Sonntag, 2. April 2017

Abraham und Isaak Gen 22 Judika 2017


Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Es gibt Momente, da steht alles auf dem Spiel.
Die Luft hält den Atem an.
Momente, da steht mein Leben in Frage.
Ich muss mich entscheiden: Ich oder du? Wir oder ihr?
Mein Leben oder deines.
Mit dir untergehen oder alleine weitergehen.

Es gibt Momente, da steht alles auf dem Spiel.
Die Luft hält den Atem an,
und die Erde fragt sich, ob sie sich weiterdrehen kann oder sich schütteln sollte.

Einen dieser Momente erlebt Abraham laut Genesis, im 22. Kapitel.
Muten wir uns das zu und begleiten wir ihn.

Da versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:
Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

Vielleicht habe ich mich verhört, mag Abraham im ersten Moment gedacht haben.
Er kennt Gottes Stimme.
Er hat gelernt ihr zu vertrauen.
Geh aus deinem Land, hatte Gott ihn einst aufgefordert, geh in ein Land, das ich dir zeigen werde. Du wirst der Vater eines mächtigen Volkes sein.
Auch da mag er gedacht haben: Ich habe mich verhört.
Gott macht sich tatsächlich meinen und Saras Traum zu eigen: Ein eigenes Kind!
Und er weitet ihn noch!
Nicht nur ein Kind, sondern ein Volk!
Nicht nur Vater und Mutter werden, sondern ein Segen für die ganze Welt!

Und jetzt?
Nicht mehr „Geh in das Land, das ich dir zeigen werde“, sondern „Gehe in das Land Morija“.
Nicht mehr: Du wirst Vater eines großen Volkes sein, sondern: Morde deinen einzigen Sohn.
Ein Moment, in dem alles erstarren müsste.
Was ist los mit Abraham?
Er ist doch sonst nicht auf den Mund gefallen, handelt mit Gott um die Menschen in Sodom und Gomorrha, aber nicht um seinen eigenen Sohn?
Nein.
Er sagt: Hier bin ich.
Er geht.
Die Bindung zu Gott ist stärker.
Immer hat ihn Gott bewahrt und Wege geöffnet.
Beinahe hatte er Sara auf der Reise an König Abimelech verloren, sie ihm als Schwester überlassen wollen, um sein eigenes Leben zu retten.
Aber Gott hat dem König die Augen geöffnet und Sara gerettet.
Als Abraham nach Jahren im fremden Land aufgeben wollte, da hat Gott ihm immer wieder mit Sternen und Sand und sogar mit einem persönlichen Besuch Hoffnung gemacht und Abrahams Vertrauen gestärkt.
Und dann wollten Abraham und Sara die Sache mit dem Kind mithilfe der Sklavin  Hagar selber in die Hand nehmen,
da sorgte Gott dafür, dass die Wege sich wieder trennten und der Weg wieder offen war,
für das Kind von Abraham und Sara.
Unglaublicher Aufwand.
Lange Reisen.
Intensive „Eins-zu-eins-Betreuung“ und jetzt:
Töte deinen einzigen Sohn, den du lieb hast.
Abraham zögert nicht.
Er geht.
Wie immer, wenn Gott klare Anweisungen gibt.
Undenkbar für ihn, ein Leben ohne die Bindung an Gott zu führen.

Die Bibel erzählt weiter:
Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne.


Drei Tage Laufen.
Drei Tage das Wissen, das sind die letzten Stunden mit Isaak.
Drei Tage Gedanken, die sich immer fester verknoten zu einem unentwirrbaren Knäuel:
Wenn Isaak stirbt, ist es vorbei. Auch mit mir. Mit allem worauf mein Leben sich gründet.
Nie mehr Vater Abraham.
Wenn Isaak stirbt, ist es vorbei. Mit mir und meiner Bindung an Gott. 
Kein Kind mehr. Keine Hoffnung.
Kein Gott, auf den ich hören werde und hören kann.
Und wenn ich es nicht tue, ist es dasselbe. Auch dann verliere ich Gott.
Ein Dilemma ohne Ausweg.
Ich morde Isaak und vernichte damit auch die Geschichte Gottes mit den Menschen,
ich morde Isaak und töte damit auch Gott.
Kein Segen mehr, nur noch Fluch.
Gott für immer ausradiert aus meinem Leben, aus der Welt.
Will Gott das?
Kann er das wollen?
Oder wird Gott wie immer wenden, was im Unheil zu versinken droht?

Die Bibel erzählt nichts von diesen Gedanken.
Sie schweigt über diese drei Tage.
Sie mutet uns das Schweigen zu, die unerträgliche Spannung.
Sie zeigt uns einen kühlen, klaren Abraham.
Der geht einfach weiter und  weiter und tut, was Gott ihm sagt,
erinnert an einen Fanatiker, der nicht mehr erreichbar ist, durch nichts und niemanden.
Nicht einmal durch seine Knechte und den vertrauensvollen Sohn lässt er sich aus der Bahn werfen:

Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und die beiden gingen miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater!
Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn.
Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und die beiden gingen miteinander.
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

Schweigen, unheimliche Stille.
Eine Leere, die sich auftut wie ein Abgrund.
Kein Ast mehr zum Greifen, kein Halt.
Sturz ins Nichts.
Schweigen.
Auch kein Ton von Isaak, gebunden auf dem Altar.
Grauen und Stille und das Messer in der Hand seines Vaters.
Auf Gottes Geheiß.
Messer“ - „Schlachten“ - „Sohn“ -  „Gott“ - ungeheuerliche Worte, die da zusammenkommen.
Ein Moment, in dem alles in der Schwebe ist.
Alles ist möglich, so oder so.
Dass Abraham tatsächlich so weit geht....
Dass Gott ihn so auf die Probe stellt....
Was will er damit erreichen?
Abraham zum Fanatiker erziehen? Zu Gefühlskälte? Zu blindem Gehorsam?
Wie schaut Isaak, an liebevolle Fürsorge gewöhnt, nun diesen Vater an, der das Messer über ihn hält?
Wie hält Gott das aus, diesen Moment?
Hat er geglaubt, dass Abraham tatsächlich so weit geht?
Wer stellt da eigentlich wen auf die Probe?
Gott Abraham oder Abraham Gott?

Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.
14 Und Abraham nannte die Stätte »Der Herr sieht«. Daher sagt man noch heute: Auf dem Berge, da der Herr sich sehen lässt.

Plötzlich ist es vorbei.
Es wird wieder geredet.
Gott redet, redet durch seinen Engel, sagt seinen Namen:
Ich bin der ich bin.
Sagt: Ich bin  und bleibe da.
Abrahams Hand sinkt.
Der starre Blick hebt sich vom Scheiterhaufen.
Aufatmen.
Die Sicht wird frei für das weite Land.
Ich bin der ich bin und ich bin da.
Ich sehe und öffne auch deine Augen
Gott ist nicht mehr streng.
Gott sagt: Prüfung bestanden. Mit eins.
Die Bindung an mich hast du bewiesen.
Ich bin der ich bin und ich bin da.
Das weißt du nun. Und ich weiß, dass du es weißt.
Jetzt zeige, dass du leben kannst.

Abraham schaut um sich.
Sieht: Der Frühling ist da.
Der Wind bewegt die Gräser.
Sieht, da sind Wege, unendliche Möglichkeiten. Leben.
Weiß, er tat recht, auf diesen Gott zu vertrauen.
Weiß ein für allemal, dass Gott nie den Tod, sondern immer das Leben will.
Und er sieht einen Ziegenbock und weiß nun selber, was zu tun ist.
Gott muss ihm nichts mehr sagen. Nie wieder.
Abraham ist erwachsen, braucht diese enge Bindung nicht mehr.
Er lebt sie nun, wie selbstverständlich.
Abraham bindet Isaak los, opfert den Ziegenbock.
Ob er Gott diese Prüfung verzeiht, wird nicht gesagt.
In Zukunft, so erzählt jedenfalls die Bibel,
wird Abraham Gottes Stimme nie wieder hören und nicht zu hören brauchen.
Er regelt das Leben alleine,
regelt die Heiratsfrage für Isaak, sucht sich nach dem Tod Saras noch eine Frau.
Er lebt sein Leben, selbstbewusst als Stammvater und Gründer des Volkes und  gibt seinen Glauben an Gott weiter.
An die nächste Generation.

Was für eine Geschichte!
Was für ein Drama!
Es gibt Erleichterung, es gibt eine Lösung, der Mord wird verhindert.
Aber wirklich erträglich wird diese Geschichte dadurch nicht.
Wie haben Sie das erlebt,
Vater Abraham?
Ich bin mir nicht sicher, ob er nicht doch gemordet hätte, wenn Gott seine Stimme nicht erhoben hätte.
Oder Isaak das Kind, das auf einen Holzstoß gebunden wurde, starr vor Entsetzen und Todesangst?
Ist so etwas zu ertragen?
Oder Gott selbst in dieser Geschichte?
Es bleibt ein Gott, der harte Forderungen stellt, schweigend der Entwicklung ihren Lauf lässt und auch hier erst zuletzt Einhalt gebietet.

Ich will diese Geschichte nicht beschönigen und nicht zurechtstutzen.
Sie ist keine freundliche Geschichte und auch keine alte Sage, die von der Abschaffung des Menschenopfers redet.
Diese Geschichte erzählt von der Kälte dieser Welt.
Und von unserer Einsamkeit in ihr.
Von Gott, der uns fordert, Gutes zu tun und nach seinem Gebot zu leben.
.
Und diese Geschichte erzählt vom Schweigen und der Ferne Gottes,
der so vielen Menschen den Untergang zumutet, fern scheint denen,
die wie Isaak gebunden auf dem Holzstoß liegen,
gefesselt an ihr Schicksal und kein Entrinnen.
In Isaak haben sich später die jüdischen Gläubigen so oft wiedergefunden, wiederfinden müssen, verfolgt, gequält, ausgeliefert.
Und kein Gott, der sie davor bewahrt hat.
Sie erzählt von Momenten des Grauens, wenn keiner die Mörder aufhält,
und Bomben gezündet werden.
Sie erzählt von der Brutalität und Kälte, mit der Menschen ihren Reichtum genießen, während Millionen andere dem Hungertod ins Auge sehen, wie zur Zeit im Sudan.
Momente, in denen die Luft den Atem anhält und die Erde sich fragt, ob sie sich weiterdrehen kann und darf.
Und immer wieder, in der entsetzlichen Stille des Mordens und Sterbens, stirbt auch Gott.
Immer wieder.
Und mit ihm die Hoffnung.
Und mit ihm wieder etwas von der Zukunft unserer Welt.

Diese Geschichte beschönigt nichts.
Aber gleichzeitig lädt sie auch ein, zum Schritt in die Freiheit, den Abraham getan hat.
Denn hier, mit Abraham beginnt die Geschichte Gottes mit seinem Volk,
die Geschichte der Menschen mit ihm.
Hier setzt Gott ganz auf die Selbständigkeit seiner Ebenbilder.
Er vertraut ihnen die Erde und das Leben an.
Abrahams Leben zeigt:
Gott geht mit.
Er ist ein Gott der sieht.
Er nimmt die Geschichte der Menschen persönlich. Jede.
Die Geschichte Hagars, Saras, Abrahams und derer, die ihnen nachfolgten.
Er ist ein Gott, der sieht und da ist.
Er sagt seinem Volk durch Mose: Ich sehe das Elend.
Ich bin der ich bin. Ich bleibe da. Ich bleibe bei dir.
Und ich bin ein Gott, der „Halt!“ ruft.

Gott sieht und Gott schreit.
Heute. Immer wieder. Schreit uns an.
Ruft unseren Namen, wenn wir in die Irre gehen.
Wenn wir handeln sollen.
Wenn wir nur unseres sehen, unsere Kinder und die der anderen übersehen.
Und die übersehen, die auf den Scheiterhaufen dieser Welt landen.
Von niemandem gesehen.
Von niemandem gehört.

Die Geschichte von der Bindung Isaaks ist eine Geschichte, die nicht lügt.
Sie zeigt alles: Wozu Menschen fähig sind, im Schrecklichen, aber auch im Guten.
Sie zeigt Gottes Willen, aber auch das Verborgene, das Schweigen, das Grauen, wenn alles stumm bleibt.
Sie zeigt den Frühling und das Aufatmen und was alles geht, wenn Menschen die Augen heben und der Kraft trauen, die Leben schafft.
Und sie zeigt, dass sie sich gegenseitig auch kalt lächelnd sterben lassen können.
Es ist und bleibt eine schreckliche Geschichte, die uns die Welt und uns darin unbarmherzig vor Augen führt.
Ein Hoch auf die Bibel, dass sie das aushält und den Schrecken in Worte fasst.
Ein Hoch auf Gott, der uns keine Chance gibt, dem auszuweichen und genau darin an unserer Seite bleibt.

Amen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen