Samstag, 28. Februar 2015

Hebr 11, 8-16 Reminiszere 2015 Der Hunger nach Leben

Hebr 11, 8- 16 Die Gier nach Leben
(Anregungen aus Josuttis, Über alle Engel, Predigten zum Hebräerbrief)




Hebr 11, 8- 16.

Kein maßvoller Text für die Fastenzeit ist der Predigttext für den heutigen Sonntag.
Denn er redet vom Hunger,
dem Hunger, ja der Gier nach Leben.
Er preist die maßlose Suche nach erfülltem Leben
ohne Wenn und Aber,
ohne Sicherheit,
redet von Menschen,
die für ihren Herzenswunsch alles aufgeben,
alles aufs Spiel setzen.

Hebr 11,8-16
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus ohne zu wissen, wohin er kommen würde.
Durch den Glauben ist er ein Gast gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung.
Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren
Baumeister und Schöpfer Gott ist.
Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.
Darum stammen auch von dem einen, der eigentlich schon nicht mehr Vater werden konnte, so viele ab wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, der unzählbar ist.
Diese alle sind gestorben im Glauben und erlangten aber das Verheißene nicht, sondern sahen es nur von ferne,
grüßten es und bekannten, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind.
Wenn sie aber so sprechen, geben sie zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen.
Wenn sie das Land gemeint hätten, von dem sie ausgezogen waren, hätten sie ja Zeit gehabt, wieder umzukehren.
Nun aber sehnen sie sich nach einem besseren Vaterland, nämlich dem himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.

Sie wissen nicht, wohin sie kommen werden.
Sie wissen nur, sie wollen leben.
Sie hungern nach leben,
auch im Alter,
Leben – das heißt Land für sie,
Land mit grünen Wiesen, riesigen Schafherden,
Weintrauben, die ihnen in den Mund hineinwachsen,
und eine feste Stadt, die kein Steppenwind umweht,
ein Traum für Steppenbewohner,
weiß der Himmel, woher sie den haben.

Leben, das heißt, einen guten Namen haben.
Alle sagen:
Abraham und Sara? Ja, kennen wir.
Die stehen auf dem Laufsteg des Lebens und wir sehen sie.

Leben, das heißt aber vor allem, Nachkommen zu haben,
jemandes Vater und Mutter, Großvater und Großmutter, Urahne zu sein,
dessen Geschichte von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Sie wollen nicht, dass man sie aus dem  Buch des Lebens streicht und sagt:
Abraham und Sara? Ja, die gab es wohl mal.
Aber von denen redet keiner mehr.
Gestorben sind sie, alt und enttäuscht, auf ihrer Scholle,
ohne Nachkommen, ohne Hoffnung.
Gelangweilt voneinander und vom täglichen Einerlei,
alt und geduldet und mit dem Nötigsten versehen
von mitleidigen Nachbarn oder dem Essen auf Rädern.
Leben in muffigen Räumen, in die sich kaum ein Gast verirrt.
Keine Enkel, die ihre Weisheit und ihre Liebe brauchen,
toben lachend durch ihre Räume.
Nur die leise Verachtung der Nachbarn:
Die haben ja nicht mal ein Kind zustande gebracht.

So wollen sie nicht aus ihrem Leben gehen.
Sie wissen nicht, wohin sie kommen werden.
Sie wissen nur, sie wollen leben.
Das volle gerüttelte Maß Leben, das wollen sie haben.
Hungrig nach Leben sind sie,
hungrig, fast gierig, als seien sie erst 20 Jahre alt
und die Landschaft des Lebens liege noch offen vor ihnen.
Schamlos sind sie in ihrem Hunger,
peinlich in ihren hemmungslosen Versuchen,
ein Kind zu zeugen,
fruchtbares Land zu finden,
neu anzufangen.
Abraham und Sara, Eltern unseres Glaubens.
Keine vergeistigten Träume sind das,
sehr handfeste Sehnsüchte.

Und Gott schämte sich ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.
 
Sie weiß nicht, wohin sie das bringen wird.
Sie weiß nur, ihr Name soll genannt werden.
Sie hungert nach Leben,
hungert danach gesehen zu werden,
den Glanz ihrer Seele, deren Schönheit nur sie sieht, vor aller Welt zu zeigen,
sie will die Wand zwischen sich und der Welt niederreißen.
Und nutzt dafür ihren Körper,
Maße: 90-60-90,
volle Lippen, gut zum Schminken,
ebenmäßiges Gesicht.
Schlank?
Das wird sie werden, auch gegen ihre Veranlagung.
Sie hungert nach Leben und hofft es, auf dem Laufsteg zu finden,
hungert sich zum Modell,
und in der Folge,
hungert sich fast zu Tode,
bis der Hunger ihre Seele beinahe aufgefressen hat
und kaum etwas von ihrem Traum einer offenen Welt bleibt.
Ein peinlicher Anblick entblößten Hungers nach Leben.

Aber schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihr eine Stadt gebaut.

Frei leben, das wollten sie,
und da war ein Stück Land,
Barracken, alte verfallene Gebäude,
ungenutzt trotz der Wohnungsnot in der großen Stadt Kopenhagen,
das besetzten sie gegen alles Recht im Jahr 1971,
Zeitalter der Hippies und der ersehnten Revolution.
Sie rissen die Zäune nieder und ließen ihre Kinder dort spielen,
fingen an dort zu wohnen,
nannten das Land Freistadt Christiania,
wollten bei Null anfangen, eine freie und selbstbestimmte Gesellschaft gründen,
wollten Ruhe für Meditation und Yoga und keinen Erfolg in der freien Wirtschaft,
wollten physisches und psychisches Leid verhindern,
nahmen auch die Drogensüchtigen auf, die am Rand des Lebens liegen blieben,
Weltverbesserer mit großen Zielen und Suchtkranke auf engem Raum.
Regeln?
Ja, die nötigsten, die Gewalt und Ungerechtigkeit verhindern,
keine Früchte aus Südafrika, keine harten Drogen,
dafür aber Canabis in großen Brocken zum freien Verkauf ausliegend.
Heute: Attraktion der Touristen, die in Scharen kommen,
das Verbotene bestaunen
und den Wind der Freiheit von ferne spüren,
aus der heraus diese Stadt entstanden ist.
Alt sind sie geworden in dieser Stadt,
Hippies mit weißem Haar,
die verheißungsvolle Stadt wurde gebaut, die Verheißung steht noch aus,
immer wieder Übergriffe der Staatsmacht oder auch der Drogenmafia,
immer wieder Anschläge wütender Bürger, oder deren Verachtung,
immer wieder auch Feste und Momente erfüllten Lebens.
Und immer noch der Hunger nach Leben,
nach gerechtem Leben,
unerfüllte Sehnsucht,
aber schamlos gelebt, auch im Alter.

Und Gott schämt sich ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.

Ihre Rechte wollten sie haben,
nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden.
Die schwarzen Amerikaner.
Wollten das Wahlrecht und alle anderen Rechte ebenfalls,
zur Schule, auf die Uni gehen, wo sie wollen,
im Kino nicht die Treppen zum Balkon für Non-Whites steigen,
kein Freiwild für Fanatiker sein,
geachtet leben als Menschen,
erfüllt leben ohne Begrenzung.
Und sie setzten alles aufs Spiel,
ihre Arbeit, ihre Gesundheit, ihr Leben,
auf ihren Märschen durch das Land.
Hungernd nach Leben.
Und sie erreichten viel,
auch wenn sie das verheißene Land bis heute nicht wirklich erreicht haben.

Und Gott schämt sich ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.

Zuhause sein im Land der Verheißung.
Hungernd nach Leben. Erfülltem Leben.
Das hat Abraham und Sara zum Aufbruch getrieben.
„Geh in das Land, das ich dir zeigen werde,
Du sollst der Vater eines mächtigen Volkes sein,“
War das eine klare Prognose, ein sicheres Versprechen Gottes?
Oder war es nicht viel mehr eine Ahnung bei Abraham und Sara,
ein Gefühl von:
So nicht. Das reicht nicht.
Eine Mischung von Hunger nach Leben und Todesangst,
von Neugier und Abenteuerlust,
die ihnen doch gar nicht mehr zustand,
im Alter.
Irgendwo zu Hause sein, das wollten sie.
Und zogen aus, in Zelten zu wohnen.
Und wollten ein Kind, unbedingt,
trotz Menopause und Altersschwäche.
Abraham und Sara,
Vater und Mutter des Glaubens in allen drei großen Religionen.
Glaube, die Kraft etwas zu wollen, was doch offensichtlich über die eigenen Kräfte geht.
Glaube, der Mut aufzubrechen, ohne zu wissen, wohin sie kommen würden.
Glaube, die Zuversicht, dass Gott sie nicht zum Abfall zählt, sie entsorgt auf dem Müllhaufen des Lebens.
Glaube, keine vergeistigte Suche nach dem Himmel,
die handfeste Suche nach dem Himmel auf Erden
auf sehr handfesten Wegen.

Und Gott schämt sich ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut

Abraham und Sara sind aufgebrochen.
In der Fremde wuchsen ihnen die Weintrauben nicht in den Mund,
aber leben ließ es sich da.
Und sie bekamen tatsächlich ihr Kind.
Isaak. Gott lacht.
Gott lacht und schämt sich nicht.
Im Gegenteil: Er setzt noch einen drauf.
Gott preist den Hunger nach Leben, die Sehnsucht nach scheinbar Unerreichbarem
und vergrößert den Traum, lockt mit seiner Verheißung:
Eltern wollt ihr werden?
Das reicht nicht.
Und er führt Abraham unter den Himmel
und zeigt ihm an den Sternen seine künftige Größe als Vater eines ganzen Volkes.
Gott stimmt in Saras Lachen ein und sagt:
Ich sehe was, was du nicht siehst.
Nicht nur Land, nicht nur Zelt, nicht nur Kind.
Ein Volk sehe ich und dazu auch eine Stadt.
Eine Stadt, die alle Träume erfüllt,
die Stadt derer, die nach Leben hungern und deren Träume ins Maßlose gehen.

Queen der Laufstege willst du sein?
Das reicht nicht.
In deiner Seele schlummert ein Talent, das führt dich bis zum Oscar,
wenn uns beiden nicht noch etwas Besseres für dich einfällt.

Freiheit und Gerechtigkeit auf einem Flecken Land in einer Stadt wollt ihr?
Das reicht nicht.
Freiheit und Gerechtigkeit für die ganze Welt will ich, sagt Gott,
wenn wir dabei die Legalisierung von Canabis vielleicht außen vor lassen könnten.
Die Welt erfüllten Lebens für alle, die ist noch nicht.
Aber ihr! 
Wartet darauf!
Lebt darauf zu, sehnt euch danach,
nehmt euch ein Beispiel an denen, die alles dafür geben,
dann kommt sie.

„Alle sind gestorben im Glauben und erlangten aber das Verheißene nicht, sondern sahen es nur von ferne,
grüßten es und bekannten, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind.
Aber sie kehren nicht um.
Sie sehnen sich nach einem besseren Vaterland, nämlich dem himmlischen.
Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott zu heißen; denn er hat ihnen eine Stadt gebaut.“

Sehnsucht das klingt besser als Hunger oder gar Gier, oder?
Aber mir ist dieses Wort zu schwach um zu verstehen,
warum sich ein altes Ehepaar auf ein solches Wagnis einlässt,
warum manche Mädchen so verzweifelt dahinter her sind, Erfolg zu haben,
dünn und schön zu sein,
warum manche ein Leben lang der Gerechtigkeit auf ihre besondere Art hinterherrennen,
sogar ihr Leben dafür aufs Spiel setzen.

Die Ziele und die Wege mögen nicht die unseren sein.
Fremdlinge mögen das sein in unseren Augen.
Aber doch ansteckend in ihrem Hunger nach Leben,
in der Klarheit, mit der sie ihrem Ziel nachrennen.
Sie erinnern mich daran,
dass wir vor zwei Jahren auch so aufgebrochen sind,
einen Traum vor Augen,
Leben der Generationen im Eichkamp,
im Garten, im neu entstehenden Haus in der Kita,
buntes Leben um die Geschichten der Bibel herum,
anziehend, lockend,
weil das Leben aus den Buchstaben springt und viele anspricht,
auch die am Rande.
Der lange Weg dorthin hat viele Kräfte gekostet
und hat den Traum zurechtgestutzt.
Obwohl das Haus Form annimmt,
sehen wir das verheißene und ersehnte Leben bisher nur von ferne.

Aber Abraham und Sara erinnern uns,
dass man uns eben daran erkennen soll,
an unserem Hunger nach Leben,
an unserem Glauben als der Kraft etwas unbedingt zu wollen, was doch offensichtlich über die eigenen Kräfte geht.
an unserem Mut aufzubrechen, ohne zu wissen, wohin wir kommen werden.
an unserer Zuversicht, dass Gott uns bei unserer handfesten Suche nach dem Himmel auf Erden begleitet,
damit es nicht bei der selbstverständlichen Ungerechtigkeit und Gewalt bleibt.
Gott lacht und ermutigt uns:
Wagt euch nach vorne,
brecht auf,
wagt euch auf die Laufstege der Welt,
lasst euch sehen,
schämt euch nicht, wie auch ich mich nicht eurer schäme.
An eurem Hunger nach Leben wird man euch erkennen
und ich, ich habe euch eine Stadt gebaut.
Auf die lauft ihr zu.
Schlafen könnt ihr später.
Amen.

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