Samstag, 14. November 2015

Mt 25, 31-46 Vorletzter Sonntag 2015


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Der Schuster Wilhelm Voigt  blickt auf ein verpfuschtes Leben zurück.
Im Knast hat er gesessen. Um 300 Mark ging es.
15 Jahre hat man ihm dafür gegeben.
18 war er damals.
Und dann kamen nochmal zwei Jahre für Urkundenfälschung dazu, als er seine Vergangenheit löschen wollte.
Davon erzählt Carl Zuckmayer in seinem Hauptmann von Köpenick.
Aber Wilhelm will nicht aufgeben.
Er hat keinen festen Wohnsitz.
Die Ausweisung aus dem damaligen Preußen droht ihm.
Keiner will ihn arbeiten lassen, keiner gibt ihm einen Platz in der Welt.
Wilhelm will sich nicht damit abfinden.
Er stellt sich das Ende seines Lebens vor und sagt:
„Und dann, dann stehste vor Gott, dem Vater, der alle aufjeweckt hat, vor dem stehste dann, und der fragt dir,
ins Jesichte:
Willem Voigt, wat haste jemacht mit deinem Leben?
Und da muß ick sagen: Fußmatten, muß ick sagen, die hab ick jeflochten im Jefängnis.
Und dann sind se alle drauf rumjetrampelt .
Und zum Schluß haste jeröchelt und jewürgt um das bißchen Luft, und dann war´s das.
Det sachste vor Gott.
Aber der sacht zu dir: Jeh weck, sacht er! Ausweisung! Sacht er.
Dafür hab ick dir das Leben nicht jeschenkt! Sacht er.
Du bist mir dein Leben schuldig jeblieben.
Wo is et? Wat haste mit deinem Leben jemacht?“

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden.

Großer Bahnhof wird sein an dem Tag, an dem Gott die Welt richtet, sagt Jesus
und führt seinen Zuhörern ein großartiges Kino vor mit dem Titel:
Wenn der Menschensohn kommt.
Sie sehen einen Richterstuhl, hoch oben und Jesus sitzt dort.
Er ist nicht wieder zu erkennen,
der Wanderrabbi, der mit ihnen unterwegs war auf den staubigen Wegen Galiläas
und der jetzt an einem seiner letzten Tage mit ihnen auf dem Ölberg sitzt, hier in Jerusalem.
Weißes Licht, himmlischer Glanz hüllt ihn ein.
Engel, wohlgemerkt alle Engel, stehen ihm zur Seite.
Gott hat ihn eingesetzt als Richter über alle Welt.
Er sitzt auf dem Richterstuhl und vor ihm die versammelte Menschheit,
alle Völker, alle Menschen, die leben und jemals gelebt haben sind da.
Es ist still.
Die Menschen haben Angst. Manche sehr zu Recht.
Alle wissen, der Tag ist da.
Und er wird das Urteil über die Welt sprechen.
Großes wird erwartet.
Der Himmel ist geöffnet, da wird die Erde nicht bleiben, wie sie ist.
Der da sitzt hat alle Macht der Welt, das sehen sie.
Er kann mit einem Fingerschnipsen die Kontinente verschieben,
Meere aufschäumen.
Er kann Feuerflammen schicken oder auch Manna vom Himmel regnen lassen.
Was wird er tun?
Er tut nichts. Nichts Großartiges.
Er gruppiert die Menschen etwas um.
Die einen sortiert er zur Rechten und die anderen zur Linken.
Das war’s.
Die Menschen sind verwirrt.
Da ist keine Ordnung mehr zu erkennen.
Eine bunte Mischung von Menschen aller Nationalitäten und Religionen, von arm und reich steht auf der einen und auf der anderen Seite.
Was soll das?
Jesus wendet sich denen zur Rechten zu und lächelt und sagt:
Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.
Euer Tun zeigt, wie die Welt eigentlich sein soll. Ihr seid gesegnet. Ihr zeigt den Weg zum Leben.“
Und das Licht, das ihn umhüllt, fließt auf diese Menschen zur Rechten über.
Aber die Verwirrung legt sich nicht.
Was haben wir schon getan, das wir das verdienen?
Und auch die zur Linken wissen nicht, womit sie es verdient haben,
das Dunkel, das sich um sie herum ausbreitet  und einhüllt in dichten Schwaden.
D.h. sie wissen es schon, aber eigentlich, denkt einer, gehört doch der  mit der Supermarktkette nicht auf die rechte Seite. So ein reicher Schnösel. Warum stehe ich hier? Habe doch nichts wirklich falsch gemacht. Sogar meine Steuern habe ich bezahlt.
Jesus sieht die Verwirrung und stellt den Menschen eine einfache, eine sehr persönliche  Frage:
„Wat haste mit deinem Leben jemacht?“
Und bevor sich ein Stimmengewirr erheben kann und jeder seine persönlichen Lebenslage schildern und erklären kann, hebt Jesus abwehrend die Hand und deutet auf den Boden:
Die Menschen folgen seinem Finger und sehen Bilder,
Bilder von Menschen im Gefängnis in Isolierhaft,
Hungernde am Wegesrand,
Kranke in den Betten,
erschöpfte Fremde, die an Türen klopfen,
Durstige, die sich um ein ausgetrocknetes Wasserloch drängen,
Menschen mit zerfetzter Kleidung am Leib, die sich gerade aus einem zerstörten Haus in Damaskus retten.
Alle blicken zu Jesus mit der stummen Frage: Was soll das?
Und Jesus zeigt wieder nach unten.
Und sie sehen eine Hand, die einen Becher reicht,
sie sehen eine Tür die sich öffnet und jemand bittet den Fremden herein,
sie sehen einen zerwühlten Kleiderschrank und einen, der liebevoll die besten Stücke herausnimmt, um sie zu verschenken.
Der eine auf der dunklen Seite sieht den Supermarktbesitzer an einem Tag den vorbeilaufenden Flüchtlingen Kekspackungen und ein freundliches Lächeln mit auf den Weg geben.
Das Licht breitet sich aus über die Erde,
immer weiter,
bis jede Erinnerung an Hunger und Gewalt und Leid verschwunden ist.
Die Menschen schauen ergriffen auf diese helle Welt,
in der sich Frieden auf die Wiesen und Berge, auf die Wüsten und Meere,
auf die Städte und Dörfer legt wie ein warmer Lufthauch.
Die Stimme von Jesus holt sie zurück, die Menschen zur Rechten und die zur Linken, die nun betroffen zu Boden blicken.
Was ihr einem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr auch mir getan, erklärt er.
Und fügt hinzu und wir wissen nun, woher Carl Zuckmayer seinen großartigen Satz hat:
Erst kommt die Wanze, dann die Wanzenordnung.
Erst kommt der Mensch, dann die Menschenordnung.
Die Bilder verblassen.
Die Jünger und die anderen, die sich um Jesus versammelt haben, kehren wieder zurück in die Wirklichkeit.
Sie sind wieder auf dem Ölberg, in der Stadt Jerusalem.
Jesus schaut in die Gesichter und seufzt.
Er weiß, sie werden ihren Weg weitergehen.
Sie werden sich immer wieder Mühe geben und versuchen auf dem Boden zu bleiben.
Sie werden versuchen, dem anderen ein Mensch zu sein, mit offenem Herzen und offenen Händen.
Das macht ihm Mut.
Er will daran glauben, dass sie tun, was in ihrer Macht steht, das Gute tun und dadurch anderen Mut machen. 
Er will und er kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass Gewalt und Tod weichen.
Jesus seufzt wieder.
Aber Gott wird dennoch ein großes Herz haben müssen, wenn er ihnen verzeihen will, was ihnen sonst noch einfällt.
Und Jesus wird seinen Weg weitergehen und weitergehen müssen,
wird Mensch unter Menschen bleiben, wird dem Tod begegnen,
dem Gott mit Leben und Vergebung antwortet,
damit der Weg der Menschen weitergehen kann
und die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit nicht stirbt,
sondern im Bereich des Möglichen bleibt. Für alle.

Volkstrauertag.
Ein Volk trauert in diesen Tagen, unter Schock.
Und viele Menschen in der Welt schauen mit Entsetzen auf Paris.
Und mit Angst.
Wieder ist deutlich geworden:
Keine Macht und keine Ordnung der Welt können verhindern,
dass Menschen morden und zerstören.
Der einzelne Mensch hat eine Macht, die keine Menschenordnung bezwingen kann,
die Macht das Gute zu tun und die Macht zum Bösen.
Die Nacht von Freitag auf Samstag hat uns Bilder  aufgezwungen, 
Bilder wie aus einem Horrorfilm im Kino.
Aber das war kein Kino.
Menschen haben gemordet, erbarmungslos und ohne einen Funken Mitgefühl im Herzen.
Viele junge Menschen sind gestorben.
Sie werden keine Chance mehr haben, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Sie sind an Orten gestorben, an denen sie sich sicher fühlten,
bei einem Konzert, in Bars, vor einem Fußballstadion.
Großer Schmerz und große Trauer sind die Folge und wieder einmal das sichere Wissen:
Das kann überall geschehen.
Keine Macht, keine Kontrolle,
kein Militär und keine Ordnung der Welt können verhindern, dass Menschen morden und zerstören.
Auch wenn Präsident Hollande starke Worte findet:
„Wir werden den Kampf anführen. Wir werden gnadenlos sein.
Frankreich wird sich von dieser Barbarei nicht beeindrucken lassen.“,
so sind doch der Schmerz und die Hilflosigkeit, die aus diesen Worten sprechen, überdeutlich.
Irgendetwas tun, wo doch nichts mehr getan werden kann,
Grenzen schließen, den Notstand ausrufen.
Hilflose Gesten eines Landes, das große militärische Macht hat und einsetzt und keine Möglichkeit hat, solche Taten zu verhindern.
Genauso wenig wie wir.

Das Traurige ist: So sehr uns diese Ereignisse schockieren, sie sind nichts Neues.
Jeden Tag ergeht es Menschen so.
Bomben und Schüsse fallen in vielen Ländern dieser Welt.
Aber sie fallen nicht auf Länder.
Sie fallen immer auf einzelne Menschen.
Sie töten und zerstören junge und alte Menschen. Jeden Tag.
Sie sähen Verzweiflung und Trauer und Hass. Jeden Tag.
Krieg und Terror sind auch letzte Woche schon ein Teil der Welt gewesen.
In Beirut beispielsweise vor vier Tagen  ein Doppelanschlag, auch von der IS.  41 Tote.
Auch die Gewalt, die von westlichen Staaten ausgeht, gehört dazu,
die nicht tatenlos zusehen wollen und können, wie der IS mordet,
aber auch wissen, dass ihre Gewalt immer wieder neue Gewalt gebären wird.

Wir stehen davor und sind hilflos.
So ein großer Schmerz, wie ihn die Menschen in Paris oder auch Beirut in diesen Tagen empfinden, macht stumm.
Wir sind uns bewusst, dass wir als einzelne Menschen nicht die Macht haben, so etwas zu verhindern.
Wir können auch nicht das Morden im Libanon, dem Irak und in Syrien aufhalten.
Aber wir können etwas tun,
mit unserer kleinen Kraft und unserer großen Macht, die Gott jedem Menschen zugestanden hat:
Wir können wählen.

Wir können der Angst und dem Hass nachgeben,
uns vergiften lassen von den Gewalttaten der anderen,
indem wir Gewalt zurückgeben oder zumindest misstrauisch und abwehrend werden gegenüber allem, was uns verunsichert.
Das wird ein Weg sein, den Menschen nach diesen Tagen wählen werden.

Wir können schweigen und den Schmerz und die Hilflosigkeit aushalten und mit unserem Mitgefühl bei denen sein, die trauern und verzweifelt sind.
Und wir können uns in dieser Stille von Jesus fragen lassen:
Wat machste aus deinem Leben?
Und dabei wissen:
Er will trotz allem,
trotz der Kriege und des Unrechts der Vergangenheit und Gegenwart,
dass wir auf diese helle Welt blicken, die er uns gezeichnet hat,
in der sich Frieden
auf die Wiesen und Berge,
auf die Wüsten und Meere,
auf die Städte und Dörfer legt wie ein warmer Lufthauch
und der Mensch dem anderen ganz einfach ein Mensch ist,
vor jeder Ordnung.
Er will, dass wir ihm nachfolgen.
Amen



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