Montag, 29. Oktober 2012

Luther und Käthe bei der Paarberatung

 
Anspiel für den Reformationsgottesdienst,  

der bei uns immer etwas informell in einem unserer Gemeindehäuser stattfindet und mit einem
Reformationskartoffelessen endet. 
Das Thema "Toleranz" wurde etwas ernsthafter als hier unten in der Begrüßung als Jahresthema des
nächsten Jahres eingeführt. Hier nun das Thema Toleranz in Beziehungen. 


Luther und Käthe bei der Paarberatung

Susanne:              Neulich saß ich am Schreibtisch zu Hause, da klingelte es. Wer konnte das sein? Meine Kinder übernachten bei einer Freundin, meine Freunde melden sich an, Menschen aus der Gemeinde besuche ich, nicht umgekehrt.
Durch die Sprechanlage kam ein tiefes „Martin Luther“ und ein energisches „Katharina von Bora“.
Scherzkekse, dachte ich und sagte: „Zeigen Sie sich mal bitte. Ich komme auf den Balkon.“
Was ich sah, konnte ich nicht einordnen. Es sah aus wie Martin Luther und Katharina von Bora.
Plötzlich sagte jemand hinter mir:
Engel:                   Lass sie rein.
Susanne:              Ich kriegte einen Mordsschrecken. Hinter mir stand ein Engel, was ich mit professionellem Auge sofort erkannte. Einer von der netten, kollegialen Sorte, so dass ich gleich losschimpfte: Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken? Habt ihr im Himmel nicht genug zu tun?
Engel:                   Mehr als genug. Deshalb bin ich ja da.
Susanne:              (schüttelt verständnislos den Kopf)
Engel:                   Martin Luther und Katharina von Bora machen uns das Leben zur Hölle. Sie zanken sich Tag und Nacht.
Susanne:              Aber sie waren doch glücklich verheiratet, habe ich gelesen.
Engel:                   Stimmt im Prinzip, aber anscheinend kriegen sie ihre Streitigkeiten nicht aus dem Kopf.
Susanne:              Worum geht es denn?
Engel:                   Um gegenseitige Toleranz. Aber vor allem um eine materielle Frage.
Susanne:              Aha.
Engel:                   Jedenfalls muss etwas geschehen. Die beiden nerven und stören den himmlischen Frieden ungemein. Und da haben wir uns beraten und gedacht: Paartherapie.
Susanne:              Und da seid ihr auf mich gekommen? Das... ich fühle mich geehrt.
Engel:                   Ja, wir haben gedacht, du hast manchmal so eine alberne Art mit  historischen Figuren umzugehen und das brauchen sie, damit sie sich nicht so furchtbar ernst nehmen. (hastig)  Und natürlich schätzen wir deine seelsorgerliche Kompetenz.
Susanne:              Also gut, ich lass sie rein. Aber sie sollen langsam kommen, damit ich mir noch einiges in Erinnerung rufen kann. (geht auf und ab)
Martin Luther, Reformator, ziemlich depressiv.
Ich glaube, Katharina musste ihn häufig aus seiner Niedergeschlagenheit holen. Dabei hat er doch entdeckt, dass Gott netter ist, als er dachte. Und er braucht keine  Angst mehr vor Strafe und Hölle zu haben, weil er weiß, dass Gott ihn liebt.
Und er hat es geschafft, dass eine ganze Weltordnung zusammengebrochen ist, jedenfalls ein bisschen, weil die Menschen selber denken und lesen und selber für ihren Glauben  einstehen lernten.
Allerdings war er auch nie so tolerant, wie man angesichts seiner Lehre vermuten dürfte. Naja, ein Mensch des Mittelalters eben. Die tun sich schwer. Und Katharina war nicht gerade das Heimchen am Herd soviel ich weiß. Da sind sicher häufig die Fetzen geflogen.
Gott, Martin Luther, der große Theologe, was weiß ich denn noch? Das wäre ja peinlich, wenn ich da nicht mithalten kann. Von der Freiheit eines Christenmenschen, darüber wurde ich im Examen geprüft, das kriege ich noch hin.
Engel:                   Bist du soweit?
Susanne:              Nicht wirklich. Aber lass sie rein. (Beide kommen)  Herzlich willkommen. Es ist mir eine große Ehre, euch beide hier willkommen zu heißen.
Katharina:            Wir wollten gar nicht kommen. Man hat uns gezwungen.
Engel:                   Na, na.
Susanne:              Wollen wir uns nicht setzen.
Katharina:            Nein. Ich bin viel zu wütend.
Susanne:              Aber Sie, Herr Luther, Sie sehen müde aus.
Luther:                 (ergeben) Wenn meine Frau stehen will, dann stehe ich auch. Ich kann dann ja gar nicht anders. Und: Sagen Sie ruhig Martin zu mir.
Katharina:            Spiel hier nicht den Leidenden. Du weißt, wie sehr mich das auf die Palme bringt.
Luther:                 Du hast nicht das geringste Verständnis für mich.
Katharina:            Ich?! Kein Verständnis?!? Wer hat denn den Laden immer geschmissen? Wer ist um 4.00 morgens aufgestanden und hat für unsere 5 eigenen Kinder und die 11 Pflegekinder deiner Brüder und die unzähligen Studenten und Kollegen gekocht, die du immer angeschleppt hast, wer hat das Geld zusammengehalten, wer...
Susanne:              Nun mal ganz ruhig. Ihr seid so erregt, da ist ein vernünftiges Gespräch ja gar nicht nötig. Gibt es etwas, das euch beide beruhigt hat, wenn ihr euch gestritten habt?
Luther/Kater.:      Singen.
Susanne:              Singen? Gut. Dann singen wir erst einmal ein Lied. Am besten eines von Ihnen Herr Luther, das können Sie sicher und das können wir dann gemeinsam singen.
(zur Gemeinde) Ich kramte also mein Gesangbuch heraus. Die beiden konnten natürlich alles auswendig. Und ich mache eine kleine Pause mit meiner Geschichte und wir singen mal hier das Lied.
Lied:
Susanne:              So, ich muss, bevor ich euch helfen kann, noch einiges erfahren.
Luther:                 Was denn?
Susanne:              Alles.
Katharina:            Alles?
Susanne:              Na, zum Beispiel, wie ihr euch kennen gelernt habt.
Luther:                 Hör mir auf. Das war vielleicht peinlich.
Katharina:            Wieso peinlich?
Luther:                 Na, du warst eben erst dem Kloster entronnen und solltest demütig sein und statt dessen...
Katharina:            Ja...?!?
Engel:                   Ich glaube, ich erzähle das lieber.
Luther                  Engel, halt dich einmal raus.
Engel:                   Dann zeigt ihr, wie es war.
Luther:                 Also gut. Es war im Jahr 1526.  Eines Tages kam sie zu mir und sagte:
Katharina:            Martin Luther.
Martin:                Ja, werte Schwester.
Katharina:            Ich bin mit meinen Ordensschwestern aus dem Kloster Nimbschen geflohen.
Martin:                Ich weiß, das war ein mutiger und harter Schritt.
Katharina:            Nun ja, nicht so hart wie das Leben dort. Ich hatte es nicht frei gewählt. Meine Eltern wollten mich unterbringen. Meine Entscheidung war das nicht. Und das Leben dort entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen. Zur Freiheit hat uns Christus befreit oder nicht?
Martin:                Ich kann mir dich auch nicht als demütige Nonne vorstellen.
Katharina:            Ich auch nicht. Nun die Flucht in den Heringsfässern war nicht so ersprießlich, aber nun sind wir ja hier.
Martin:                Und ihr habt euch waschen können und stinkt nicht mehr.
Katharina:            Gut beobachtet.
Martin:                Sonst noch was etwa?
Katharina:            Martin Luther!
Martin:                Also doch noch was.
Katharina:            Meine Klosterschwestern haben schon alle einen Mann gefunden und geheiratet. Wie du es von der Kanzel allen gepredigt hast.
Martin:                Ein mutiger Schritt.
Katharina:            Ja.
Martin:                Und?
Katharina:            Nur ich nicht.
Martin:                Hm. Bist du nicht zufrieden als Magd bei der Familie Cranach?
Katharina:            Es ist nett dort, aber ich will ein eigenes Heim und einen eigenen Mann.
Martin                 Du wünscht es, Schwester, „ich will“, das klingt so hart und eigensinnig.
Katharina:            Dann wünsche ich es eben. Allerdings wünsche ich es deutlich.
Martin:                Wie wäre es mit Pfarrer Glatz in Orlamünde, ein fähiger und vernünftiger Mann.
Katharina:            Toll. Witwer mit 2 Kindern. Und alt.
Martin                 Ein sehr sensibler, freundlicher Herr.
Katharina:            Willst du ihn heiraten?
Martin:                Frau!
Katharina:            Also. Nach eingehender Prüfung des vorhandenen Materials...
Martin:                Materials?!
Katharina:            Männer, meine ich natürlich. Habe ich Material gesagt? Nun denn, nach eingehender Prüfung gibt es für mich nur zwei Möglichkeiten.
Martin:                Ja?
Katharina:            Nikolaus von Amsdorf....
Martin:                Keine schlechte Möglichkeit.
Katharina::           Oder du.
Martin:                Ich?
Katharina:            Ja!
Martin:                Oh!
Katharina:            Ich glaube, Nikolaus will nicht. Er hat irgendwas gefaselt von einem sanften Reh an seiner Seite.
Martin:                Aha.
Katharina::           Und? Was sagst du?
Martin:                Fragt nicht im allgemeinen ein Mann die Frau,... ich meine...
Katharina:            Wenn der Mann den Mund hält und eine Frau nach der anderen von anderen heiraten lässt, dann muss wohl die Frau fragen. Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
Martin:                Ich weiß nicht.
Katharina:            Martin! Fang jetzt nicht an, herumzueiern. Das ist nicht zu tolerieren von einem so redegewandten und mutigen Mann. Jedenfalls wenn es nicht um Frauen geht.
Ich weiß, ich bin keine Schönheit, aber ich kann kochen, den Haushalt führen, ich bin nicht dumm, du hättest eine Gesprächspartnerin und eine Frau, die etwas aushält.
Martin:                Katharina, nimm es mir nicht übel. Ich will kein sanftes Reh, aber du bist so furchtbar energisch. Und ich bin nicht wirklich verliebt in dich, weiß du?
Katharina:            Das kommt schon noch. Mein Lieber, ich habe dein Haus gesehen. Eine Lotterwirtschaft.
Martin:                Nun ja.
Katharina:            Deine Angestellten taugen nichts. Jemand muss da die Dinge in die Hand nehmen.
Martin:                Vielleicht.
Katharina:            Und du kannst nicht immer von der Kanzel predigen und die Ehe empfehlen und dich selber drücken.
Martin:                Ach.
Katharina:            Martin! Ich bin anständig und keusch geblieben mein Leben lang. 24 Jahre lang. Das reicht.  Jetzt will ich heiraten, Verzeihung, wünsche ich zu heiraten. Und ich werde es tun. Und zwar dich. Einverstanden?
Martin:                Ich habe  das Gefühl, ich habe gar keine andere Wahl. Wie war das, mit der Freiheit?
Katharina:            Komm schon, Martin, das geht aber doch ein wenig netter.
Martin:                Also gut, Katharina, willst du meine Frau werden?
Katharina:            Und ob ich will. Und willst du mein Mann werden?
Martin:                Na ja,... ja.

Susanne:              Hm. Es gibt romantischere Hochzeiten. Aber ich finde es gut, dass Sie so ehrlich miteinander waren. Eine gute Grundlage für gegenseitige Toleranz. Da muss man einsehen, dass es Dinge am anderen gibt, die man nicht ändern kann. Bei Ihnen war ja zum Beispiel von Anfang an klar, wer im Haus die Hosen anhat.
Katharina             (lächelnd) Ja, er hat mich „Herr Käthe“ genannt.
Luther:                 (lächelnd)  Ja, du hattest das ja auch verdient.
Engel:                   (leise)  Gut so, weiter so.
Luther:                 Glaub nicht, dass ich dich nicht zu schätzen wusste. Wie schrieb ich doch damals als einen meiner Freunde: "Ehe ich heiratete, hat mir ein ganzes Jahr hindurch niemand das Bett zurechtgemacht, in dem das Stroh von meinem Schweiß faulte. Ich war müde und arbeitete mich den Tag ab und fiel so ins Bett, wusste nichts darum."
Katharina:            Ja, ich weiß. Es hat lange gedauert, bis ich das Bett soweit hatte, dass man sich guten Gewissens hineinlegen konnte.
Susanne:              Wollen wir das so genau wissen?
Engel:                   Sei ruhig. Lass sie.
Luther:                 Und sehr schnell, schon nach einigen Wochen, spürte ich eine Neigung zu dir immer deutlicher erwachen und habe also auch geschrieben: "Ich wollte meine Käthe nicht um Frankreich und um Venedig dazu hergeben, erstens darum, weil Gott sie mir geschenkt und mich ihr gegeben hat; zweitens, weil ich oft erfahre, dass andere Frauen mehr Fehler haben als meine Käthe (obwohl sie auch einige hat,...
Engel:                   Luther!
Luther:                 ... stehen (ihnen) doch viele große Tugenden entgegen); drittens, weil sie den Glauben des Ehestandes, das ist Treue und Ehre, wahrt. So soll umgekehrt auch das Weib über den Mann denken."


Katharina:            Ja, mein Lieber. Und als ich im Kindbett lag und mich quälte, da hast du dich um mich gesorgt  und dich geschämt, dass du so fiese Sachen über Frauen geschrieben hast.
Luther:                 Ich hatte ja vorher keine Ahnung. Manchmal habe ich eben auch Unsinn geschrieben.
Katharina:            Ja. Deshalb hatte ich auch lange gezögert, dich in die engere Wahl aufzunehmen. Ich hatte das gelesen. Wie war das doch gleich?
„Daher man auch siehet, wie schwach und ungesund die unfruchtbaren Weiber sind; die aber fruchtbar sind, sind gesünder, reinlicher und lustiger. Ob sie sich aber auch müde und zuletzt tottragen, das schadet nicht, lass sie nur tottragen, sie sind drum da. Es ist besser, kurz gesund, denn lange ungesund leben. Etliche Frauen sorgen mehr für sich, wie sie mit dem Leben davon kommen, denn für das Kind, als die sich vor dem Tod fürchten und die Schmerzen gern übergehen wollten. Das ist nicht recht noch christlich."
Susanne:              Junge, Junge.  Luther!
Luther:                 Ich habe es ja anders gesehen, später.
Katharina             Hat er. Keinen Grund mehr auf ihn herumzuhacken.
Susanne:              Nun ihr seid euch doch eigentlich schön einig. Worum gab es denn Streit, äh, da oben?
Engel:                   Nicht doch.
Katharina:            Er hat mich ohne einen Heller sitzen lassen.
Susanne:              Ihr habt euch doch noch getrennt?
Katharina:            Nicht doch. Er ist 8 Jahre vor mir gestorben und hat vorher von Wittenberg die Nase voll gehabt und nichts geregelt.
Luther:                 Aber Liebchen. Du hast das doch toll hingekriegt. Wirklich. Du hast geregelt, dass du im Pfarrhaus bleiben konntest und ein paar Jahre später warst du ja dann auch schon hier bei mir. Wirklich, das war ganz große Klasse.
Katharina:            Aber..
Susanne:              Also, meine Liebe, ich finde Sie sollten das aufrichtige Kompliment annehmen. Ich kann Ihnen verraten, dass viele auch heute noch voller Respekt an Sie denken. Sie sind ein Vorbild durch ihre Klarheit und ihre Energie, durch ihr Selbstbewusstsein in einer von Männern beherrschten Zeit.
Katharina:            Aber...
Susanne:              Ich finde, Sie beide haben angesichts der schwierigen Zeiten und der großen Herausforderungen ihr gemeinsames Leben großartig gemeistert.
Katharina:            Finden Sie?
Susanne:              Ja, wirklich. Und das steht doch im Vordergrund. Das, was Sie beide verbindet. Da können Sie doch die Unterschiede hinnehmen und tolerieren. Oder?
Katharina:            Hm, tolerieren?
Susanne:              Ja. Das heißt erdulden.
Katharina:            Weiß ich. Hatte viel Gelegenheit dazu.
Susanne:              Toleranz bedeutet ja nicht Gleichgültigkeit gegenüber den Unterschieden, sondern dass man sie aushält um des Friedens und des Zusammenlebens willen. Das ist nicht immer einfach und ich würde da gleich gerne noch einmal darauf zurückkommen. Doch für Sie beide gilt: Sie können sich auf ihren Lorbeeren ausruhen und in den himmlischen Gesang einstimmen.
Luther:                 Sie hat recht, Liebchen.
Engel:                   Hat sie.
Susanne:              Dann lasst uns das doch gleich einmal mit einem Lied besiegeln.
Lied:
Susanne:              So, wie schwer das mit der Toleranz ist, so ist sie doch nötig. Und Sie, Martin, haben ja einen großen Schritt getan, was Ihren Umgang mit Frauen und ihr Bild von ihnen angeht. Anderes ist Ihnen schwerer gefallen.
Luther:                 Nun ja. Mir ist nicht gerade viel Toleranz von anderen entgegengebracht worden. Der Papst hat mich Wildschwein genannt, das im kirchlichen Garten wütet.
Susanne:              Das war nicht sehr nett von ihm. Aber Sie waren auch nicht gerade zimperlich. Gegen die Juden zum Beispiel haben Sie immer mehr gewütet.
Luther:                 Ja, die wollten mir partout nicht zustimmen und ich hatte mich wirklich lange um ein Gespräch bemüht.
Susanne:              Manchmal muss man das aushalten, dass andere Dinge denken und tun, die einem gegen den Strich gehen. Und dann darf man auch nicht gegen sie hetzen oder gar ihre Ermordung verlangen.
Luther:                 Ach.
Katharina:            (nimmt Susanne beiseite) Lass das mal. Das mit der Niedermetzelung der Bauern durch die Fürsten liegt ihm noch heute im Magen.
Susanne:              Nicht nur ihm.
Katharina:            Er ist gerade so gut gelaunt. Ich habe keine Lust mich mit einem depressiven Tropf auf der Wolke herum zu lungern. Sprich doch lieber von anderem. Lob ihn ein bisschen.
Susanne:              Also  gut. (zu Luther)  Martin, Sie haben ja auch wirklich bahnbrechende und tolle Sachen geschrieben und viel dafür getan, dass andere dann weitermachen konnten und in Menschen partnerschaftlicher miteinander gelebt haben. Von der Freiheit eines Christenmenschen zum Beispiel. Toller Wurf.
Luther:                 Danke.
Susanne:              »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.« Zwei wirklich beeindruckende Sätze. Können Sie uns die noch ein wenig erklären?
Luther:                 Ja, nun. Ein Christ ist frei von anderen Autoritäten und Ansprüchen, die nicht durch Jesus Christus begründet sind.
Susanne:              Also auch gegenüber den Herrschenden.
Luther:                 Nein, soweit bin ich damals nicht gegangen, auch wenn ich weiß, dass andere sich auf mich berufen haben. Aber jeder ist in seinem Gewissen frei. Immerhin. Und das gilt für jeden und ist daher auch die Grundlage der Toleranz. Denn diese Freiheit eines jeden in seinem Gewissen muss man im Blick haben und soweit wie es geht, tolerieren.
Susanne:              Solange er Christ ist.
Luther:                 Selbstverständlich.
Susanne:              Nun, wir haben da noch ein wenig weiter gedacht. Es gib anderen Religionen und Weltanschauungen, die ihr eigenes Recht haben.
Luther:                 Ich weiß, ich habe da einiges von meiner Wolke aus beobachtet, das einem die Haare zu Berge stehen lässt. Ihr feiert sogar Gottesdienste mit Muslimen. Und dann hattet ihr da so einen Menschen, der Marx hieß.
Katharina:            Martin. Bitte nicht. (zu Susanne) Sie glauben nicht, was da oben los ist, wenn Marx mal wieder vorbeigesegelt kommt.  Lenke ihn ab, bitte!
Susanne:              Nun eine letzte Frage: Die Sache mit der Freiheit bedeutet ja nicht, dass man sich einfach Gott unterordnen und Gott machen lassen soll.
Luther:                 Nein, natürlich nicht. Dass ein Christ ein »dienstbarer Knecht« ist, meint, dass er durch das Gebot der Nächstenliebe verpflichtet ist, Gutes für anderer zu tun: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«  
Darin ist, wie ich schrieb
»die ganze Summe eines christlichen Lebens begriffen «.
In dieser Liebe zum Nächsten wird der Mensch zum Knecht des anderen, aber es betrifft nicht seine Freiheit, macht ihn nicht unfrei, sondern ist eine Folge seiner Freiheit.
Der Christ tut dieses Werk am Nächsten nicht, weil er dadurch gerecht zu werden hofft, sondern weil ihn seine Seele, durch die neue Freiheit dazu drängt.
Und meine Käthe hat in diesen Dingen so viel getan, dass sie ein Vorbild an Nächstenliebe für viele geworden ist.
Katharina:            So ist es.
Luther                  Nur die Demut fehlt ihr noch ein wenig.
Susanne:              Nun, nun. Wir werden in diesem Jahr noch genug Gelegenheit haben, über den Zusammenhang von Freiheit und Toleranz nachzudenken.
Heute haben wir das Thema im Zusammenhang mit dem Zusammenleben zwischen Mann und Frau angeschaut.
Und Sie beide sind ein tolles Beispiel für zwei sehr unterschiedliche Menschen, die in schwierigen Zeiten zusammenleben und ihre Unterschiede manchmal als Ergänzung geschätzt und manchmal auch ertragen haben. 
Katharina:            Oft ertragen haben.
Luther:                 Aber Liebchen.
Susanne:              Denken Sie an das, was Sie beide verbindet. Das ist doch das Wichtigste. Da hält man doch auch die Unterschiede aus. Ihre Ehe war doch wie im großen und ganzen wie eine Burg, in die Sie sich zurückziehen konnten. Oder nicht?
Luther:                 Ja, eine Burg wie auch der Glaube.
Susanne:              Ganz recht. Da sollten wir doch den Reformationsschlager einmal gemeinsam singen.
Katharina:            Au ja. Der kommt immer gut.
Luther:                 Katharina hat ihn immer geschmettert. Er kam ihrem Naturell sehr nahe.
Katharina:            Wie meinst du das?
Engel:                   Schon gut, Katharina, lass uns singen und dann werden wir zurückerwartet.
Susanne:              Dann los.
Lied:                    Ein feste Burg ist unser Gott.
Engel:                   Wir danken sehr für die Hilfe.  Es wird jetzt hoffentlich friedlicher zugehen bei uns.
Katharina:            Es war uns ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden.
Luther:                 Mir auch.
Katharina:            Ich habe doch schon „uns“ gesagt.
Luther:                 Na und. Ich habe doch auch etwas zu sagen, oder nicht?
Katharina:            Du kannst es einfach nicht ertragen, einmal den Mund zu halten.
Engel:                   Schluss jetzt. Im Ernst. Wenn das jetzt wieder von vorne losgeht, dann schmeißen wir euch aus dem Himmel raus.
Luther:                 Vergiss es. Wir glauben nicht mehr an die Hölle. Die gibt’s nicht. Oder?
Engel:                   Dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Also?
Katharina:            Ich werde mich beherrschen. Und du, Martin.
Luther:                 Also gut.
Susanne:              Dann macht’s mal gut. Es hat mich sehr gefreut, euch hier bei mir zu haben.
Katharina:            Auf Wiedersehn.
Luther:                 Gott befohlen.
Engel:                   Schalom. Und danke!
Susanne:              Schon gut.




Freitag, 19. Oktober 2012

Predigt zu 1 Kor 7, 29-31 20. Trinitatis 2012

-->1 Kor 7
 
-->
29 Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht;
30 und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht;
31 und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.

Die Zeit ist kurz.
Paulus braucht das nicht besonders zu betonen.
Jedenfalls nicht mir gegenüber.
Die Zeit ist kurz.
Was ist nötig, was nicht?
Ich lebe immer mit diesem Satz.
Ich lebe immer mit dieser Frage.
Und ich finde, dass sowohl der Satz als auch die Frage lähmen.
Man braucht nämlich Zeit, um sich Gedanken über die Zeit zu machen,
und womit man sie füllt und womit nicht.
Man braucht Zeit und Raum um das Nötige von dem Unnötigen zu unterscheiden.
Sonst reagiert man einfach auf das, was vor Augen ist
und vergisst anderes, auch Wichtiges.
In der Welt, so hat es den Anschein, gibt es diese Zeit, diesen Raum  nicht oder kaum.
In der Welt ist die Zeit in Stunden geschnürt.
Die Schule braucht Zeit, 7-8 Stunden oder mehr am Tag.
Die Arbeit braucht Zeit, meistens mehr als 8 Stunden am Tag.
Der Haushalt braucht Zeit, das Einkaufen, der Garten.
Kinder brauchen Zeit, bräuchten viel mehr.
Der Partner, die Partnerin braucht Zeit und darf sich meistens hinten anstellen.
Ich brauche Zeit.
Für mich?
Wer mit der knappen Zeit lebt,
mit in Stunden geschnürten Aufgaben, die aus ihren Nähten platzen,
der erlebt, dass „Zeit für mich“ ein grauer Fleck ist,
den man besser unberührt lässt.
Ich meine mit „Zeit für mich“ nicht die lethargischen Stunden am Ende eines langen Tages,
in denen man erschöpft in der Ecke hängt und einen Film sieht oder mit dem Computer rumspielt.
Zeit für mich.
In diesem grauen Fleck, den wir doch selten aufsuchen,
steckt eine Frage, die mich auffordert den Blick auf das zu richten,
was mein Leben wirklich ausmacht.
In diesem Fleck wartet eine Stimme
und die redet ungefähr so wie der Wochenspruch dieser Woche des Propheten Micha: 
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott von dir fordert,
nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Diese Forderung kümmert sich nicht um die Zeit,
kümmert sich nicht um Stunden.
Was gut ist und was Gott fordert, das ist immer gut,
das fordert er immer, in jeder Stunde.
In allem, was wir tun, sollen wir seine Weisung im Kopf haben,
Liebe üben durch das, was wir tun,
in der Liebe bleiben, wie Johannes es ausdrückt.
Wir sollen demütig sein vor Gott
und nie vergessen, dass ich nicht alles tun kann und muss.
Ich bin ein Teil der Gemeinschaft und lebe mit und von anderen
und weiß, dass Gott alles in seiner Hand hält, nicht ich.
Denn er, und niemand sonst,
sorgt dafür, wie wir vorhin gehört haben,
dass auf der Erde nicht aufhören Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Gott steckt im Wechsel der Zeiten,
aber er liefert sich der Zeit nicht aus.
Er hält die Zeit in seiner Hand.
Nur, das vergessen wir immer wieder.

Die Zeit ist kurz.
Und wird nicht länger.
Die Schnüre der gebundenen Stunden lassen sich selten einfach kappen.
Wer will schon aussteigen?
Wer lebt schon, wie Paulus es ausdrückt,
mit dem ständigen Wissen, dass das Wesen dieser Welt vergeht?
Wer zuckt angesichts dessen schon mit den Schultern und lebt mit seinem Partner, als hätte er keinen?
„Wer bist du schon, angesichts des Weltendes?“
Ich weiß nicht, ob diese Frage so beziehungsfördernd ist.
Und wer weint mit einem Achselzucken,
als seien die eigenen Schmerzen und die Trauer nicht wichtig?
Wer freut sich nicht,
wenn man endlich einmal von Herzen lachen
und in der Freude des Augenblicks versinken kann?
Und die möchte ich unter uns sehen,
die sich beim Einkaufen ständig mit einem schlechten Gewissen herumplagen wollen,
weil die neue Jeans endlich so richtig passt.

Die Zeit ist kurz.
Auch ein Paulus hat seine Grenzen.
Das Glück einer liebevollen Beziehung kann er nicht schätzen,
weil er es nicht kennt.
Besitz hatte er kaum
und er brauchte seine ganze Kraft,
um den Gemeinden das Evangelium zu verkünden,
solange noch Zeit ist.
Da waren persönliche Leiden und Freuden zweitrangig
und sein Verständnis dafür begrenzt.

Aber Paulus ist kein Ignorant,
er ist auch Seelsorger.
Er lebt wie die Christen damals in der Erwartung,
dass Jesus bald wieder kommt,
dass das Ende der Welt in dieser Form nahe ist,
Die Welt wird gerichtet werden, neu beurteilt.
Gerechtigkeit wird der Maßstab sein
und das wird das Gefüge der Macht
und auch den Alltag, die Beziehungen der Menschen
gehörig durcheinanderwerfen.
Daraufhin leben wir , sagt Paulus,
wir sehen dem mit Freude und nicht mit Angst entgegen,
weil wir schon jetzt uns nicht mehr an Altes klammern und bereiten damit Gott den Weg.
Schön und gut.
Aber Paulus sieht auch,
dass das Leben der Menschen nicht einfach aufzulösen ist.
Menschen sind verheiratet, haben Kinder, müssen essen, haben Sorgen.
Da kann man nicht einfach sagen:
Das ist doch nicht so wichtig.
Wie aber soll das Wichtige da Raum bekommen?
Wie kann Paulus das, was ihm am Herzen liegt,
dennoch den anderen vermitteln, schmackhaft machen?
Die Jahre, die seit dem Tod Jesu vergangen sind, werden immer mehr.
Paulus ahnt vielleicht schon, dass es so schnell dann doch nicht geht.
Die Zeit ist kurz.
Er möchte niemanden mit diesem Satz in die Weltflucht oder in die Depression jagen.
Er möchte ihnen klarmachen, dass sie der Zeit, in der sie leben,
nicht ausgeliefert sind,
Er möchte befreien, befreien von der Sorge.
Und so lautet der nächste Satz nach unserem Predigttext:
„Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge seid.“
Ich möchte dass ihr frei seid, heißt das.
Ihr sollt verantwortungsbewusst leben,
aber euch nicht knebeln lassen und andere nicht knebeln.
Paulus sieht die Kraft, die Beziehungen und das Leben im Alltag kostet und sagt:
Wenn ihr denn verheiratet seid oder meint heiraten zu müssen, nun gut.
Dann könnt ihr weniger Gott dienen,
wenn ihr verantwortlich bleiben wollt eurer Familie gegenüber.
Das ist dann so.
Aber ganz ausweichen solltet ihr Gott nicht.
Und Paulus stößt sie in den grauen Fleck, in dem die Zeit anders tickt.
Er will zumindest, dass sie das wahrnehmen.
Die Zeit der Welt ist nicht die Zeit, in der Gott lebt.
Er kennt sie, er sorgt für ihren Fortgang,
aber er liefert sich ihr nicht aus.  
Gott ist und hat ein anderes Wesen, das sich vom Frieden, vom Schalom nicht abbringen lässt,
auch nicht als Zukunft für diese Welt.
Wer sich außerhalb der Stundeneinteilung des Alltags stellt,
immer wieder,
sei es in einem Gottesdienst,
sei es nur für Minuten am Tag,
der nimmt wieder wahr,
dass Gott von diesem Frieden redet und mich einlädt,
die Welt so zu betrachten,
als Raum für einzigartige, vielfältige Lebewesen,
die alle zu ihrem Recht kommen sollen.

Die Weisung Gottes ist ein Ruf in die Freiheit.
Mir wird die Freiheit nahegelegt, das zu tun,
was mir im Gegenüber zu Gott einfällt.
Mir wird klar, dass ich ein Kind der Freiheit bin.
Und alle um mich herum ebenfalls, Kinder der Freiheit.
Auch sie haben von Gott die Freiheit geschenkt bekommen.
Denn seine Weisung zum Leben ist ein Ruf in die Freiheit,
die Freiheit, das Gute zu tun,
immer, ohne Rücksicht auf die Stunden, die ganz gebunden scheinen
und es letztlich doch nicht sind.
Ich bin frei, dem Obdachlosen vor Nahkauf 2 Euro zu geben statt wie sonst nur 1 und nehme mir die Freiheit, nicht misstrauisch über Alkohol nachzudenken, sondern zu sagen: Wohl bekomm’s.
Ich bin frei mit ihm ein paar Worte zu reden,
und ihn wie die anderen zu behandeln und zu sehen,
die mir aus der Gemeinde dort über den Weg laufen,
auch wenn die sich dafür bedanken würden mit so jemandem auf eine Stufe gestellt zu werden.
Ich nehme mir die Freiheit, einen freien Sonntag mit meiner Kollegin an einer Friedensprozession teilzunehmen,
auch wenn meine Familie diese freie Zeit bräuchte.
Ich nehme mir die Freiheit, an einem Wochentag meine mehr oder weniger kranke Tochter zwischen den Terminen aufzusuchen
und dann nicht mails zu bearbeiten und nicht wie so oft nur körperlich anwesend zu sein, sondern mit ihr rummycup zu spielen.
Ich nehme mir viel zu wenige dieser Freiheiten heraus.
Wie viele Freiheiten nehmen Sie sich heraus?
Wie oft sehen Sie nur Enge und Verpflichtungen und nehmen den Raum nicht wahr, den Gott einem jedem von uns schenkt,
das Gute zu tun, der Liebe zu folgen, sich in die Hand Gottes zu geben?
Aus Gottes Sicht bleibt immer genügend Raum, um auf ihn zu blicken.
Immer kann ich mir die Zeit nehmen einen Schritt zurücktreten
und all die Möglichkeiten sehen, die mir offen stehen,
in Gottes Sinn zu leben.
In dem grauen Fleck, der häufig vereinsamt,
erlaubt Gott der Zeit stillzustehen und erlaubt damit uns, zu sehen, an ihn zu denken.
Er schenkt uns die Zeit, die wir meinen nicht zu haben,
dass wir uns immer wieder lösen von dem,
was unabänderlich scheint
und damit dem Frieden in der Welt eine Chance geben.

Denn Kinder der Freiheit kleben nicht am Besitz.
Sie nehmen auch ihren Partner, ihre Partnerin nicht in Besitz.
Sie betrachten immer wieder voller Verwunderung,
wie manche Menschen meinen über die Zeit anderer und ihren Bewegungsraum entscheiden zu dürfen.
Kinder der Freiheit sehen den weiten Raum, auf den Gott uns stellt und gehen leichten Fußes.
Sie kleben nicht am Bestehenden, rechnen mit dem Besten, geben dem Bösen nicht recht, egal wie sehr es die Zeit bestimmt.
Kinder der Freiheit nehmen ihre Zeit ganz bewusst aus Gottes  Hand und wissen um ihre Kostbarkeit.
Die Zeit ist kurz.
Deshalb ist jeder Moment kostbar, jeder Moment eine Chance, Gott zu begegnen und die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Die Zeit ist kurz.
Viel ist zu tun.
Die Stunden des kommenden Tages sind häufig gefüllt,
bevor der Tag überhaupt begonnen hat.
Das ist genau die richtige Zeit,
uns gegenseitig um Urlaub zu bitten,
immer wieder, jeden Tag, damit wir geboren werden
wie Pablo Neruda, der große chilenische Dichter,
es in folgendem Gedicht ausdrückt.

Bitte um Ruhe
Nun lasse man mich in Ruhe.
Nun mag man an mein Fernsein sich gewöhnen.
Ich will meine Augen schließen.
Fünf Dinge nur will ich,
fünf eingewurzelte Vorlieben.
Eine ist die unendliche Liebe.
Das zweite ist, den Herbst anschaun.
Ich kann, ohne dass Blätter
treiben und zur Erde kehren, nicht sein.
Das dritte ist der bittere Winter,
der Regen, den ich geliebt, des Feuers
Zärtlichkeit inmitten wilder Kälte.
An vierter Stelle der Sommer,
prall wie eine Wassermelone.
Das fünfte sind deine Augen.
Mathilde, Inniggeliebte,
ich mag ohne deine Augen nicht schlafen,
mag nicht leben ohne deinen Blick:
Ich tausche den Frühling ein,
damit du mich anblickst fort und fort.
Freunde, das ist alles, was ich will.
Es ist nichts und doch fast alles.
Nun könnt ihr gehen, wenn ihr wollt.
Ich werde solange gelebt haben, dass ihr
mich zwangsläufig vergessen müsst eines Tags
und mich auslöschen auf der Schiefertafel:
mein Herz war unendlich.
Doch wenn ich Ruhe verlange,
glaubt nicht, dass ich sterben will:
ganz das Gegenteil widerfährt mir:
ich werde anfangen zu leben.
Ich bin und bleibe da.
Jenes wird nicht geschehen, sondern in mir
wird Getreide wachsen,
zuerst das Samenkorn, das die Erde
durchbricht, um das Licht zu erblicken,
die Mutter Erde aber ist dunkel:
und dunkel bin ich in meinem Innern:
bin wie ein Brunnen, in dessen Wasser
die Nacht ihre Sterne belässt
und allein bleibt auf dem Feld.
Soviel wie ich lebte, soviel will ich
nochmals leben, darum geht’s.
Nie zuvor fühlte ich so im Einklang mich,
nie zuvor hatte ich Küsse soviel.
Jetzt, wie immer, ist frühe Stunde.
Das Licht fliegt mit seinen Bienen.
Lasst mich allein mit dem Tag.
Gebt mir Urlaub, dass ich geboren werde.
(Pablo Neruda, Viele sind wir)

Geben wir Gott unsere Zeit vertrauensvoll in die Hände
und uns gegenseitig immer wieder Urlaub,
dass jeder von uns immer wieder geboren werde und hören kann
, was gut ist und was Gott von mir fordert,
dass ich mir die Freiheit nehme Gottes Wort zu halten und Liebe zu üben und meine Zeit in Gottes Hand weiß.

Amen