Sonntag, 24. Juli 2016

Phil 3, 9. Trinitatis. 2016



Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da wahr und der da kommt.

(Anregungen über den Sinneswandel des Paulus aus predigten.evangelisch.de/predigt/der-vorher-nachher-effekt-predigt-zu-philipper-37-14-von-sven-keppler)

Etwas passiert und alles ändert sich.
Ein Laster fährt durch eine Menschenmenge.
Einer versucht ihn aufzuhalten,
ein mutiger Motorradfahrer, der weiß:
Mein Sohn ist am Ende der Promenade.
Alles will er tun, um den Mörder aufzuhalten, unter Einsatz seines Lebens.
Es gelingt ihm, sich an den Laster zu hängen und zum Fahrer vorzudringen
Eiskalte Augen waren es, die ihn anblickten, sagt er im Nachhinein.
Der Fahrer schoss auf ihn, verfehlte ihn und setzte sein Morden unerbittlich fort, bis er selber getötet wurde.
Eiskalt auch der, der eine Axt und ein Messer herausholt am Montag im Zug bei Würzburg und  wahllos auf Menschen einschlägt.
Und der 18-Jährige, der am Freitag in München wahllos um sich schiesst, eine ganze Stadt lahmlegt, neun Menschen tötet, viele verletzt.
Oder der sich in die Luft sprengt in Kabul und über 60 Menschen in den Tod reißt.
Selbstgerecht sind sie in ihrem Wahn.
Ohne Mitleid.
Die anderen, das ist doch nur Dreck, den man wegkehrt, wie Kuhmist aus dem Stall, erbarmungslos.
Wir sind fassungslos.
In den Dreck gezogen, hinein in ein Denken der Gewalt und der Unerbittlichkeit.
Und haben nichts, mit dem wir dieses aufhalten oder verhindern könnten.
Unsere Lebenswelt wird immer poröser.
Das, was früher immer woanders geschah,
dringt zu uns durch, versetzt uns in Angst und Schrecken, nimmt uns gefangen, immer wieder.
Und bestimmt unser Denken und Fühlen.
Der Glaube an das Gute im Menschen, an Umkehr, an Nächsten- und Feindesliebe,
an den sanften Rabbi und sein Leben im Angesicht des Todes –
ist das nicht ein Dreck angesichts der Gewalt, die nicht zu bremsen ist?
Wie wird einer so, so eiskalt, so unnahbar in seiner Selbstgerechtigkeit,
mit der er sich zum Herrn über Leben und Tod aufschwingt?
Und wer werden wir, wenn uns die Gewalt immer näher und näher rückt?

Etwas passiert und alles ändert sich.
Auch jetzt, Jahre danach, kann Paulus es kaum beschreiben.
Hell war es plötzlich und blendend,
alles weggewischt, was vorher war.
Kein Bild mehr,
Dunkelheit, kein Halt, keine Orientierung.
Nur Worte, die Worte Jesu Christi, den er nicht persönlich kennt, auf einer Straße nach Damaskus:  
„Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“
Die erreichten sein Herz und änderten seinen Sinn.
Er hatte nicht darum gebeten.
Er hat sich nicht nach einem neuen Leben gesehnt.
Warum auch?
Er war Jude, beschnitten nach dem Gesetz am 8. Tag, wie er schrieb, und untadelig im Ausüben des Gesetzes.
ein wichtiger und kluger Pharisäer,
einer, der das Gesetz, die Thora ernst gelebt hat, 
durchsetzungsfähig.
Nicht unbedingt beliebt, aber geachtet.
Er kennt den Glauben an die Auferstehung dieses am Kreuz verreckten Rabbis,
er kennt die Lehre der anderen.
Absurd! Ein Affront!
Und gefährlich in diesen Zeiten,
wo ein falsches Wort bei den Römern zu schnellen und verheerenden Taten führen kann.
Saulus tut alles, um sie mundtot zu machen,
lässt sie einsperren, die Christen in Damaskus,
erbarmungslos,
brennend für die Sache Gottes, die er zu seiner eigenen gemacht hat,
eiskalt denen gegenüber, die sie aus seiner Sicht gefährden.
Und dann:
Es passiert, einfach so und alles, alles ändert sich.
Ein Licht wird ihm aufgesteckt,
eine Begegnung mit Jesus geschenkt oder besser: aufgedrängt.
Sein Denken dreht sich.
Dann weicht das Licht,
seine vorübergehende Blindheit gibt zögernd wieder Bilder frei.
Und die Welt hat sich geändert. Für ihn.
Ein neuer Raum.
Und ein neues, bescheideneres, liebendes Leben.
Undenkbar, diesen Raum wieder zu verlassen.
Sein Name, nicht mehr Saulus, der Erhabene,
jetzt Paulus, der Kleine,
nicht mehr der große Pharisäer, der für seine Überzeugung gegen die Christen kämpft,
jetzt auf der anderen Seite derer, die er gejagt hat wegen ihres Glaubens.
Eine Kehrtwende, ein neues Leben, das er sich nicht wieder entreißen lassen möchte.
Um keinen Preis.

Er schreibt über dieses Erlebnis an die Gemeinde in Philippi, also an die Gemeinde, die ihm am nächsten steht.
Er schreibt an Menschen, denen er vertraut
und denen er Mut machen möchte,
festzuhalten, an dem, was sie glauben,
den Raum ihres Glaubens festzuhalten gegen alle Widerstände.
Er schreibt drastisch und ganz ehrlich und ungeschützt und ich nehme an einigen Stellen die glättende  Übersetzung Martin Luthers weg:

Was mir ein Gewinn schien, das habe ich um Christi willen als Schaden erkannt.
Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich halte es auch weiter für feuchten Dreck, für stinkenden Mist, damit ich Christus gewinne
und als zu ihm gehörend erkannt werde.
Ich habe nun nicht mehr meine Gerechtigkeit  aus der Thora, sondern jene Gerechtigkeit, die durch den Glauben an Christus zugänglich ist, die Gott schenkt aufgrund des Glaubens.
Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und Anteil an seinem Leiden haben. Mein Leben soll von der Gestalt seines Todes gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.
Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon am Ziel sei; ich jage ihm aber nach, um es zu ergreifen, weil ich selbst von Christus Jesus ergriffen bin.
Meine Schwestern und Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber tue ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt,
und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes im Vertrauen auf Christus Jesus.

Etwas ist passiert und alles hat sich geändert.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie diese Worte hören,
aber Paulus ist mir hier nicht viel sympathischer als es der fanatische Saulus war.
Dreck ist alles, was war, genau übersetzt, Müll, Mist, den man wegkehrt, so wie man einen Stall säubert.
Hallo?
Paulus liebt doch das Gesetz und sein Volk, er schreibt darüber ausführlich im Römerbrief.
Und jetzt solche Worte?
Was ist so wunderbar an dem, was er nun lebt, dass er hier so verächtlich über die Vergangenheit und so  enthusiastisch über die Gegenwart und Zukunft reden kann?
Gemeinschaft im Leiden? Großartig.
Dem Tode Jesu gleichgestaltet werden? Na super.
Nichts von dem, was für mich auch noch im Leben und Reden Jesu wichtig ist, nennt er.
Nie ist mir Paulus so fremd wie in diesem Text.
Doch bevor wir oder ich ihn in die Reihe der religiösen Fanatiker stelle, möchte ich doch bremsen und die Haltung der Münchner Polizei einnehmen:
Sachlich bleiben, prüfen,
keine Vorverurteilung
und dann sehen, ob da nicht doch etwas in diesem Text eines radikal Bekehrten aufscheint,
das uns im Umgang und Leben mit den Folgen fanatischen Handelns helfen kann.

Zunächst einmal:
Paulus ist keiner, der aus Frust zu seiner neuen Überzeugung kommt.
Er gehört zu den geachteten und erfolgreichen Mitgliedern der damaligen Gesellschaft.
Er hat Einfluss, er ist selbstbewusst und zufrieden mit sich und seiner Arbeit.
Er hat nie vor einem Amt wie dem Lageso angestanden.
Er hat keine Todesangst ausgestanden im syrischen Bombenhagel.
Er ist materiell abgesichert. 
Er ist Mitglied der jüdischen Gemeinde und römischer Bürger und als solcher doppelt geschützt.
Er lebt beinahe so sicher wie wir.
Das alles wirft er hin.
Er begibt sich in einen rechtsfreien Raum zu Menschen, die ihn ablehnen und fürchten und fängt wieder ganz unten an und wird für seinen neuen Glauben leiden.
Dafür muss es einen triftigen Grund geben,
etwas, das so mit wahrem Leben gefüllt ist, dass er diese Kehrtwende um 180 Grad macht.
Paulus selber nennt den Grund:

Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und Anteil an seinem Leiden haben. Mein Leben soll von der Gestalt seines Todes gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

Es ist etwas passiert, das die Welt verändert hat und das sich ihm aufgedrängt hat:
Jesus ist von den Toten auferstanden.
Allen Steinen, Kreuzen, aller Verachtung, aller Gewalt zum Trotz lebt er und mit ihm das Reich Gottes in dieser Welt.
Paulus begegnet Gott im leidenden Christus.
Er begegnet dem Leben, das sich nicht aufhalten, nicht klein machen,
nicht mundtot machen lässt,
aufsteht immer wieder, aller Gewalt zum Trotz.
Sich an einen Lastwagen hängt, um Schlimmeres zu verhindern,
Und sich zu denen setzt, die um die Opfer trauern und den Schmerz aushält, einfach aushält, ohne mit Gewalt zu antworten,
entwaffnend liebevoll bleibt,  ohne Gegenleistung zu erwarten.
Und einfach bescheiden den Mund hält wie Angela Merkel in der Nacht von München und andere ihre Arbeit machen lässt,
anstatt betroffen in der Gegend herumzutwittern, was keinem wirklich nützt und nur die Emotionen anheizt.
Paulus begegnet dem kopfschüttelnden Gott, der ihn liebevoll anspricht: Saulus, Saulus...
Er sieht das Leiden, auch das von ihm verursachte,
er lässt es sich zu Herzen gehen.
Er hört Gott  durch den Gekreuzigten reden, der die Welt geliebt hat, mehr als sein Leben,
er hört die eindringliche Frage: „Warum, Saulus, warum?“
Und er lässt sich von Gott sagen: „Ich bin der Herr, dein Gott.
Und alles, was du bist, bist du durch mich, nicht durch dich selbst.“
Der ungeheure Druck, das Gesetz besser zu leben als all die anderen, lässt nach,
es wird entlarvt als Selbstgerechtigkeit, die mehr über Paulus sagt, als über das, was die Gebote leben möchten.
Paulus erkennt: Es ist nicht seine Aufgabe, Gottes Gebote um jeden Preis durchzusetzen.
Es ist seine Aufgabe, Gott zu vertrauen und seinen Weg im Licht von Gottes Liebe zu gehen.
Gott öffnet sich denen, die ihm und dem Weg Jesu vertrauen und dadurch Gerechtigkeit leben können.
So einfach ist das.
Aber für einen tatkräftigen, klugen und selbstbewussten, ja selbstgerechten Mann wie Paulus eine schwere Umstellung.
Paulus erkennt, dass Gott nicht auf der Seite der Macht steht, sondern
zu finden ist, wo Ohnmacht und Leid herrschen.
Dort redet Gott und dort beginnt er seine Spur zum Leben auszulegen.
Der Hass auf die anderen schwindet, macht der Scham über das eigene Verhalten Platz und einer neuen Bescheidenheit.
Paulus fängt ganz unten an,
erarbeitet sich mühsam das Vertrauen der Christinnen und Christen,
macht die Lehre des liebevollen Gottvertrauens bekannt in der damaligen Welt,
kämpft gegen religiöse Grenzen:
Nicht Jude noch Grieche, nicht Mann noch Frau gelten, nur das Leben in Christus, das allen offen steht.
Er ist nach wie vor ein kluger Mann und stellt seine Klugheit weiterhin in den Dienst Gottes, aber er ist kein Fanatiker, der über Leichen oder Widerspruch einfach hinweggeht.
Er gründet Gemeinden in Kleinasien und Europa,
legt den Menschen das Vertrauen Gottes in Gottes Nähe ans Herz:  
„Einer trage des anderen Last und vor allen Glaubensüberzeugungen und Hoffnungsszenarien, liebe Leute,
zählt die Liebe, die alles duldet und alles für den anderen und diese Welt hofft.“
Undenkbar, dass dieser Mann ein Gewehr in die Hand nehmen könnte, um seinen Glauben durchzusetzen.
Ja.

Und doch redet er hier in einer Weise, die uns, die mich abstößt.
Und stößt uns damit auf eine Wahrheit, der wir gerne ausweichen.
Ja, es ist wichtig, mit einem „Jetzt erst recht“ weiter zu feiern, zu leben,
die Kinder auf den Christopher Street day gehen zu lassen trotz der Sorge.
Es ist wichtig, aber es reicht nicht aus. Bei weitem nicht.
Wir, die Menschen hier, alle von uns, behaupte ich,
sind anfällig für die Gewalt, die uns entgegenschlägt.
Anfällig für die Angst und für den Schutz, der sich uns anbietet,
sei es in schärferen Gesetzen, in höheren Grenzzäunen,
in härteren Strafen, in demütigenden und unsachgemäß durchgeführten Kontrollen der Menschen, die bei uns Hilfe suchen.
Wir sind anfällig für aufgebrachte Emotionen, auch wenn wir sie selber nicht äußern.
Kaum waren die ersten Meldungen über die Münchner Ereignisse im Netz, tobte dasselbe schon vor islamfeindlichen Posts und Hasstiraden gegen die Bundeskanzlerin.
Es gab viele menschenfreundliche Aktionen wie die Offenen Türen, die denen Schutz bieten, die nicht wussten wohin, eine besonnene Polizei.
Aber daneben müllte sich der öffentliche Raum eben auch mit diesen Worten zu.
Und das prägt auch die Realität, wie die Bluttaten der Attentäter.
Das zerstört den Lebensraum, den Gott uns eröffnet.
Daher reicht es nicht aus, mit Ruhe und Zurückhaltung zu reagieren, so wichtig das auch in einer Nacht wie am Freitag war.
Es reicht auch nicht aus zu sagen:
Wir lassen uns nicht stören, wir können uns weiter wohlfühlen in diesem Land.
Nein, können wir nicht.
Und ich weiß nicht, wie das einem möglich sein kann, angesichts des Leides der Trauernden und Verletzten und der Angst, die unseren Lebensraum beherrscht.
Wir können nicht einfach auf unserem Lebensstil beharren und ihn weiterführen, der Welt und aller Gewalt zum Trotz.
Das geht nicht, es sei denn wir sind blind und selbstgerecht wie Paulus vor seiner entlarvenden Begegnung mit dem Auferstandenen.
Ich denke, wir können von Paulus lernen,
brennender zu lieben und uns offener als je zuvor das Leid der anderen zu Herzen gehen zu lassen,
nicht nur an spektakulären Tagen wie in Nizza oder Würzburg oder München oder Kabul, sondern auch im Alltag, in unseren Begegnungen, in dem, was wir lesen und von der Welt mitbekommen.
Wer legt uns eigentlich nahe, dass wir uns von der skandalösen Katastrophe Sudan oder Venezuela nicht genauso schockieren lassen brauchen wie von den Terroranschlägen in Paris?
Wer sagt uns, dass wir das Leid eines Obdachlosen, an dem wir vorbeigehen, als normal hinnehmen müssen, oder bei den wiederholten Klagen über das Lageso nur noch müde die Ohren zuklappen, weil sich ja ohnehin nichts ändert.
Wir glauben wie Paulus an den auferstanden Christus und daher
können wir uns von Paulus zeigen lassen,
wie wir das Unsere lauter und kraftvoller und kompromissloser als je zuvor verkünden:
Der Herr ist auferstanden. Wahrhaftig.
Jesus ist in dieser Welt und mit ihm Gottes Zärtlichkeit für alle Menschen, auf unseren Straßen, in unseren Häusern, überall.
Gott ist da und daher gibt es Mitgefühl als Weg,
Barmherzigkeit als tägliche Notwendigkeit,
Mut, sich der Gewalt in Wort und Tat in den Weg zu stellen,
und Gerechtigkeit als Angebot Gottes, der weiß, dass Frieden möglich ist.
Unser Leben, oder besser unsere vermeintliche Sicherheit ist ein Dreck wert ist Mistjk´´, weil sie auf Kosten anderer gelebt wird, wie wir schon sehr lange wissen.
Unsere Lebenswelt ist eine Scheinwelt, wie sie kaum noch in einem Land auf diesem Erdball zu finden ist.
Höchste Zeit, dass wir aufwachen und uns von unserem kopfschüttelnden Gott ein Licht aufstecken lassen, der uns mit allem Ernst fragt:
Warum..., warum...?
Und der uns auffordert:
Lebt brennend, redet laut, fühlt mit.
Haltet euch nicht zurück.
Lebt unübersehbar als Christinnen und Christen in dieser Stadt.
damit ihr Christus gewinnt
und als zu ihm gehörend erkannt werdet.
Setzt der Gewalt etwas entgegen, das andere zum Leben einlädt.
Ändert ihr Denken durch eure Begeisterung und euer Mitgefühl.
Kein lauwarmer Kaffee mehr,
starker Mokka, bei dem die Menschen die Augen aufreißen.

Etwas ist passiert und alles ändert sich,
muss sich ändern für mitfühlende, auf Gottes Nähe vertrauende Menschen.
Denn bei dieser Eiseskälte der Mörder können wir es nicht belassen.
Da erfrieren wir mit.
Daher: Lasst uns lieben nicht nur mit Worten, sondern mit der Tat und der Wahrheit.
Gott helfe uns.
Amen.





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