der Welt. Unglaublich.
Sie wissen alle: Es ist noch nicht das Ende der Welt,
es ist auch noch nicht das Ende des Todes.
Aber es ist das Ende der Enge, die Maria und Martha die Kehle zuschnürt.
Furcht und Trauer weichen einer zauberhaften Leichtigkeit,
zeigen eine andere Welt, genauso real wie die Enge zuvor.
So undenkbar und doch so einfach: Gott ist da.
Er ist da, und wir stehen nicht alleine vor den Grenzen und den Gräbern.
mit unserem Schmerz und unserer Trauer und unsere Wut über die Ungerechtigkeit.
Gott ist da, hier in unserer Welt, und bringt Leben in unbewegliche Steine, immer wieder.
Die Welt rückt sich zurecht wie durch Zauberei. Unglaublich.

Uns gehen die Augen auf.
Wir sehen: Gott hat vor der Zeit diese Welt mit Liebe geschaffen.
Wir spüren die unvergängliche Kraft dieser Liebe zu allen Menschen,
in allen Kontinenten.
Gott ist da und deshalb sitzen sie nun tatsächlich wieder zusammen,
Maria und Marta und Lazarus,
und essen mit Jesus und den anderen.
Die Sonne scheint.
Langsam nimmt das Leben wieder Fahrt auf.
Die ersten Worte fallen.
Ein Lachen, ein liebevoller Blick.
Ein offener Raum mit Tagen, die vor ihnen liegen.
Undenkbar, sich jemals wieder zu fürchten.

7 (Denn) Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, 10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Die Furcht weicht.
Es ist ans Licht gebracht worden.
Wir sehen:
Die Enge, das Leid vieler Menschen in dieser Welt ist nicht Gottes Werk.
Auch nicht die Sorge: Was geschieht, wenn noch mehr kommen?
Wie sollen wir das schaffen?
Auch nicht die Kontrollsucht: Wir können das doch nicht einfach laufen lassen, sie nicht einfach hineinlaufen lassen zu uns, in unsere sichere Burg.
Schon gar nicht die hilflose Brutalität: Bis hierher und nicht weiter,
die in den letzten Tagen versucht die Welt wieder eng werden zu lassen.

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Eine andere Kraft ist in der Welt, eine andere Kraft als die Furcht.
Diese Kraft war schon immer da, hat sich immer wieder gezeigt, auch durch Menschen.
In den letzten Wochen hat sie uns in Bewegung gebracht.
Und Gott sei Dank: Das wirkt so, aber es ist keine Zauberei.
Die Liebe ist da, weil Gott da ist.
Wir können sie nicht selber schaffen.
Aber wir können ihr Raum geben,
uns selig, glücklich machen lassen von Gott,
der uns auf den freien Weg Jesu berufen hat.
Wir können uns von Gott bewegen lassen, herausholen lassen aus der Furcht.

Denn etwas Unvergängliches ist ans Licht gekommen.
Gott hat uns die Welt im rechten Licht gezeigt.
Das, was wir an Sicherheit meinten zu haben, ist falscher Zauber.
Unser Wohlstand, alles Materielle, worauf wir unser Leben bauen,
das kann so plötzlich verschwinden wie Aladins Schloss.
Das ist uns ganz klar geworden.
Denn jetzt kommt Bewegung in das festgefahrene Leid.
Gott sei Dank. Denn das konnte ja nicht so weiter gehen.
Jetzt, ein wenig, aber immerhin, kommt Licht in scheinbar Unveränderliches.
Leicht eigentlich, ohne Gewalt, fast selbstverständlich.

Der Raum zum Leben weitet sich,
Menschen gehen weiter und lassen sich nicht aufhalten,
sie vertrauen uns, dass wir sie aufnehmen werden,
sie sind sicher, dass das Mitgefühl siegen wird.
Und wir sind erleichtert darüber, dass Menschen aus der Hölle des Krieges entkommen sind.
Der Raum zum Leben weitet sich.
Und wird immer weiter werden.
Wir haben keine Angst vor Veränderung mehr.
Wir tun, was wir eben tun können.
So wie in diesen Tagen etwa.
Die Luft zum Atmen strömt herein.
Liebe und Freundlichkeit breiten sich aus,
Und die Furcht, die das Leben auffrisst, weicht.
Wir sitzen mit den neuen Menschen in unserem Leben an einem Tisch,
so wie es eigentlich gedacht war und können es kaum glauben.
Aber es ist wahr.
Es geht und es wird und muss weitergehen.
So etwas Großartiges kann man doch nicht aufhalten wollen.
Die Sonne scheint viel in den letzten Tagen.
Langsam nimmt das Leben wieder Fahrt auf.
Wir teilen das Essen auf dem Tisch.
Und wenn man uns Hippies schimpft, dann lächeln wir.
Es ist leicht, viel leichter als gedacht.
Die ersten Worte fallen.
Ein Lachen, ein freundlicher Blick.
Ein offener Raum mit Tagen, die vor uns liegen.
Undenkbar, sich jemals wieder zu fürchten.

Ich weiß, ich sollte jetzt von der zunehmenden Enge reden, die die letzten Tagen bestimmt hat,
auch von den Menschen, die erschöpft festsitzen in Ungarn, in Kroatien.
Aber ich will nicht.
Ich denke, wir wissen alle:
Das können die Regierenden versuchen, aber das lässt sich nicht mehr aufhalten.

Gott sei Dank.
Wir dürfen in einer Welt leben, in der die Liebe zu den Menschen das Wort ergreift, gegen alle Widerstände.
In diesen Tagen hat die Liebe die Furcht überredet, den Mund zu halten,
und diese Tage werden weiter gehen.
Die Menschen werden weiter zu uns kommen.
Ganz sicher.
Die Grenzen werden sich weiten.
Und wir, wir werden uns den Zauber der Liebe nicht aus der Hand nehmen lassen.
Ganz sicher.
Wir werden daran festhalten, wie Aladin an seiner Lampe und an seinem Glück.
Und wir werden besonnen und voller Kraft weiter tun, was zu tun ist.
Gott hat uns die Liebe überreichlich geschenkt,
Und Gott nimmt kein Geschenk wieder zurück.
Er ist so zauberhaft und gütig.
Immer wieder steht er uns in der Enge bei und öffnet uns die Augen.
Immer wieder.

Doch jetzt gerade, jetzt singt er fröhlich und reibt sich die Hände:
Tatsächlich, sie haben es verstanden.
Ich habe ihnen nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Amen

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