Samstag, 9. Mai 2015

Lk 11 5- 13 Rogate


Es ist Nacht. Alles schläft. Keiner wacht.
Und keiner wacht gerne auf in der Nacht.
Ich auch nicht.
Auch nicht, wenn es klopft.
Da höre ich weg.
Ein höfliches Pochen?
Das kann man einbauen in den Traum.
Einmal geht das, auch zweimal, dreimal.
Doch dann,
plötzlich,
sitze ich im Bett,
kerzengerade.
Ja, ist da einer verrückt geworden?
Was für eine Unverschämtheit!
Das klingt, als ob jemand die Tür einschlagen möchte.
Es ist etwas passiert, denke ich,
und die Füße schießen aus dem Bett.
Die Beine nehmen den müden Körper mit.
Die Augen öffnen sich beim Laufen.
Ich reiße die Tür auf:
Mein Freund steht da, mein Freund und Nachbar.
Er blutet nicht, er sieht auch nicht sonderlich erregt aus.

Mit einem entschuldigenden Lächeln reicht er mir einen Korb.
Ich brauche Brot für einen Gast, sagt er.
Meins ist alle.
Ich bin sprachlos.
„Die Kinder schlafen“, will ich ihm sagen.
„ Es ist mitten in der Nacht und du holst mich aus dem Bett wegen Brot?“
Aber ich sage nichts.
Ich sehe ihn an, sehe meinen Freund.
Den kenne ich gut.
Wir sind auf einer Wellenlänge, er und ich.
Jeden Tag sehen wir uns, helfen uns bei der Arbeit, trinken Wein an den Festtagen.
Ich spüre genau, es ist ihm ernst.
Gastfreundschaft ist ihm heiliger als meine Nachtruhe.
Die Peinlichkeit, jemandem auf die Nerven zu fallen zur Unzeit,
die nimmt er in Kauf.
Auch mit einer Bitte, bei der es nicht gerade um Leben und Tod geht,
jedenfalls kann ich das nicht erkennen.
Mein Freund lächelt mich an, zwinkernd, ein bisschen verschmitzt.
Er kennt meine Gedanken genau.
Es macht ihm nichts aus, dass ich ihn für unverschämt halte.
Und er ist sich sicher, dass ich tue, um was er mich bittet.
Natürlich hat er Recht.
Ich hole das Brot, hebe abwinkend die Hand, als er mir danken will,
lächele ihm zu, weil ich gar nicht anders kann
und dann, endlich, kann ich die Tür schließen, unter die Decke kriechen
und versuchen, wieder ins Land der Träume zu finden,
während das Lachen und Reden aus dem Haus meines Freundes zu mir herüber weht.

Bittet, so wird euch gegeben.
Suchet, so werdet ihr finden.
Klopfet an, so wird euch aufgetan.
Denn wer da bittet, der empfängt.
Und wer da sucht, der findet;
Und wer da anklopft, dem wird aufgetan.


Einen Freund haben, eine Freundin,
da ist einer, da kann ich immer anklopfen,
da ist eine, die schlägt mir nichts ab,
sie gibt mir, was ich brauche und fragt nicht.
Unverhüllt zeige ich, wer ich bin.
Manchmal reichen halbe Sätze,
meine Freundin weiß sofort, was ich meine.
Sie kennt mich,
aus vielen Gesprächen,
durch den Wechsel der Zeiten,
wir haben genug Leben geteilt.
Und wenn ich ihr das Weinglas aus der Hand nehme und einen Schluck trinke,
dann überschreite ich keine Grenze.
Pausen gibt es auch, bis wir uns wiedersehn, lange Pausen,
doch der Faden reißt nicht ab.
Und sie nachts anrufen, wenn ich stecken geblieben bin in meinem Leben,
das mag sie nicht, das weiß ich,
denn sie geht früh schlafen.
Aber ich würde es tun,
anklopfen, ohne nachzudenken.
Ganz un-verschämt.
Und ich glaube, sie auch im umgekehrten Fall.

Bittet, so wird euch gegeben.
Suchet, so werdet ihr finden.
Klopfet an, so wird euch aufgetan.
Denn wer da bittet, der empfängt.
Und wer da sucht, der findet;
Und wer da anklopft, dem wird aufgetan.


Warum so zaghaft, fragt er uns.
Traut ihr euch nicht?
Wir schauen alle zu Boden.
Peinlich, denke ich, Jesus ist peinlich.
Beten, das ist eine Sache am Sabbat,
oder der Dank für Brot und Wein vor dem Essen:
Gepriesen seist du, ewiger Gott, König der Welt.
Wir sitzen am Feldrand, kurz vor Kapernaum.
Und wir üben beten.
Das heißt, Jesus will es üben.
Ich nicht.
Ich bin ein Mann und kein wimmerndes Weib,
das über die Wäsche klagt oder über den Regen zur Unzeit.
Beten, fährt Jesus fort, beten das ist, als spräche man zu einem guten Freund.
Stellt euch das doch einfach mal vor,
Gott als Freund, als Kumpel,
einer, da klopft ihr nachts an  die Tür ohne nachzudenken und bittet um Brot für einen Gast.
Jetzt ist es aber gut, denke ich.
Sollen wir jetzt Gott um einen Laib Brot bitten?
Und dann wirft er es vom Himmel, oder wie?
Aber Jesus hat noch mehr auf Lager.
Einfach unverschämt sein, sagt er,
Gott auf die Nerven gehen, bitten, egal um was,
aber bitten aus vollem Herzen, aus ganzer Seele, mit aller Kraft,
das dürft ihr und das sollt ihr.
Fangt mit den kleinen Wünschen an.
Bedrängt Gott täglich mit kleinen Wünschen,
und keine Sorge, die werden von selber größer.
Er lächelt.
„Macht es so wie die Kinder,
die ihre Eltern bitten, quengeln, drängeln,
mit spitzen Stimmen auf sie einstechen, bis jeder Nerv vibriert.
Und dann gibt doch der Vater ein Ei und keinen Skorpion
Und einen Fisch und keine Schlange.
Wir bleiben stumm.
Ich sehe, dass Jesus allmählich ungeduldig wird.
Wie, sage ich, um die Stille zu unterbrechen, wie sollen wir Gott denn anreden?
Hallo Kumpel, was liegt an?
Jesus lacht.
Gar nicht schlecht, Petrus, sagt er.
Man kann auch mit Gott plaudern,  über dies und das,
sollte man auch, damit er als guter Freund Platz nimmt in deinem Leben.
Aber heute geht es um Wünsche, um Bitten,
um das, was du brauchst und was dir wirklich am Herzen liegt.
Ich seufze.
„Ich habe Hunger“, sage ich, „können wir das nicht verschieben?“
„Bitte Gott um Essen“, sagt Jesus.
Die anderen schauen mich erwartungsvoll an.
Äh, sage ich.
Sehr überzeugend, erwidert Jesus spöttisch.
Ich werde wütend.
Gott, sage ich energisch und stocke wieder.
Versuch’s mit „mein Freund“ oder mein Papa, sagt Jesus.
Papa? Von mir aus.
Papa, rufe ich,
ich habe Hunger, verdammt noch mal.
Wie jeden Tag.
Ich will essen.
Nicht nur einen Brotkanten.
Ich habe einen großen Magen, wie du weißt und der ist immer leer.
Lamm will ich und Wein dazu.
Lamm satt und nicht nur einmal.
Täglich, genug Brot, genug Lamm, genug Wein.
Wie die Reichen.
Und Fisch und Gemüse und Obst.
Mein Blick fällt auf mein Dorf, auf Kapernaum,
und mir fallen die Missernten ein und dass alle dort immer wieder ums Überleben kämpfen.
Ein großer Zorn steigt in mir hoch.
Für alle, schreie ich plötzlich, tägliches Brot für alle.
Nie wieder Hunger, nie wieder Ungerechtigkeit, Gott,
kriegst du das hin?
Oder hilf uns wenigstens, etwas zu tun, hilf uns endlich!
„Was ist denn hier los,“ fragt eine Stimme vom Wegesrand.
Ein Bauer steht da.
Er hat Hunger, sagt Jesus.
Und er wütet gegen den Hunger der Welt.
Der Bauer nickt.
„Kommt mit“, sagt er, „wir haben gerade geschlachtet.“
Und Wein ist da und wir stoßen an, auf das Brot für alle und dann schauen wir weiter.
Ich bin sprachlos.
Das kann nicht sein, das geht doch nicht so einfach.
Das ist ja Hohn angesichts der unabänderlichen Armut und Gewalt und Sklaverei.
Das ist...
Jesus sieht mich an und zuckt mit den Schultern:

Bittet, so wird euch gegeben, sagt er.
Suchet, so werdet ihr finden.
Klopfet an, so wird euch aufgetan.
Denn wer da bittet, der empfängt.
Und wer da sucht, der findet;
Und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Was für eine Welt wäre das,
wenn Menschen die Freundschaft mit Gott offen leben,
laut werden, schreien, rufen, klagen und lachen,
ihren Wünschen erlauben der Gerechtigkeit Gottes das Wort zu geben.
Freunde und Freundinnen Gottes,
die prosten ihm zu mit Wein und feiern das Leben wie in Kana,
die schauen nicht weg bei Krieg und Tod und Gewalt.
die schreien ihren Freund auch an: Wie kannst du das zulassen?
Den Tod von Millionen damals vor 70 und mehr Jahren und auch heute,
die teilen sein Schweigen, wenn auch ihm keine Antwort einfällt,
aber er uns spüren lässt:
Das denke ich auch:
Niemals darf man sich abfinden, verharmlosen,
niemals vergessen.
Die fordern, dass Brot für alle da ist,
laut und un-verschämt.
Sie teilen viel Leben mit Gott,
dann kennt man sich irgendwann ganz gut.
Und auch wenn es Pausen gibt –
es ist leicht wieder anzuknüpfen,
wenn sie an seine Tür klopfen,
sicher, dass er da ist.
Und Gott öffnet,
manchmal dauert es, manchmal zögert er,
aber er ist unser Freund.
Er öffnet die Tür, reicht uns das Brot und lächelt uns an,
weil er gar nicht anders kann.

Bittet, so wird euch gegeben.
Suchet, so werdet ihr finden.
Klopfet an, so wird euch aufgetan.
Denn wer da bittet, der empfängt.
Und wer da sucht, der findet;
Und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Amen.




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