Mittwoch, 30. Oktober 2013

Anspiel und Predigt zum Reformationstag 2013 Luther in Worms, Jes 62, 6.7.10-12



Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Martin Luther in Worms

Pfarrerin              Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Ein berühmtes Wort, auch wenn Martin Luther, dem man es in den Mund gelegt hat, es nicht gesagt hat.
Aber das macht nichts, denn es gibt seine Haltung gut wieder.
Ich kann nicht anders, ich muss so reden und handeln. So redet jemand, der in die Ecke gedrängt wird und sich verteidigen muss und dabei keinen Schritt von seiner Haltung abrücken kann.
Wie das aussehen kann, dazu ein kleines Beispiel von heute.

Mutter:                Lars, das große Glas mit dem Kleingeld ist leer.
Lars:                    Ja.
Mutter:                Was heißt hier „Ja?!“
Lars:                    Ja, es ist leer.
Mutter:                Und warum ist es leer?
Lars:                    Weil ich es geleert habe.
Mutter:                Auf den Gedanken bin ich auch schon gekommen. Und warum hast du es geleert?
Lars:                    Weil ich das Geld brauchte.
Mutter:                Und wofür? Verdammt noch mal, Lars, lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Das waren über 200 Euro. Die haben wir doch für den Urlaub gespart, für Eis und so weiter. Und ich will sofort wissen, was du damit gemacht hast.
Lars:                    Also, das war so. Es klingelte vorhin an der Tür und da war ein alter Mann und der fragte, ob er etwas zu essen haben könnte.
Mutter:                Du sollst doch Fremden nicht die Tür aufmachen.
Lars:                    Und der tat mir so leid und die Religionslehrerin hat gesagt, Jesus wollte, dass wir überschwänglich die Liebe Gottes weitergeben. Und da dachte ich, ein Brot, das ist nicht überschwänglich.
Mutter:                Erzähl mir nicht, du hast ihm das ganze Geld aus dem Glas gegeben?!
Lars:                    Doch. Ich konnte nicht anders. Ich wollte ihn unbedingt glücklich machen. Weil Gott doch alle liebt und ihm ist es egal, ob da ein alter Säufer steht. Der kriegt auch eine Chance.
Mutter:                Eine Chance sich bei Aldi mit dem Nötigsten zu versorgen. Bei dir piept’s wohl. Ein alter Säufer läuft nun rum mit meinen Euros.
Lars:                    Unseren Euros.
Mutter:                Sei still! Du kannst doch nicht jedem, der klingelt, einfach unser Geld geben.
Lars:                    Ich weiß. Nicht jedem. Nur ihm. Und nun ist das Glas ja auch leer. Aber der war so glücklich.
Mutter:                Kein Wunder.
Lars:                    Nicht nur wegen des Geldes.
Mutter                 Wie konntest du das nur tun?!
Lars:                    Tut mir leid, ich konnte nicht anders. Es drängte mich Gutes zu tun.
Mutter:                Es drängte...? Ich weiß eine ganze Menge, was du tun könntest, ohne unser Geld einfach wegzugeben. 

Pfarrerin:             Die Diskussion ist noch nicht zu Ende, wie Sie sich denken können. Aber für unsere Zwecke reicht es. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, als von der Liebe Gottes zu reden und danach zu handeln.
Schauen wir auf eine Szene in Martin Luthers Leben, eine wichtige, die die Weichen in seinem Leben endgültig gestellt hat und zu den schwersten Stunden seines Lebens gehört.
Wir befinden uns in Worms im Jahr 1521.
Der Kaiser hat Luther auf den Reichstag bestellt. Zum Verhör. Und Luther soll seine Schriften wiederrufen. Wird er das tun oder bei seiner Erkenntnis von Gott und bei seiner Kritik an der Kirche bleiben?
Machen wir ihm Mut mit folgendem von ihm selbst gedichteten Lied: 

299, 1.3 Aus tiefer Not schrei ich zu dir

Hier haben wir den Kaiser Karl. (Karl kommt herein und nimmt Platz). Er will ein Universalkaiser werden und ist auf dem besten Wege dorthin. Gerade zwei Jahre zuvor ist er von den Fürsten als König bestätigt worden, was ihn viel Geld gekostet hat. Dass da so ein kleiner Mönch beginnt, an den Grundpfeilern der Kirche zu rütteln, passt ihm gar nicht. Karl ist ganz auf der Seite der katholischen und damals einzigen Kirche.
Karl:                    Ich werde diese Reformation im Keim ersticken.
Pfarrerin:             Dann der Orator, eine Art Regierungssprecher. (Orator kommt)
Orator:                 Haben eure Majestät Befehle?
Pfarrerin:             Dann gab es natürlich viel Publikum, das wir hier ein wenig  reduziert haben  (zwei kommen)
Zuschauer 1:        Wehe, Luther wird schwach. Ich habe einen Taler darauf gesetzt, dass er durchhält.
Zuschauer 2:        Das ist aber unfein. Ich drücke ihm auch so die Daumen, im Namen der Freiheit.
Pfarrerin:             Im Publikum sitzt auch der Vater von Luther. (Vater kommt)
Vater:                   Mein Sohn ist größenwahnsinnig. Ich hätte ihn einsperren sollen, als er ins Kloster wollte. 
Pfarrerin:             Und wir haben Luther selber. (Luther tritt vor den Kaiser).
Luther:                 (Kommt rein, stellt sich vor den Kaiser und neigt etwas den Kopf.)
Zuschauer 1:        Schau dir den an. Der kniet ja nicht mal.
Zuschauer 2:        Der ist toll. Ich habe eine Predigt von ihm gehört. Gott straft nicht, Gott öffnet uns die Tür zum Leben. Er vergibt und liebt uns.
Zuschauer 1:        Seit wann?
Zuschauer 2:        Schon immer.
Zuschauer 1:        Das heißt, das ganze Geld, das ich für den Ablass gegeben habe, um nicht in die Hölle zu kommen, war verschwendet?
Zuschauer 2:        Jap.
Zuschauer 1:        Sauerei.
Zuschauer 2:        Du sagst es.

Karl:                    So, so, Luther.
Luther:                 (hebt den Kopf) Jawohl, kaiserliche Majestät.
Karl:                    Luther, der die Unverschämtheit hatte, die Leute aufzuhetzen.
Luther:                 Zu belehren.
Karl:                    Schweig, du kleiner Mönch mit dem großen Maul!
Luther, das Wildschwein, das im Garten des Herrn wildert und Unfrieden sät. Du hattest sogar die Unverschämtheit, unserem Papst deine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zu widmen.
Luther:                 (Wird immer bescheidener) Ich wollte...
Karl:                    Schweig. Du hast viel Ärger gemacht.
Luther:                 (ängstlich) Ich weiß.
Karl:                    So, so, du weißt. (drohend) Dann weißt du ja auch, was passiert, wenn du deine Schriften nicht widerrufst?
Luther:                 Ja.
Kaiser:                 Orator?
Orator:                 Mein Herr?
Kaiser:                 Die Bücher.
Orator:                 Sehr wohl, mein Herr und Kaiser. (holt stapelweise Bücher und legt sie vor Luther hin.) Sind das deine Bücher?
Luther:                 Sieht so aus.
Orator: (wird lauter)  SIND DAS DEINE BÜCHER?!
Luther:                 Ja.
Orator:                 Wirst du die darin enthaltene Lehre widerrufen oder bestehst du darauf, dass du Recht hast.
Luther:                 (zögert, blickt sich um, richtet sich dann gerade auf und sagt fest)
 
Zwei Fragen sind mir von der kaiserlichen Majestät vorgelegt worden: ob ich alle Bücher, die meinen Namen tragen, als meine anerkennen wolle, und ob ich diese verteidigen oder widerrufen wolle.
Darauf will ich klar und deutlich antworten: Die jetzt genannten Bücher erkenne ich als meine Bücher an.
Zur zweiten Frage aber kann ich nicht in Kürze Antwort geben. Denn sie ist eine Frage des Glaubens und der Seelen Seligkeit. Deshalb wäre es gefährlich, wenn ich mich hier unbedacht äußern würde. Dies würde mir das Urteil Christi einbringen: "Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will auch ich verleugnen vor meinem himmlischen Vater." Deshalb bitte ich von der kaiserlichen Majestät untertänig Bedenkzeit, damit ich ohne Gefahr für meine Seligkeit auf die Frage richtig antworte.
Kaiser:                 Was für ein Geschwätz. (berät sich flüsternd mit dem Orator)  Also gut. Morgen will ich deine Antwort.
Zuschauer 1:        Oh, oh, das sieht nicht gut aus.
Zuschauer 2:        Hach, was für ein toller Mann, ein Bild von einem Mann, von Mut und Kraft.
Vater:                   Mut und Kraft? Dass ich nicht lache. Der Bengel da vorne ist mein Junge. Ich habe in den Kerl investiert. Schulbildung, Universität.
Ich habe versucht einen Mann aus ihm zu machen. Und was macht der Kerl? Macht sich bei einem Blitzeinschlag in die Hose und verspricht ins Kloster zu gehen. Dort macht er sich weiter in die Hose, weil er so einen Schiss vor Gott hat und vor den Höllenstrafen.
Als ob ein vernünftiger Mann sich groß darum kümmert.
Man geht seinen Geschäften nach und zahlt den Ablass und macht sich nicht mehr Gedanken als nötig.
Dann verschüttet er bei seiner Priesterweihe beim ersten Abendmahl vor lauter Angst den Wein.
Und jetzt? Jetzt faselt er von der Liebe Gottes und der Freiheit der Menschen vor Gott. Und weil die Leute ihm scharenweise nachrennen, beschließt er es mit der ganzen Kirche und dem Kaiser aufzunehmen.
Der Junge spinnt.
Zuschauer 1:        Aber nein. Er ist ein Held.
Vater:                   Ein Held? Lassen Sie mich bloß mit diesem Mist in Ruhe.
Pfarrerin:             Die Nacht, die Luther schlaflos verbrachte, war keine angenehme. Noch konnte er zurück in den Schoß der Kirche. Eine andere gab es nicht. Durfte er wirklich so vermessen sein und gegen den Kaiser und gegen den Papst auftreten? Aber andererseits konnte er wirklich wieder hinter das zurück, was er erkannt und verkündet hatte? Nein. Der nächste Morgen kam und Luther kam wieder vor den Kaiser.

Kaiser:                 So, so, Luther.
Luther:                 Ja, kaiserliche Majestät?
Kaiser:                 Ausgeschlafen?
Luther:                 Gar nicht geschlafen, kaiserliche Majestät.
Kaiser:                 Selbst schuld. Orator!
Orator:                 Sind das deine Bücher?
Luther:                 Ja.
Orator:                 Wirst du die darin enthaltene Lehre widerrufen oder bestehst du darauf, dass du Recht hast?
Luther:                 Wenn diese Bücher nicht listig geändert wurden und es wirklich die sind, die ich geschrieben, dann habe ich folgende Antwort:
Meine Bücher haben nicht alle den gleichen Inhalt. In einigen habe ich vom christlichen Glauben und von guten Werken so christlich gelehrt, dass sogar der Papst bekannt hat, sie seien nützlich, ja würdig, von christlichen Herzen gelesen zu werden, obwohl er auch diese verurteilt.
Wenn ich diese Bücher widerrufen wollte, was würde ich dann tun? Ich würde als jemand dastehen, der die von Freund und Feind einmütig bestätigte Wahrheit plötzlich leugnen würde.
Kaiser:                 Zur Sache, Luther, aber ein bisschen plötzlich.
Luther:                 In einer zweiten Abteilung meiner Bücher werden das Papsttum und die päpstliche Lehre angegriffen. Denn von ihnen ist mit falscher Lehre, bösem Leben und ärgerlichen Erscheinungen die Christenheit an Leib und Seele verwüstet worden. (senkt den Kopf, als müsste er wieder Kraft holen.)
Zuschauer 2:        Der ist lebensmüde.
Zuschauer 1:        Keine Sorge. Sein Freund, der Kurfürst Friedrich, hat für ihn freies Geleit erwirkt. Selbst wenn der Kaiser den Bann über ihn verhängt und ihn für vogelfrei erklärt, dann kommt er hier lebend raus.
Zuschauer 2:        Bis an der nächsten Ecke die Soldaten warten.
Vater:                   Ruhe. Ich will zuhören.
Luther:                 Dies kann niemand bestreiten, und alle frommen Menschen klagen darüber, dass durch die päpstlichen Gesetze und Menschenlehren die Gewissen der Christgläubigen beschwert und gequält worden sind.
Wenn ich nun diese Angriffe widerriefe, dann würde ich die päpstliche Gewaltherrschaft unendlich stärken.
Kaiser:                 Die päpstliche Herrschaft ist eine segensreiche für die Welt. Sie gehört gestärkt.
Luther:                 Nein. Wenn ich widerriefe, würde ich ihrem gottlosen Wesen nicht nur die Fenster, sondern auch Tor und Tür öffnen. Sie könnte dann noch viel freier wüten, denn sie könnte sich dann auf meinen Widerruf berufen.
Kaiser:                 Du bist lebensmüde. Der Papst ist unfehlbar und ich werde die Einheit der katholischen Kirche wahren und verteidigen, solange noch ein Atemzug in mir ist. Kannst du die Welt ohne die Kirche vorstellen, die du im Begriff bist zu zerstören?
Luther:                 (schweigt)
Kaiser:                 (schüttelt den Kopf) Weiter.
Luther:                 Die dritte Gruppe meiner Bücher richtet sich gegen jene Personen, die die päpstliche Gewaltherrschaft verteidigt und meine Auslegung der gottseligen Lehre angegriffen haben.
Gegen diese bin ich - das bekenne ich - manchmal etwas scharfer und heftiger vorgegangen, als es unter Christen richtig gewesen wäre. Ich mache mich nicht zu einem Heiligen; es geht jedoch nicht um meine Eigenarten, sondern um die Lehre Christi.
Deshalb kann ich auch diese Bücher nicht zurücknehmen. Würde ich sie widerrufen, so würde ich die päpstliche Gewaltherrschaft und ihre gottlosen Folgen unterstützen. Das Leiden des Volkes Gottes würde dadurch noch viel schlimmer als es jetzt schon zu beklagen ist.
Für alle meine Bücher gilt: Weil ich nur ein Mensch, nicht Gott bin, darum kann ich sie nicht anders verteidigen als mein Herr und Heiland Jesus Christus. Dieser hat in seinem Verhör vor dem Hohepriester Hannas, als dessen Knecht ihm eine Ohrfeige gab, geantwortet:
Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse war. (Job 18,22 f.) Wenn nun Jesus bereit war, sich widerlegen zu lassen, und sei es von einem unbedeutenden Knecht, dann muss ich erst recht begehren, mich eines Besseren belehren zulassen.
Kaiser:                 (schreit) Vergleichst du dich etwa mit Jesus Christus, unserem Herrn?!
Orator:                 Beruhigt euch, Eure Majestät. Lasst euch von diesem Lausbuben nicht aus der Fassung bringen.
Kaiser:                 (atmet tief durch)  Weiter.
Luther:                 Darum ersuche ich Eure kaiserliche Majestät, kurfürstliche und fürstliche Gnaden, und jedermann, er sei hohen oder niedrigen Standes, mir aus der Bibel nachzuweisen, dass ich mich geirrt habe.
Dann  werde ich alle Irrtümer widerrufen;
dann werde ich der Erste sein, der meine Bücher ins Feuer wirft.
Kaiser:                 Orator, das ist ja nicht zum Aushalten. Weise ihn zurecht.
Orator:                 Hör zu, du Kretin, wir wollen eine Antwort, eine klare Antwort auf eine klare Frage, eine Antwort ohne Hörner und Zähne, eine Antwort auf die Frage: Wirst du wiederrufen?!
Zuschauer 1:        Jetzt kommt’s.
Zuschauer 2:        Los Luther. Bleib standhaft. Wir hoffen auf dich.
Vater:                   Wenn der jetzt nicht sofort den Schwanz einzieht, ist er nicht mehr mein Sohn. Ich kann ohnehin mein Geschäft kaum aufrechterhalten, seitdem er so große Reden schwingt.
Zuschauer 1:        Aber Herr Luther. Ihr Sohn macht gerade Weltgeschichte und Sie reden vom Geschäft.
Zuschauer 2:        Still er redet weiter.
Luther:                 Weil Eure kaiserliche Majestät, kurfürstliche und fürstliche Gnaden eine einfache und richtige Antwort wünschen, so will ich sie auch ohne Hintergedanken geben:
Überzeugt mich mit den Zeugnissen der Heiligen Schrift,
oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen, also mit den Bibelworten und Argumenten, die von mir beigebracht worden sind.
Denn die Autorität von Papst und Konzilien allein überzeugt mich nicht, da sie offenkundig oft geirrt und gegen Schrift und Vernunft gestanden haben. Nur wenn mein Gewissen in Gottes Wort gefangen ist, will ich widerrufen. Denn es ist nicht geraten, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen. (dreht sich um und geht).
Kaiser:                 Halt!
Luther:                 Nein.
Kaiser:                 So eine Unverschämtheit! (berät sich flüsternd mit dem Orator. Der nickt und stellt sich dann wieder auf.)
Orator:                 Im Namen unseres geliebten  Kaisers Karl des V. verkünde ich folgendes Urteil über Martin Luther: Er ist fortan nicht mehr Mitglied der einzigen rechtmäßigen Kirche. Er steht unter dem Bann, er ist vogelfrei und jeder, der ihm hilft, ihn beherbergt und seine Schriften liest oder weitergibt, wird ebenso bestraft werden.
Zuschauer 1:        Das war’s dann wohl.
Zuschauer 2:        Wart es ab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Reformation noch aufzuhalten ist. Gott sei Dank ist Luther nicht umgekippt.
Zuschauer 1:        Ja, meine Wette habe ich gewonnen.

Pfarrerin:             Luther ging hinaus und rief den Leuten, die auf ihn warteten, erleichtert zu: Ich bin hindurch. Und ich bin mir fast sicher, dass er mit ihnen dann dieses Lied gesungen hat, die Reformationshymne sozusagen. Und wir teilen seine Erleichterung und den Stolz, dass er bei seiner Überzeugung geblieben ist und singen:
362, 1-4:              Ein feste Burg ist unser Gott


O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen.
Nicht mehr schweigen, sagen, was ich denke, zu meinen Überzeugungen stehen – dafür ist Martin Luther ein Beispiel.
Das Sympathische an Luther ist für mich,
dass er standhaft bei seiner Überzeugung geblieben ist,
aber sich dennoch, wie sein Vater so zartfühlend gesagt hat,
aber sich vor Angst in die Hose machen konnte.
Er war kein Held im üblichen Sinn.
Luther wurde als Kind von einer strengen Mutter bis aufs Blut verprügelt.
Er wurde von einem ehrgeizigen Vater zu einer Laufbahn gedrängt,
die ihm nur teilweise entsprach.
Seine Fähigkeit, geistig zu arbeiten, hat er ausbilden können,
aber dann wurde er verstoßen.
Er entsprach den Erwartungen seines Vaters nicht,
als er sich entschloss, als Mönch zu leben.
Luther ist mit einer Kirche groß geworden ist, die die Schätze der katholischen Theologie missbrauchte und verunstaltete,
indem sie Macht und Geld wichtiger nahmen als die Menschen.
Er hat den Zorn Gottes ernsthafter gefürchtet als manch anderer und hat sich selber misshandelt.
Eine solche Vergangenheit hinterlässt Spuren, verletzt einen Menschen und lähmt seine Kräfte.
Woher hat Luther die Kraft genommen, es mit Kaiser und Papst aufzunehmen und zu riskieren, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden?
Seine Kraft nahm er aus zwei wesentlichen Quellen:
Die eine war seine großen Erleichterung,
als er Gott entdeckt hat, den liebenden, vergebenden Gott,
der uns nicht mit unerbittlichem, strengem  Auge betrachtet.
Er erkannte, dass er sich Gottes Gunst nicht jeden Tag aufs Neue verdienen muss,
ja als fehlerhafter, verletzlicher Mensch gar nicht kann.
Er erlebte, dass Gott Ja zu ihm sagte, ohne Bedingungen zu stellen.
Er erfuhr Gottes Liebe und Zuspruch, ganz direkt, ganz persönlich und lernte Gott ganz und gar zu vertrauen:
Der aus Glauben Gerechte wird leben, wie es in der berühmten Stelle im Römerbrief heißt. 
Das setzte  viel Kraft bei ihm frei.
Es befreite Luther dazu, auf eigenen Füßen zu stehen, weil er wusste, dass der Boden, den Gott ihm mit seiner Liebe bereitet hat, niemals wanken würde, egal was geschieht.
Mit dieser Erleichterung, mit diesem Ruf in die Freiheit, hat er andere angesteckt. Und sie waren die zweite Quelle seiner Kraft.
Während er dort drinnen stand, beim Kaiser,
standen draußen seine Freunde und Anhänger, die mit ihm Steine ins Rollen bringen und die Welt verändern wollten.
Ohne das Volk, ohne die Hilfe und Unterstützung auch der Fürsten, wäre Luther auf den ersten Metern untergegangen.

O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen.
Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg!
Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Dieser Ruf des Jesaja ist der Ruf, den wir weiter geben sollen.
Wir sind wie Luther von Gott zu Wächtern und Wächterinnen bestellt.
In unserer Stadt, in unserer Welt reden wir auf sein Geheiß,
rufen  wir,
und malen den Menschen die große Erleichterung aus,
die es bedeuten würde, wenn wir der Liebe Gottes vertrauen.
Wir dürfen vergeben und teilen und auf Gewalt verzichten
und dem Rad  der Ungerechtigkeit und Kaltherzigkeit in die Speichen fallen,
das meint,  es habe ein Recht sich ewig weiterzudrehen.
Was für eine Erleichterung, nicht alles einfach mitansehen zu müssen, sondern handeln zu dürfen!
Was für eine Erleichterung sich wie Lars erlauben zu dürfen, Gutes zu tun.
Geht das?
Das geht, wenn wir uns klar machen, das wir nicht allein sind.
Das geht, wenn wir uns in diesem Reformationsjahr, in dem es um Luther und die Politik geht, klarmachen,
dass wir ein Mandat haben von Gott, uns für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und Leuten damit gerne auf die Nerven gehen dürfen.
Das geht.
Was geht?
Den Weg gehen, den uns Jesus vorgelebt hat,
nicht immer genau wissen, wie es weitergeht,
uns fallen lassen zu müssen manchmal,
uns immer wieder an den Händen fassen zu müssen, um nicht umzufallen
und unsere Ohren zu öffnen für Gottes Stimme, die durch Jesaja ruft:
Bereitet dem Volk den Weg!
Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg!
Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Es ist so erleichternd Gott auf seiner Seite zu wissen,
liebevoll begleitend, sanft, aber klar mahnend,
es ist eine große Erleichterung, dass uns Jesus vorangegangen und mit uns auf dem Weg ist,
als unser Bruder, als unser Freund und uns die Tore des Lebens immer wieder öffnet.
Was aber wirklich geht, erfahren wir immer erst in dem Momenten, in denen wir uns Gott anvertrauen,
erfahren wir, wenn wir gemeinsam seinen Weg gehen
und dabei immer wieder voller Erleichterung merken:
Gott uns den Weg schon bereitet, damit wir das Leben miteinander in vollen Zügen feiern können.
Das geht.
Amen



Die Rede Luthers vor dem Kaiser sind O-Ton. Jedenfalls nicht von mir.

 Es folgt das Lied "Was geht" von Olaf Trenn und Günther Brick, leider nicht ins "Sing Jubilate" der EKBO aufgenommen worden.




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